Im Gespräch mit dem Abendblatt verteidigt Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD) ihre Umweltpolitik. Sie wolle die Menschen überzeugen, nicht zwingen
Wilhelmsburg. Ein gutes Jahr ist es her, dass Jutta Blankau mit einem Großteil ihrer Behörde von der Stadthausbrücke nach Wilhelmsburg gezogen ist, in einen grellbunten Neubau neben der S-Bahn-Station. Damit wurden die Bereiche Stadtentwicklung und Umwelt auch räumlich zusammengeführt. Dennoch spiele die Umweltpolitik bloß eine Nebenrolle, moniert die Opposition – zumal Blankau mit dem Thema Wohnungsbau ausgelastet sei. Die Sozialdemokratin will das nicht auf sich sitzen lassen, geht im Abendblatt-Interview in die Offensive – und hält ein Plädoyer gegen Autos in der Stadt.
Hamburger Abendblatt: Frau Blankau, was ist Ihnen wichtiger: genug Wohnungen zu bauen oder den durch die Elbvertiefung bedrohten Schierlingswasserfenchel zu retten?
Jutta Blankau: Beides. Der Schierlingswasserfenchel wird ja gerettet. Wir investieren viel Geld, unter anderem im alten Moorburger Hafen, um diese seltene Pflanze zu schützen. Und sie wächst ja auch im Holzhafen, der jetzt zum Naturschutzgebiet geworden ist.
Müssten Sie als Umweltsenatorin nicht gegen die Elbvertiefung sein?
Blankau: Das ist ein klassischer Fall für den Gegensatz von ökonomischen und ökologischen Interessen. Die Behörden haben sich abgestimmt und dabei einen Kompromiss mit ausreichendem Ausgleich erzielt. Damit kann ich als Umweltsenatorin gut leben.
Zugegeben: Die erste war eine fiese Frage. Eine seltene Pflanze gegen Tausende Wohnungen. Aber der Hintergrund ist durchaus ernst: Kann eine Senatorin, die mit dem Wohnungsbau erfolgreich das zentrale Projekt dieses Senats organisiert, sich nebenbei wirklich für Umwelt- und Naturschutz einsetzen?
Blankau: Ich finde, dass wir beides gut unter einen Hut bekommen. Wir haben fast alle Ziele aus dem Wahlprogramm und dem Arbeitsprogramm des Senats umgesetzt. Was Naturschutz angeht: Es kommt noch das Naturdenkmal Kiwittsmoor dazu. Das Naturschutzgebiet Eppendorfer Moor wird auch noch erweitert. Außerdem haben wir den Lärmaktionsplan fertiggestellt und einen Luftreinhalteplan vorgelegt ...
... der aber offenbar nicht viel bringt.
Blankau: Das kann man so nicht sagen.
Die EU-Grenzwerte werden vor allem beim giftigen Stickstoffdioxid seit Jahren überschritten.
Blankau: Wie das leider in sehr vielen deutschen und europäischen Städten ist, sogar bei der aktuellen Umwelthauptstadt Kopenhagen.
Das stimmt. Es macht die Gifte, die laut BUND mehr als 200.000 Hamburger einatmen müssen, aber nicht weniger gefährlich, wenn auch Dänen oder Engländer unter ihnen leiden.
Blankau: Wir haben viele Maßnahmen auf den Weg gebracht: Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs und des Fahrradverkehrs, Landstromanbindung von Schiffen und vieles mehr. Zugleich haben wir gegenüber der EU eingeräumt, dass wir bis 2015 nicht überall unter den Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid kommen – alle anderen Grenzwerte halten wir nämlich ein, und das im Gegensatz zu anderen Städten. Aber wir haben auch gesagt, wann wir das schaffen werden, nämlich bald nach 2020.
Im Herbst steht eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht an. Der BUND will sie per Klage zu schärferen Maßnahmen zwingen, etwa einer Citymaut.
