Sozialsenator Scheele sagt als Zeuge vor Untersuchungsausschuss aus – und schlägt Ombudsmann für die Jugendhilfe vor. In einem war sich Scheele zudem sicher, und das sorgte für Empörung im PUA.
Hamburg. Da muss das Unterbewusste Sozialsenator Detlef Scheele einen kleinen Streich gespielt haben: Als der Sozialdemokrat am Dienstagabend den Raum 151 des Rathauses betrat, steuerte er gewohnheitsmäßig auf die Bank mit dem Schild „Senatsvertreter“ zu. Das ist Scheele zwar, aber gestern war er als Zeuge vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) geladen, der die Verantwortung von Behörden und Ämtern beim Tod der drei Jahre alten Yagmur im Dezember 2013 aufklären soll. Und für die Zeugen gibt es im PUA einen eigenen Tisch mit entsprechender Bezeichnung, an dem Scheele schließlich auch Platz nahm.
In Untersuchungsausschüssen gilt die Strafprozessordnung, was bedeutet, dass Zeugen bei falschen oder unvollständigen Aussagen strafrechtlich belangt werden können. Auch für jeden Senator ist daher ein Auftritt als Zeuge vor einem PUA der Ernstfall. Und Scheele bekannte denn auch im Laufe seiner mehrstündigen Befragung, er habe „unglaublichen Respekt vor dem, was hier passiert“.
Was den Senator dennoch nicht hinderte, seine Sicht der Vorgänge rund um den Tod des kleinen Mädchens, das zuvor in staatlicher Obhut gewesen war, trotz anfänglicher Nervosität letztlich routiniert zu schildern. Ein persönliches Bekenntnis stand allerdings am Anfang: „Die Nachricht vom Tod Yagmurs am 18. Dezember 2013 war die bedrückendste Stunde in meiner dreieinhalbjährigen Amtszeit“, so Scheele. „Das sage ich auch als Vater.“
Yagmur war von den Jugendämtern der Bezirke Bergedorf, Eimsbüttel und Mitte im Laufe ihres kurzen Lebens betreut worden. Sie war schon früh misshandelt worden, ohne dass dem entschieden nachgegangen worden wäre. Letztlich fiel die fatale Entscheidung, das Kind, das lange bei einer Pflegemutter lebte, den leiblichen Eltern zurückzugeben. Jetzt läuft der Prozess gegen die beiden. Yagmurs Mutter soll nach jetzigem Stand der Dreijährigen die tödlichen Verletzungen zugefügt haben.
„Wir haben die Verantwortung für die generelle Aufstellung der Jugendhilfe“, sagte Scheele vor dem PUA und meinte damit sich und seine Behörde. „Aber die operative Verantwortung liegt in den Bezirken“, fügte er hinzu. Er wolle mit dem Hinweis aber die Verantwortung nicht hin- und herschieben, so der Senator, das sei ein „Gesamtkunstwerk“ von Senat und Bezirken.
Der Bericht der Jugendhilfeinspektion, den er und die drei Bezirksamtsleiter gleich nach dem Tod des Mädchens in Auftrag gegeben hätten, sei „vorbildlich, aber hart und unerbittlich“. Es habe „eine ganze Reihe von Fehlentscheidungen gegeben, aber nicht die eine“, die für den Tod ursächlich sei, sagte Scheele. „Es war eine Verkettung von Punkten, die hinreichend falsch waren“, sagte der Senator. So sei ein früheres Ermittlungsverfahren gegen die Eltern eingestellt worden, ohne dass die beiden vernommen worden seien.
Offensichtlich war die Einstellungsverfügung wiederum nicht von Mitarbeitern des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) gelesen worden, sodass wichtige Hinweise auf Verletzungen des Kindes nicht beachtet wurden. „Es hätte viele Alternativen gegeben, die den Tod des Kindes verhindert hätten“, sagte Scheele, der aber bewusst „keine einzelnen Schuldigen“ ausmachen wollte. Entscheidend sei die mangelnde Kommunikation an den Schnittstellen zwischen Ämtern und Behörden gewesen.
In einem war sich der Sozialdemokrat allerdings sicher, und das sorgte für heftige Empörung im PUA. „Es lag nicht daran, dass es zu wenig Personal beim ASD gab“, sagte Scheele. Ihm hielt die Grünen-Jugendpolitikerin Christiane Blömeke vor: „Wie können Sie das allen Ernstes behaupten? Der Inspektionsbericht weist ausdrücklich darauf hin, dass es beim ASD in Eimsbüttel und Mitte aufgrund der schlechten personellen Lage ein hohes Risiko für eine nicht ausreichende Kindeswohleinschätzung gegeben habe.“ Andere Abgeordnete der Opposition stimmten ihr zu. Doch hier blieb Scheele hartnäckig: „Den Kurzschluss mangelnder Personalausstattung mache ich nicht mit.“
Der Senator überraschte die Abgeordneten mit dem Vorschlag, den Posten eines Ombudsmanns für die Jugendhilfe einzurichten. Wer etwas Ungewöhnliches im Umgang mit Kindern beobachte, könne sich an den Mann oder die Frau wenden, die das dann unmittelbar an die zuständige ASD-Dienststelle weiterleiteten. Die Skepsis bei den Abgeordneten überwog.
„Es gab deutlich mehr Fehler im Fall Yagmur, als im Bericht der Jugendhilfeinspektion stehen. Alarmsignale wurden systematisch überhört“, fasste CDU-Obmann Christoph de Vries die PUA-Erkenntnisse zusammen.
Scheele räumte zwar ein, „nicht unfehlbar“ zu sein. Aber auf die Frage des PUA-Vorsitzenden André Trepoll (CDU), ob er schon einmal an einen Rücktritt wegen des Falls Yagmur gedacht habe, antwortete der Sozialsenator nur mit einem einzigen Wort: „Nein.“