Angesichts steigender Containerzahlen soll die Hinterlandanbindung über die Schiene gestärkt werden. Das würde den An- und Abtransport von Waren erleichtern. Nun hofft die Hansestadt auf Geld vom Bund.

Hamburg. Die norddeutschen Bundesländer haben die Zeichen der Zeit erkannt. Ende Mai trafen sich in Hamburg die Regierungschefs von Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Dabei bezeichneten sie die Anbindung der Seehäfen über Straßen und Schienen als besondere Herausforderung der kommenden 15 Jahre.

„Wir vertreten nationale Interessen, wenn wir darauf hinweisen, dass die Exportnation Deutschland darauf angewiesen ist, dass man über See erfolgreich Güter abwickeln kann“, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil seinerzeit. „Dafür sind die norddeutschen Häfen und die Hinterlandanbindung von ausschlaggebender Bedeutung.“

Bereits im September 2008 hatten sich die fünf norddeutschen Bundesländer in Ahrensburg auf eine Liste von 24 vordringlich zu realisierenden, hafenrelevanten Verkehrsprojekten mit überregionaler Bedeutung geeinigt. Ziel war es, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen. So strebte man an, bis 2010 für alle Projekte der Ahrensburger Liste mindestens die Baureife zu erreichen. Davon ist man bei einigen Projekten weit entfernt. Bei anderen, für Hamburg besonders wichtigen Projekten wie den Ausbau der A1 und der A7 hat die Umsetzung aber begonnen.

Unterstützung von Bayern, Hessen und Baden-Württemberg

In Berlin dämmert es inzwischen auch Politikern aus anderen Bundesländern, wie wichtig die norddeutschen Häfen für die deutsche Wirtschaft sind. Was die Hinterlandanbindung des Hamburger Hafens angeht, so wird die Hansestadt inzwischen auch massiv von Bayern, Hessen und Baden-Württemberg unterstützt.

Die süddeutschen Bundesländer hätten lange nicht begriffen, wie wichtig die norddeutschen Seehäfen für ihre Wirtschaft seien, sagt Hafenexperte Günter Bonz. Legendär ist der Satz des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der einmal sagte, ihm sei der Hafen Genua näher als der Hafen Hamburg. Dabei würden zwei Drittel des Exportvolumens des (süddeutschen) Automobil- und des Maschinenbaus über deutsche Seehäfen abgewickelt.

Wer sich die Landkarte genau anschaut, stellt rasch fest, dass es von München nach Rotterdam weiter ist als nach Hamburg. Was Baden-Württemberg angehe, sei die Schienenanbindung an den Hamburger Hafen deutlich besser, heißt es. Da überrascht es nicht, dass ein großer Teil der Exportgüter aus osteuropäischen Ländern wie Polen oder Tschechien ebenfalls über den Hamburger Hafen verschifft wird.

Nordrhein-Westfalen habe hingegen andere Interessen, beklagen norddeutsche Verkehrspolitiker. Ihnen ist in erster Linie an einer besseren Hinterlandanbindung der niederländischen Häfen gelegen. NRW-Grüne haben sogar einen entsprechenden Antrag im Bundestag eingebracht.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz setzt derweil auf die Macht des unmittelbaren Eindrucks. Der Sozialdemokrat lässt keine Möglichkeit aus, Spitzenpolitiker anderer Bundesländer nach Hamburg einzuladen und ihnen den Hafen zu zeigen. Nur wer das mit eigenen Augen gesehen habe, begreife die Dimension des Hafens und seine Bedeutung für Deutschlands Wirtschaft, sagt der Senatschef.

Beim Autobahnbau ist Hamburg für die kommenden zehn Jahre gut versorgt

Was die Investitionen des Bundes in den Autobahnbau angeht, so ist Hamburg in den kommenden zehn Jahren gut versorgt. Die Erneuerung und Erweiterung der A7 vom Elbtunnel bis zur Landesgrenze inklusive des Baus von drei Lärmschutztunneln und der Erneuerung der Langenfelder Brücke in Stellingen ist genehmigt und muss für die Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan 2015 nicht noch einmal überprüft werden.

Weitgehend akzeptiert ist auch die Verbindung zwischen der A7 und der dann verlegten Wilhelmsburger Reichsstraße. Die Planung für die Weiterführung der A26 auf Hamburger Gebiet hat die bundeseigene Verkehrsmanagementgesellschaft Deges übernommen.