Blankau: Das sind Instrumente, die so gut wie nichts bringen. Das sieht man in London, aber auch in anderen Städten. Und die Plaketten der Umweltzone richten sich nur nach der Feinstaubbelastung – mit der Hamburg kein Problem hat – , nicht nach den Stickoxiden. Unser Problem sind vor allem Dieselfahrzeuge. Die geben heute zum Teil mehr Stickoxide ab als vor zehn Jahren. Es wäre Sache der EU, die Vorschriften zu ändern. Oder der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass Diesel stärker besteuert wird. Die im Vergleich zu Benzin geringeren Steuern haben ja dazu geführt, dass die Zahl der Dieselfahrzeuge seit 2000 kontinuierlich gestiegen ist. Man kann doch jetzt nicht den Bundesländern oder Städten die Verantwortung für etwas geben, das auf höherer Ebene falsch entschieden wurde. So oder so: Wir wollen in Hamburg grundsätzlich dafür sorgen, dass weniger Auto gefahren wird. Durch immer bessere Alternativen zum Auto.
Und führen deswegen Gebühren für Park-and-ride-Parkplätze ein?
Blankau: Das hat auch einen positiven ökologischen Effekt. Bisher sind viele Pendler aus dem Umland nach Hamburg reingefahren und haben ihre Autos etwa in Harburg abgestellt – weil sie in Niedersachsen für P+R zahlen mussten, in Hamburg aber nicht. Ziel muss es aber sein, dass die P+R-Nutzer eine möglichst geringe Strecke mit dem Auto fahren. Wenn sie nun auch in Harburg zahlen müssen, lassen sie den Wagen gleich in Lüneburg oder Stade stehen.
Und die Hamburger vom Stadtrand fahren gleich mit dem Auto in die Stadt.
Blankau: Diese Rechnung geht nicht auf. Wissen Sie, was ein Parkplatz in der Innenstadt kostet? Die Nutzung städtischer Infrastruktur hat nun mal ihren Preis. Und die P+R-Gebühren sind moderat.
Olaf Scholz plädiert immer für „ingenieurgetriebenen Umweltschutz“. Ist die Einführung einer Stadtbahn da nicht ein Muss? Die fährt mit null Emissionen durch die Stadt.
Blankau: Die schwarz-grünen Versuche haben gezeigt, wie groß der Widerstand gegen eine Stadtbahn sein kann. Außerdem sehen wir gerade in vielen europäischen Städten, dass seit zehn Jahren in erster Linie die U-Bahn-Netze ausgebaut werden. Weil sie viel größere Kapazitäten haben und schneller sind. Das haben wir ja nun auch vor: Wir wollen die U4 verlängern und eine neue U5 bauen. Und null Emissionen sollen auch die Busse von 2020 an haben.
Naturschützer bemängeln, dass in Hamburg auch aufgrund von Wohnungsbau immer mehr Grünfläche verloren gehe – alle zwei Jahre eine Fläche so groß wie die Außenalster. Außerdem gibt es jedes Jahr rund 6000 Bäume weniger in der Stadt. Brauchen sie erst einen grünen Koalitionspartner, um da gegenzusteuern?
Blankau: Unsinn. Unsere großen Bauprojekte wie die HafenCity oder die Mitte Altona entstehen auf Konversionsflächen. Da geht kaum Grün verloren. Und wo wirklich Grünflächen in größerem Stil tangiert waren, schaffen wir Ausgleich. Gucken Sie sich das Landschaftsschutzgebiet Wilhelmsburger Osten an. Das hat der BUND lange gefordert. Und wir haben es eingeführt.
Trotzdem sinkt die Zahl der Bäume von Jahr zu Jahr.
Blankau: Ich will das Problem gar nicht verhehlen. Das hat aber vor allem etwas mit der Erkrankung vieler Bäume zu tun, wie etwa mit der Schleimflusskrankheit in den Kastanien – aber auch mit dem Klimawandel. Wir arbeiten mit der Uni an einer Untersuchung, welche Bäume als Straßenbäume besonders gut geeignet sind. Trotz aller Probleme: Jeder, der mal mit dem Flugzeug in Hamburg gelandet ist, weiß, dass dies eine durch und durch grüne Stadt ist. Nur einmal zum Vergleich: In Kopenhagen gibt es 17.000 Straßenbäume, in Wien 100.000, in München 110.000. Und in Hamburg? 230.000.
