Die Zierkirschen an der Alster blühen, Singvögel und selbst Störche und Kraniche bleiben im Norden – wegen des warmen Wetters. Für Allergiker sind die hohen Temperaturen besonders problematisch.

Hamburg. Sie sind früher dran als gewöhnlich – viel früher: Die milden Temperaturen der vergangenen Wochen lassen die Kirschen an der Alster bereits jetzt blühen. Das liegt am Winter, der keiner ist. Die durchschnittlichen Temperaturen sind höher als gewöhnlich, und die Natur ist in vielen Bereichen auf Frühling eingestellt.

Weiß sind die Blüten der Herbstblühenden Schneekirsche (lateinisch: Prunus subhirtella Autumnalis) auf der Alsterwiese. Die etwa 30 Jahre alte Zierkirsche aus Japan ist im Frühjahrsmodus. Die Knospen sind rosa und die weißen Blüten zu einem großen Teil geöffnet. Normalerweise ist sie erst im März/April mit der Blüte an der Reihe. „Insofern ist die Frühjahrsblüte schon etwas vorgezogen“, sagt Carsten Sempf von der Abteilung Stadtgrün im Bezirksamt Eimsbüttel. Er hat aber auch schon Jahre erlebt, in denen die Zierkirschen bereits im Dezember geblüht haben. Sollte jetzt doch noch Frost kommen, stürben die Blüten ab, und eine erneute Blüte im Frühjahr falle dann nicht mehr so üppig aus.

Bei Fruchtkirschen sei eine so frühe Blüte schon kritischer. Kommt dann Frost, sterben die Blüten, und die Ernte fällt schlechter aus. Carsten Sempf: „Die Fruchtkirschen habe dickere Knospen als die Zierkirschen und sind kurz vorm Aufgehen.“ Im Alten Land bleibt man gelassen: „Wenn der Winter so mild bleibt, blühen die ersten Bäume vielleicht Anfang statt Mitte oder Ende April“, sagt Martina Matthies vom gleichnamigen Obsthof in Jork-Borstel. „Ich bin ganz entspannt. Meistens kommt der Winter doch noch im Februar.“

Grund für die frühe Blüte ist der milde Winter: „Der Mittelwert für den Dezember lag bei 3,4 Grad. Das sind 1,5 Grad zu warm im Vergleich zum langjährigen Mittelwert“, sagt Thore Hansen, Meteorologe beim Institut für Wetter- und Klimakommunikation. Und auch der Januar ist bis jetzt mit durchschnittlich 4,9 Grad deutlich zu mild. „Es fehlen die großen Fröste“, sagt Hansen. Auch Allergiker könnten die Auswirkungen der hohen Temperaturen spüren: Früher hat die Hasel erst im Februar geblüht. Nun sind die Haselnusspollen teilweise bereits Ende Dezember in der Luft.

„Die Natur hat auf Frühjahr geschaltet“, hat Krzysztof Wesolowski, Ornithologe beim Nabu in Hamburg, beobachtet. Viele Vogelarten sind bei diesen milden Wintertemperaturen gar erst nicht in den Süden gezogen, sondern hier geblieben – wie die Kraniche, die sonst in Frankreich oder Spanien überwintern sowie Wildgänse oder Störche, die als Langstreckenflieger bis nach Afrika ziehen. „Deutschlandweit sind viele Störche gesehen worden, die den Winter hier verbringen“, sagt Wesolowski. „Und auch die Gänse finden auf den Wiesen noch genügend Futter. Sie ziehen sonst westwärts.“ Oder der Seidenschwanz: Diese Vogelart kommt sonst aus dem hohen Norden zu uns, aber nicht in diesem Jahr, weil es auch in Skandinavien wärmer ist als gewöhnlich.

Die großen Trupps von Meisen aus dem Norden und Osten fallen aus und kommen nicht nach Norddeutschland. „Wenn die Insekten wie jetzt frei zugänglich sind, bleiben die Tiere, weil sie genügend Nahrung finden“, so Wesolowski. Ob im Sommer aufgrund des bislang milden Winters mit mehr Stechmücken oder Schädlingen zu rechnen ist, könne nicht gesagt werden. Wesolowski: „Da ist noch alles offen. Kommt der Winter, können zum Beispiel die Schnecken im Boden noch stark dezimiert werden.“

Sollte es in den kommenden Tagen oder Wochen kalt werden, wird das Frühlingsgefühl in der Natur erst einmal wieder ausgebremst – für Amphibien kann es dann gefährlich werden. Ist es zu warm, wachen diese zu früh aus ihrer Winterstarre auf. Für die meisten Vögel aber wäre ein Wintereinbruch nicht schlimm – sie könnten immer noch in wärmere Gegenden umziehen. Problematischer sei es für Wasservögel: „Bei einem schnellen Wintereinbruch mit zugefrorenen Gewässern finden zum Beispiel die Eisvögel keine Nahrung mehr. Da gab es in vergangenen Jahren hohe Verluste“, sagt Krzysztof Wesolowski. Übrigens: Gefüttert werden müssen die Vogel zur Zeit nicht unbedingt. Wer es dennoch nicht lassen kann, dem rät der Ornithologe, es mit Augenmaß zu tun: „Und man muss darauf achten, dass das Futter nicht schlecht wird oder durch Vogelkot verunreinigt ist, sonst drohen Infektionen.“

Ein Wintereinbruch mit Frost und Schnee lässt auf sich warten. Es ist zwar etwas kälter geworden, tagsüber liegen die Temperaturen aber mit zwei Grad im Plusbereich, am Wochenende sollen es drei bis vier Grad werden. Am heutigen Dienstag und morgen bleibt es freundlich mit etwas Sonnenschein, ab Donnerstag ist es bedeckt mit Schnee- und Regenschauern. Thore Hansen: „Es bleibt kühl, aber der große Winter ist nicht in Sicht.“