Insofern ist die vornehme Zurückhaltung im Hamburger Rathaus nachvollziehbar, zumal Bürgermeister Scholz davon ausgeht, dass die weitergeführte A26 die unfallträchtige Bundesstraße 73 deutlich entlasten wird.

Hamburg legt allerdings inzwischen mehr Wert auf die Ertüchtigung von Eisenbahnverbindungen, um die Hinterlandanbindung seines Hafens angesichts steigender Containerzahlen sicherzustellen. Olaf Scholz geht es vor allem um einen „kreuzungsfreien Güterverkehr“, also um östliche wie westliche Umfahrungsmöglichkeiten des Güterverkehrsbahnhofs Maschen und dessen Modernisierung.

Die für Hamburg „existenzielle“ Bedeutung leistungsfähiger Schienenverbindungen wird daraus ersichtlich, dass bereits jetzt rund ein Viertel des seeseitigen deutschen Außenhandels über den Hamburger Hafen abgewickelt wird. Prognosen zufolge sollen die deutschen Seehäfen bis 2030 jährlich um 2,8 Prozent wachsen.

Hamburgs Hoffnung ruhen darauf, dass die von ihm für den Bundesverkehrswegeplan 2015 angemeldeten Eisenbahnprojekte alles in allem nicht mehr als rund 400 Millionen Euro kosten sollen. Sie würden aber den An- und Abtransport von Schiffscontainern auf Jahre hinaus erleichterten.

Als Ende der 90er-Jahre die Verkehrsprognosen für den bisherigen Bundesverkehrswegeplan erstellt wurden, sei das exorbitante Wachstum der transportierten Gütermengen infolge der globalisierten Wirtschaft nicht absehbar gewesen, sagt CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer. Inzwischen hat die Containerisierung sich weitgehend durchgesetzt mit der Folge, dass die Bahn gefragter und der Bedarf an leistungsfähigen Schienenverbindungen größer denn je ist.

Von einer Entfernung ab 150 Kilometern lohne sich der Transport auf der Schiene, sagt Fischer und fügt hinzu: Hamburgs Hafen habe dank seiner Qualität als guter Eisenbahnhafen beste Voraussetzungen. Experten schätzen, dass mehr als 60 Prozent der Güter, die in Hamburgs Hafen umgeschlagen werden, per Bahn an- bzw. abtransportiert werden.

Hamburgs Erster Bürgermeister verweist gern darauf, dass viele Verkehrsplanungen noch aus der Zeit vor der Wende in der DDR stammten und damit bestehende Schienenverbindungen in Ostdeutschland zu wenig berücksichtigten. Beispielhaft stehe dafür die sogenannte Ostroute, die von Lübeck über Magdeburg und Leipzig in den Süden Deutschlands und Osten Europas führt. Es überrascht nicht, dass deren Ertüchtigung in den neuen Bundesverkehrswegeplan Eingang finden soll.

Experten wollen bei der Mineralölsteuer ansetzen, um mehr Geld einzunehmen

Die Sanierung der Verkehrsinfrastruktur ist unterfinanziert. Zwar stellt der Bund jährlich rund fünf Milliarden Euro dafür zur Verfügung. Experten schätzen den Bedarf allerdings erheblich höher ein – auf bis zu zwölf Milliarden Euro pro Jahr. „Wir wissen, dass wir allein zum Erhalt der Infrastruktur sieben Milliarden Euro pro Jahr brauchen“, sagt der Präsident der Handelskammer Hamburg, Fritz Horst Melsheimer.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig hatte im Frühjahr eine Debatte über die Finanzierung der Lücke im Haushalt der Infrastruktur eröffnet und eine Sonderabgabe aller Autofahrer („Schlaglochsteuer“) gefordert, um die zusätzlichen sieben Milliarden Euro jährlich aufbringen zu können. Hamburg erkennt an, dass mehr Geld ins System muss, hält sich ansonsten allerdings bedeckt.

Experten wie Dirk Fischer präferieren eine Umlage auf die Mineralölsteuer in Höhe von ein bis zwei Cent. Der Vorteil: Man bliebe unter der Wahrnehmungsschwelle, da die normale Schwankungsbreite bei den Benzin- und Dieselpreisen deutlich höher liegt. Entscheidend ist aber, dass die zusätzlichen Einnahmen – Fischer geht von bis zu 700 Millionen Euro im Monat aus – ohne großen bürokratischen Aufwand rasch zur Verfügung stünden.

