Der jahrelange Einsatz in der linken Szene in der Roten Flora sei laut Innensenator „nicht nachvollziehbar“. Heute, so Michael Neumann, hätte er dies nicht zugelassen.
Hamburg. Neue Akten bringen mehr Klarheit in den umstrittenen Einsatz einer verdeckt ermittelnden Polizistin in der linken Szene. Nun hat auch Innensenator Michael Neumann (SPD) Fehler der Polizei zugegeben und sich deutlich distanziert: Das jahrelange Agieren der Beamtin sei „so nicht nachvollziehbar“ gewesen.
Neumann ergänzte im Innenausschuss der Bürgerschaft, dass er einen solchen Einsatz heute nicht zugelassen hätte. Auch Polizeipräsident Ralf Meyer sagte, dass nun Rechtsgrundlagen von Verdeckten Ermittlern „genauer betrachtet“ werden müssten. Die Innenbehörde kündigte an, die Begleitung von verdeckt arbeitenden Polizisten zu verbessern, genauso wie die Dokumentation der Einsätze. Dazu wolle sich die Behörde auch von externen Wissenschaftlern beraten lassen.
Schneider war eine Agentin im Doppeleinsatz
Von 2001 bis 2006 arbeitete Iris P. unter dem Decknamen Iris Schneider verdeckt in der linken Szene – über den gesamten Zeitraum als sogenannte Beobachterin für Lageeinschätzung, als BFLerin. Und ab 2002 als Verdeckte Ermittlerin in zwei Strafverfahren, zunächst unter Führung des Bundeskriminalamtes, dann unter dem LKA in Kiel. Schneider war über Jahre eine Agentin im Doppeleinsatz, für drei verschiedene Behörden, Einsätze mit unterschiedlichen Rechten. Sie soll in dieser Zeit auch Beziehungen mit Aktivisten eingegangen sein. Und Schneider hat an Sendungen im linksalternativen Radio „Freies Sender Kombinat“ (FSK) mitgearbeitet. Ein Spartensender, mit Schnittmengen auch zur autonomen Flora, aber geschützt durch die Rundfunkfreiheit vor Bespitzelung durch die Behörden. Gewerkschaften und Journalistenverbände kritisieren das Vorgehen der Polizei.
70 Akten werden untersucht
Seit zwei Monaten arbeiten Beamte der Innenbehörde nun den Fall auf. Dabei sind 70 Akten aufgetaucht, die von der Polizei mit Schneiders Hilfe verfasst wurden. Entdeckt wurden diese Berichte beim Hamburger Verfassungsschutz. Mehrere Sachverhalte, die Polizei und Senat zunächst verneint hatten, mussten sie nun bestätigen. So war der Einsatz der getarnten Ermittlerin im Radiosender FSK von den leitenden Beamten des LKA Hamburg abgesegnet – damit die Legende der Polizistin aufrechterhalten werden könnte, wie es nun heißt. Ein klarer Verstoß gegen Grundrechte der Medien. Zudem sind offenbar deutlich mehr Daten über einzelne Personen erhoben worden, als bisher bekannt. Bereits das aktive Beschaffen von Informationen durch eine jahrelang unter einer Legende arbeitende Beamtin mache es unvermeidbar, dass personenbezogene Daten erhoben wurden, sagte Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar dem Abendblatt. „Auch soweit keine Klarnamen gesammelt wurden, lässt sich im Übrigen aus den Berichten ein Rückschluss auf bestimmte Personen ziehen.“ Seine Behörde hatte Einblick in die betreffenden Akten.
Kommt bald ein Untersuchungsausschuss?
Aus Sicht von Polizei und Verfassungsschutz agieren auch gewaltbereite Linksextremisten im Umfeld der Roten Flora. Ein Teil der Aktivisten dort schließt Gewalt als politisches Mittel nicht aus. Während der Einsatzzeit von Iris Schneider kam es in Hamburg zu Anschlägen mit Farbbeuteln auf Wohnungen oder Brandsätzen auf Fahrzeuge, zu denen sich die linksextreme Szene bekannte. Senator und Polizei hoben hervor, dass es wichtig sei, auch künftig auf verdeckte Lagebeobachter nicht zu verzichten. Die Behörde sprach von „niedrigschwelligen Einsätzen“. Denn anders als bei Verdeckten Ermittlern benötigt die Polizei bei sogenannten „BFLern“ keinen Beschluss der Staatsanwälte. Daten über bestimmte Personen dürfen diese „Lagebeobachter“ jedoch ausdrücklich nicht sammeln.
Der Innenausschuss vertagte die Aufklärung zunächst – bis nach der Wahl. Für die Opposition gehört Schneiders Doppeleinsatz weiter geprüft. „Geltende gesetzliche Regelungen müssen auch nachweisbar eingehalten werden und dürfen nicht im Nebel diverser Zuständigkeiten zur Ermittlungsführung verschwinden“, sagte Antje Möller von den Grünen. Linkspartei und Grüne bringen einen Untersuchungsausschuss in der kommenden Regierungszeit ins Spiel. „Anders werden die grundsätzlichen Fragen solcher Einsätze für die Zukunft nicht ernsthaft zu bearbeiten sein“, sagte Christiane Schneider von den Linken.