Oliver Gutwillinger glänzt beim Straßenfußball-Turnier auf dem Spielbudenplatz. In drei Wochen geht es zum „Homeless World Cup“. Die 9. nationale Armutskonferenz fand am Wochenende in Hamburg statt.

Hamburg. Direkt vor den Tanzenden Türmen tanzen sie mit dem Ball. Das Fußballfeld auf dem Spielbudenplatz hat vier Banden und hohe Netze. In diesem luftigen Käfig streiten acht Mannschaften um den Turniersieg. Die Kicker sind mit viel Einsatz bei der Sache und dreschen das Leder ein ums andere Mal gekonnt in die flachen Tore.

Einer kann es besonders gut. Oliver Gutwillinger, 30, ist groß und schnell. Er hat kurze Haare und ein breites Kreuz. Er hat einen starken linken Fuß und trägt das Trikot der deutschen Nationalmannschaft. In drei Wochen wird der Hamburger zur Fußball-WM nach Chile fliegen. Zum Homeless World Cup. „Olli“ ist mit seiner Dynamik und seiner Schussstärke einer der Stützen der deutschen Obdachlosen-Nationalmannschaft.

In Hamburg ist Gutwillinger an diesem Wochenende auch so etwas wie ein offensiver Botschafter für all die Menschen, die sonst am Rande stehen. Die 9. nationale Armutskonferenz findet in diesem Jahr hier statt. Und zum ersten Mal wurde nicht vom Podium herab über arme Menschen geredet. Das Thema lautete „Armut und Teilhabe“. Und die Betroffenen standen an den beiden Aktionstagen gegen Armut und soziale Ausgrenzung selbst im Mittelpunkt.

So wie Oliver Gutwillinger. „Fußball ist mein Leben, dieser Sport gibt mir alles. Mit Fußball kann ich ganz viel kompensieren“, sagt er. Aufgewachsen in Berlin, hat er bei Schwarz-Weiss Spandau gespielt und es als Jugendlicher bis in die Landesauswahl geschafft. Vielleicht hätte es für eine Profi-Karriere gereicht, aber „Olli“ sagt, er hätte sich anders orientiert. Er fing an zu kiffen, später kam die Spielsucht dazu. Er ist immer wieder in die Spielhalle gelaufen und nicht mehr auf den Trainingsplatz.

In der deutschen Obdachlosen-Nationalmannschaft haben die Spieler alle ähnliche Biografien. „Wir sprechen sehr offen darüber, alle haben zu kämpfen“, sagt Gutwillinger. Bundestrainer Jiri Pacourek kommt aus Tschechien. Er war selbst spielsüchtig und obdachlos. Vor vier Jahren hat er für die deutsche Obdachlosen-Nationalmannschaft bei der WM in Brasilien gespielt, nun trainiert er die Mannschaft. Er hat die Kicker bei den deutschen Meisterschaften nicht nur nach ihrer Spielstärke ausgesucht, sondern auch nach ihrem Verhalten außerhalb des Platzes. Da gewann „Olli“ mit seinem Hamburger Team von „Jugend hilft Jugend“ den Titel.

In dieser Einrichtung macht der gelernte Koch jetzt eine stationäre Therapie. „Bei der Spielsucht geht es viel um Dichtmachen“, sagt er. „Und um das Leben nur für den Moment.“ Er ist jetzt dabei aufzuarbeiten, was ihn dazu bringt, immer wieder in die Spielhalle zu laufen. „Ich muss mich dieser Frage stellen.“ Bis auf 600 Euro habe er seine Schulden abbezahlt. Wenn er abends los geht, hat er kein Bargeld bei sich. Seit acht Monaten, sagt er, war er nicht mehr an den Automaten.

Er hat jetzt ein großes Ziel. Die WM in Chile. „Ich war noch nie auf einem anderen Kontinent und bin auch noch nie geflogen“, sagt Gutwillinger. „Die Weltmeisterschaft wird der Hammer, ein absolutes Highlight.“ Jeder Mensch brauche solche Highlights im Leben.

Ermöglicht wird die Teilnahme durch „Anstoß!“, die Bundesvereinigung für Soziale Integration durch Sport. „Wir richten jedes Jahr in Deutschland die Straßenfußball-Meisterschaften für Teams aus Wohnungslosenhilfen, Suchthilfen und von Straßenzeitungen aus“, sagt Stefan Huhn. Außerdem treffe die Vereinigung die Auswahl und betreue das „Team Germany“ bei der WM. Das Ziel von „Anstoß!“ lautet: „Aktive Beteiligung statt passiver Fürsorge.“ Durch Sport, sagt Stefan Huhn, bekämen die Menschen in schwierigen sozialen Situationen wieder die Möglichkeit, zu einer regelmäßigen und verlässlichen Teilnahme in einer Gruppe. Für die Sozialarbeiter wiederum sei der Sport ein sehr effektives Instrument, einen Zugang zu den Klienten zu finden.

Auf das Turnier in der chilenischen Hauptstadt Santiago bereitet sich Oliver Gutwillinger mit zusätzlichen Einheiten im Fitnessstudio vor. „Wir wollen dort die deutschen Farben gut vertreten, auch wenn wir nicht zu den Favoriten gehören“, sagt er. Die kämen aus Südamerika, denn dort sei die Auswahl an Spielern sehr viel größer.