Schattenhaushalt knebelt künftige Parlamente

Notwendig wäre, darin sind sich die Verkehrspolitiker einig, das Geld für einen Sonderhaushalt zu verwenden, der ausschließlich Verkehrsprojekte finanziert. Eine derartige „Zweckbindung“ von Steuereinnahmen ist allerdings nicht unproblematisch, da das Königsrecht des Bundestags – über den Haushalt entscheiden zu können – umgangen würde.

Dazu passt die Forderung des Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten und Haushaltsexperten Johannes Kahrs, der für den Verkehrsbereich nur zu gern das Prinzip des Verteidigungsministeriums übernehmen möchte. Dann würden alle Verkehrsprojekte, die mehr als 25 Millionen Euro kosten, als einzelne Maßnahme im Haushalt des Ministeriums ausgewiesen und müssten dem Verkehrs- sowie dem Haushaltsausschuss vorgelegt werden.

Haushaltsexperten verweisen darauf, dass die über Jahre praktizierte Vernachlässigung der Verkehrsinfrastruktur im Westen Deutschlands bereits zu einer Art „Schattenhaushalt“ geführt hat, der die Parlamente knebelt. Nicht nur Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Albig fürchtet, dass bald die Volksvertretungen überrollt werden, wenn nicht rasch gegengesteuert wird. Letztlich belastet jede unterlassene Sanierung künftige Generationen.

Dabei stehen die Länder inzwischen vor dem Problem, dass manche von ihnen gar nicht mehr Geld für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur ausgeben können, ohne gegen die selbst verordnete Schuldenbremse zu verstoßen. In Schleswig-Holstein beispielsweise wären jährliche Instandhaltungsausgaben in Höhe von rund 90 Millionen Euro notwendig, heißt es. Ab 30 Millionen Euro verstößt das Land gegen die Schuldenbremse.

Erschwert wird die Lösung des Problems durch die Debatte über eine Maut für Ausländer. Selbst in der Union bedauern inzwischen Verkehrspolitiker, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) durch sein Festhalten an der Maut die Chance vergibt, nachhaltig mehr Geld ins System zu bringen.

Die Einnahmen durch die Maut von schätzungsweise 600 Millionen Euro im Jahr reichten bei Weitem nicht aus, die Finanzlücke bei der Verkehrsinfrastruktur zu schließen. Außerdem, so fürchten viele Verkehrspolitiker, werde es nach Einführung der Maut auf Jahre hinaus in der Bevölkerung keine Bereitschaft geben, mehr Geld ins Verkehrssystem zu pumpen.

Hinter vorgehaltener Hand räumen Politiker ein, dass dem Verursacherprinzip in der Diskussion über den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur zu wenig Beachtung geschenkt wird. Studien zufolge hat sich die Zahl der Pkw auf deutschen Straßen in den vergangenen 15 Jahren kaum erhöht. Die Zahl der Lkw ist allerdings um bis zu 80 Prozent gestiegen.

Das eigentliche Problem sei daher die hohe Belastung einer Straße oder einer Brücke, wenn ein tonnenschwerer Lastkraftwagen darüberrollt. Zwar wurde die Lkw-Maut eingeführt – doch die Einnahmen, so jedenfalls die Politiker, reichen bei Weitem nicht aus, die Schäden zu beseitigen.

„Eigentlich müsste der Schwerlastverkehr überproportional an den Kosten zur Instandhaltung von Straßen und Brücken beteiligt werden“, sagt ein führender norddeutscher Verkehrspolitiker.

Um Haushalte künftiger Generationen nicht schon heute mit Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur zu belasten, wächst unter Politikerin die Einsicht, dass Behörden bei der Planung einer Infrastrukturmaßnahme diese komplett durchfinanzieren müssen. Vor dem Start müsse klar festgelegt sein, woher das Geld komme, sagt Kahrs. Und vom Moment der Fertigstellung an müssen Rückstellungen für eine Erneuerung gebildet werden.

Spätestens die massiven Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 – der bisherige Kopfbahnhof Stuttgart-Hauptbahnhof soll in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof umgebaut werden – haben deutlich gemacht, dass Infrastrukturprojekte hierzulande nicht mehr von oben herab verordnet werden können.

