Altersschwache Schleusen bremsen in Deutschland den Schiffsverkehr aus. Anlagen aus der Kaiserzeit sind überfordert, Staus sind die Folge. Eine zügige Modernisierung scheitert nicht nur am Geld.

Kiel. Stuttgart 21, Berliner Flughafen, marode Autobahnen – Schiene, Luftfahrt und Straße lösen oft Aufregung aus. Kanäle und Flüsse fristen eher ein Schattendasein, obwohl ihre wirtschaftliche Bedeutung enorm ist. Der Sanierungsstau an den über 2000 Schleusen, Hebewerken, Wehren, Pumpwerken und Brücken ist es auch.

„Die Hälfte der Schleusen ist 80 bis 100 Jahre alt“, sagt der Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen und Schiffbau, Hans-Heinrich Witte. Die wohl wichtigsten Schleusen, die am Nord-Ostsee-Kanal, sind auch aus Kaisers Zeit. Ihre Modernisierung ist endlich auf dem Weg.

2013 blamierten Sperrungen der weltweit meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße Deutschland. „Die Wasserstraßen stehen leider nicht so im Fokus“, sagt Verkehrs- und Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg, Beauftragter der Union im Bundestag für die Maritime Wirtschaft. „Wie bei Straße und Schiene, ist es in den letzten zwei Jahrzehnten bei unterschiedlichen parteipolitischen Konstellationen versäumt worden, ausreichend Geld für die Infrastruktur bereitzustellen.“

Es fehlt nicht nur Geld, sondern auch Personal

Allein zum Substanzerhalt würde laut Witte jährlich eine Milliarde Euro benötigt. 2014 gibt es für Ersatz und Ausbau nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums 727 Millionen, 2015 dann 691 Millionen. In der Prioritätenliste folgen dem Nord-Ostsee-Kanal das westdeutsche Kanalnetz, Main, Mosel, Neckar, Rhein, die Verbindungen nach Berlin und die seewärtige Anbindung der Seehäfen. 227 Millionen Tonnen Güter wurden 2013 auf deutschen Flüssen und Kanälen befördert. 400 000 Arbeitsplätze hängen von Binnenschifffahrt und Häfen ab.

„Die Bundeswasserstraßen werden seit Jahrzehnten auf Verschleiß gefahren“, sagt Jörg Rusche vom Bundesverband der Binnenschifffahrt. „Um den Sanierungsstau zu beheben, müssen Investitionsmittel konsequent nach volkswirtschaftlichem Nutzen priorisiert und zusätzliche Planungskapazitäten geschaffen werden“, fordert Dieter Schweer aus der Hauptgeschäftsführung des BDI. „Sonst können auch in Zukunft wichtige Projekte nicht verwirklicht werden.“

Außer Geld fehlen Ingenieure und Juristen. „Mit unserem heutigen Planungspersonal können wir ein Investitionsvolumen von 450 bis 500 Millionen Euro im Jahr umsetzen“, sagt Verwaltungschef Witte. Der Substanzerhalt erfordere das Doppelte an Kapazität. Es werde auch personell ausgebaut. 2013 wurden 200 Millionen Euro aus dem Wasserstraßenetat nicht abgerufen, weil Projekte nicht baureif waren.

Von 5 Milliarden Euro, die der Bund bis 2017 zusätzlich in die Infrastruktur steckt, sind nur 350 Millionen für Wasserstraßen bestimmt. Der Löwenanteil entfällt auf den Nord-Ostsee-Kanal zwischen Kiel und Brunsbüttel, den jährlich mehr als 30 000 Schiffe passieren.

Verzögerungen durch Geldmangel, Auflagen und Gerichtsverfahren

Quälend lange warben Politik und Wirtschaft für die Modernisierung des Kanals, der für Ost-West-Handel und Hamburger Hafen enorm wichtig ist. Zahllosen Ankündigungen diverser Bundesminister folgte im April ein Durchbruch: 485 Millionen Euro billigte der Haushaltsausschuss des Bundestags für eine neue Schleuse in Brunsbüttel. Die jeweils 125 Millionen teure Sanierung zweier alter Kammern wurde auf Eis gelegt.

2020 soll das erste Schiff durch die 360 Meter lange und 45 Meter breite neue Schleuse fahren, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) zu. Wenn das klappt, werden bis dahin 21 000 Tonnen Spundwandstahl und 115 000 Kubikmeter Stahlbeton verbaut sein. Im Juni billigte der Ausschuss noch 265 Millionen für Begradigung und Verbreiterung der Oststrecke bei Kiel. Großes Aufatmen im Norden.

Aber allein die Binnenwasserstraßen sind 7300 Kilometer lang. 450 Schleusenkammern und 290 Wehre müssen erhalten oder ausgebaut werden. Geldmangel verzögert das oft, so steigen Kosten. Gerichtsverfahren wie bei der geplanten Vertiefung der Elbe und auf Klagen verhängte Umweltauflagen kommen dazu. Die Südstrecke des Dortmund-Ems-Kanals – eine der meistbefahrenen Wasserstraßen – sollte 2012 fertig sein, laut Binnenschifffahrtsverband wird das nichts vor 2022. Immerhin löste in Münster eine 140 Millionen Euro teure neue Schleuse ein Uralt-Bauwerk ab. Bis zu 50 Schiffe täglich sind dort abzufertigen.

Höhere Gebühren für Sportbootführer?

Die Mosel-Schleusen haben ihre Kapazität um 50 Prozent überschritten. Zwischen Koblenz und Saar stehen Schiffe oft im Stau, warten teils 16 Stunden lang. 10 000 Güterschiffe müssen die Schleusen jährlich bewältigen, im Sommer noch 5000 Fahrgastschiffe. Ende März begann in Trier der Bau einer zweiten Schleusenkammer; sieben weitere Schleusen an dem Fluss sollen für 455 Millionen Euro entsprechend ausgebaut werden. Um mehr Finanzierungsquellen zu erschließen, sollten aus Sicht des Binnenschiffer-Verbandes Seeschiffer auf Elbe und Weser sowie Sportbootführer stärker mit Gebühren herangezogen werden.

Viele Vorhaben stehen noch auf Wunschlisten. Die Vertiefung der Unterweser, neue Schleusen an der Mosel und Schleusenverlängerungen am Neckar gehören ebenso dazu wie die Elbe-Vertiefung oder bessere Zufahrten zu den Häfen Rostock und Wismar. Das Bundesministerium erwartet, dass der Umschlag der deutschen Seehäfen von 261 Millionen Tonnen im Jahr 2009 auf 759 Millionen im Jahr 2025 wachsen wird. Die Binnenschifffahrt soll auch weiter zulegen, aber nur moderat.