Ein Umweltthema, bei dem Hamburg schlecht dasteht, ist das Recycling. Das vom Bund vorgegebene Ziel lautet: 65 Prozent Recyclingquote. Hamburg liegt bei etwa 34 Prozent. Viele sagen: Das liegt daran, dass Hamburg zu hohe Müllverbrennungskapazitäten hat und die Anlagen mit Restmüll beliefern muss.
Blankau: Es stimmt, wir hinken da hinterher. Aber wir waren, das muss man auch einmal betonen, bundesweit die Ersten, die Schluss mit den Mülldeponien gemacht haben. Und die Entwicklung beim Recycling geht jetzt in die richtige Richtung. Die Restmüllmengen sind deutlich zurückgegangen, die Recyling-Mengen nehmen zu. Wir haben eine Recycling-Offensive auch zusammen mit unserem Bündnis für das Wohnen gestartet. Damit wollen wir erreichen, dass es in Mehrfamilienhäusern überhaupt genug Platz für Wertstofftonnen gibt. Das ist ein sehr praktisches Problem.
Ist die Zeit der großen Müllverbrennungsanlagen bald vorbei?
Blankau: Verbrannt wird ja nur der Restmüll. Da der glücklicherweise immer weniger wird, brauchen wir weniger Verbrennung. Von den zwei der vier Hamburger Anlagen nimmt die Stadtreinigung auf längere Sicht Abschied: Stellinger Moor und Stapelfeld. Das ist ein Signal. Bleiben noch die Anlagen Borsigstraße und Rugenberger Damm.
Ist es nicht angesichts der deutlich zu geringen Recyclingquote in Hamburg sinnvoll, auch Bußgelder zu verhängen?
Blankau: Die müssten dann die Eigentümer zahlen, nicht die Mieter. Und Recycling lebt vom Mitmachen. Wir wollen die Menschen zunächst auf andere Weise zum Mülltrennen bewegen.
Dann muss man aber auch irgendwann Bilanz ziehen: Reichen die Maßnahmen und Angebote, oder nicht? Beim Müll oder bei der Luftbelastung reichen sie offenbar in Hamburg nicht.
Blankau: Sehen Sie sich mal die Bilanz unseres Wohnungsbauprogramms an: Wir haben alle Ziele erreicht. Und wie haben wir das geschafft? Nicht durch Anweisungen oder Strafandrohungen, sondern durch ein System von Anreizen für die Bezirke und die Bauwirtschaft, durch Investitionen, durch ein Bündnis. Mit ähnlich positiven Ergebnissen rechne ich bei der Recycling-Offensive. Und die stetig wachsenden Nutzerzahlen beim HVV zeigen, dass die Entwicklung auch beim Verkehr in die richtige Richtung geht. Um es klar zu sagen: Wir wollen weniger Autoverkehr in der Stadt. Wir wollen mehr Radverkehr und eine weiter steigende Nutzung des HVV. Das Auto gilt bei jüngeren Leuten sowieso schon als unattraktiv. Es ist also gar nicht nötig, Autofahrer zu bestrafen. Und das werden wir auch nicht tun.
Wie sieht für Sie die moderne, lebenswerte Stadt der Zukunft aus – das Hamburg der Zukunft?
Blankau: Deutlich weniger Autoverkehr. Mein Appell: Wir alle sollten das Auto in einem Ballungsraum wie Hamburg nur noch benutzen, wenn es wirklich nicht anders geht. Denn ein Großteil der Belastung der Luft und des Lärms geht auf den Individualverkehr zurück. Zu einer modernen Stadt der Zukunft gehört auch eine moderne Industrie mit Innovationen, die dem Umweltschutz zugutekommen. Denn ich glaube, dass wir auch künftig Industrie in den Ballungszentren brauchen. Insgesamt lässt sich mein Ziel auf einen Nenner bringen: Ich will die grüne, gerechte Stadt am Wasser.