Davon, dass Umweltorganisationen vermehrt das Verbandsklagerecht nutzen, um Projekte wie eine weitere Elbvertiefung zu verhindern, kann jedoch nicht die Rede sein. „Im Durchschnitt gibt es im Jahr etwa 30 Klagen von Umweltverbänden gegen Infrastruktur- oder Industrieprojekte“, sagt Alexander Schmidt, Professor für Umwelt und Planungsrecht an der Hochschule Anhalt in Bernburg. Die Zahl habe sich seit elf Jahren nicht verändert.

Schmidt hat die 171 Verbandsklagen ausgewertet, die zwischen den Jahren 2007 und 2012 hierzulande erhoben wurden. Der Anteil der Verbandsklagen an den insgesamt von Verwaltungsgerichten abgeschlossenen Verfahren sei weiterhin sehr gering, heißt es in der im Februar veröffentlichten Studie. Was die Verfahrensdauer angehe, seien 62 Fälle innerhalb eines Jahres und weitere 33 Fälle innerhalb von etwa zwei Jahren abgeschlossen worden.

Die durchschnittliche Erfolgsquote der Klagen liege bei 46 Prozent. Das sei ein sehr guter Wert. Gingen private Personen gegen die Entscheidung einer Verwaltung gerichtlich vor, lägen die Aussichten auf Erfolg im Durchschnitt bei zwölf Prozent. Schmidt führt das auf die hohe Professionalität der Verbände zurück.

Grundsätzlich aber ist es Schmidt zufolge in Deutschland kaum möglich, große Infrastrukturprojekte mit der Hilfe einer Verbandsklage endgültig zu verhindern. „Die Möglichkeiten, ein Projekt endgültig zu stoppen, sind nicht besonders ausgeprägt.“ Umweltverbände könnten meist nur erreichen, dass die Verwaltungen bei Planungsfehlern nacharbeiten und zusätzliche Kompensationsmaßnahmen oder Umweltschutzauflagen festlegen.

Wolf Friedrich Spieth arbeitet bei der international tätigen Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer in Berlin und vertrat vor Gericht als Anwalt bereits viele Projektträger. Er rät allen Vorhabenträgern – staatlichen wie privaten –, die Umweltverbände ernst zu nehmen und so früh wie möglich mit ihnen ins Gespräch zu kommen. „Vor Gericht werden sie durch spezialisierte Anwälte vertreten und haben entsprechende Experten an der Hand“, sagt Spieth.

Auch Verkehrspolitiker glauben nicht, dass das gesetzlich verankerte Recht auf eine umfangreiche Bürgerbeteiligung zurückgedreht werden kann, selbst wenn Verzögerungen sie manchmal nerven. Stattdessen wachsen die Anforderungen an die Tiefbauämter, staatliche Großprojekte mit großer Qualität zu planen. „Wir brauchen im öffentlichen Dienst die besten Tiefbauer des Landes“, sagt ein führender Verkehrspolitiker.

Zudem geht es bei Bürgerbeteiligung darum, nicht nur vor Ort darüber abstimmen zu lassen. Eine feste Fehmarnbeltquerung beispielsweise betrifft nicht nur die Bewohner des Landkreises, wo der Tunnel auf das Festland trifft. Ihre Bedeutung reicht weit über den Norden Schleswig-Holsteins hinaus. Wenn aber weit mehr Bürger über überregional wichtige Verkehrsprojekte abstimmten, steigen die Chancen für eine sinnvolle Entscheidung.

Fließen bald mehr Milliarden in den Norden oder bleibt alles beim Alten?

Noch wird hinter den Kulissen in Berlin um den neuen Bundesverkehrswegeplan gerungen. Die große Frage lautet: Fließen durch die neuen Regeln mehr Milliarden in den Norden oder bleibt alles beim Alten, und Löcher an der einen Stelle werden nur dadurch gestopft, dass andere Projekte auf die lange Bank geschoben werden.

Günter Bonz und Johannes Kahrs jedenfalls haben festgestellt, dass für eine weitere Elbvertiefung, die gegenwärtig vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt wird, im Haushalt des Bundesverkehrsministeriums bislang kein Geld eingestellt worden ist.

Sollten die Leipziger Richter am 2. Oktober grünes Licht geben, werde man die geschätzten 300 Millionen Euro rasch aufbringen, heißt es beschwichtigend aus Berlin. Die Hamburger sorgen sich nun darum, dass andere norddeutsche Projekte darunter leiden könnten.

Das Dossier entstand in einem gemeinsamen Rechercheprojekt mit NDR 90,3