Ein Computermodell soll aufzeigen, wie Hamburg im Jahr 2050 und 2100 aussehen könnte und wie es den Bürgern der Hansestadt gehen wird. Das Projekt „gesunde Stadt“ startet Anfang 2015.
Hamburg. Wie sollte Hamburg in 40 oder 90 Jahren aussehen, damit es den Bürgern gut geht? Oder andersherum: Welche Auswirkungen haben verschiedene Entwicklungstrends der Stadt auf das Wohlbefinden der Einwohner? Forscher der Universität Hamburg, der HafenCity Universität, vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht und Max-Planck-Institut für Meteorologie, der Technischen Universität und des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) wollen zusammen ein umfassendes Computermodell vom Stadtorganismus entwickeln, mit dem sich die oben gestellten Fragen beantworten lassen. Das Projekt „gesunde Stadt“ startet Anfang 2015; ein Basismodell soll bis Ende 2018 entstehen.
„Der Grundgedanke kommt von unserem Exzellenzcluster CliSAP“, sagt Dr. Jürgen Oßenbrügge, Geografie-Professor am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) und einer der Sprecher des Projekts. CliSAP befasst sich mit globalen Klimaänderungen, mit deren regionalen Aspekten inklusive Folgen für die Menschen. Das neue, von der Stadt mit 1,2 Millionen Euro geförderte Projekt beschränkt sich inhaltlich auf Hamburg, soll aber noch mehr Fachbereiche in das neue Modell integrieren.
Trends von der Altersentwicklung bis zum Klimawandel werden integriert
Gerade hat Umweltsenatorin Jutta Blankau angekündigt, mit drei Millionen Euro die Anlage von begrünten Dächern zu fördern. „Wir wissen, dass Gründächer das Stadtklima verbessern“, so Oßenbrügge. „Aber wir können nicht sagen, ob sich Hitzeperioden abpuffern ließen, wenn alle Hamburger Dächer gegrünt würden.“ Hier könnte das neue Modell weiterhelfen. Aber es soll inhaltlich einen weit größeren Bogen schlagen. Etwa indem es die Altersentwicklung der Bevölkerung berücksichtigt – ältere Menschen haben andere Umweltansprüche als jüngere –, auch dies ist ein Faktor einer „gesunden Stadt“. Diesen eher medizinischen Teil wird Prof. Matthias Augustin vom UKE beisteuern.
Oßenbrügge: „Wir nutzen die großen Modellierungserfahrungen aus der Klima- und Erdsystemforschung. Auch andere Disziplinen arbeiten mit Modellen. Diese gilt es zusammenzuführen – das ist eine Herausforderung, denn es gibt unterschiedliche Modellstrukturen. Zudem müssen wir weitere Aspekte integrieren, um am Schluss ein Stadtmodell zu bekommen, das sich auf das Wohlergehen der Einwohner bezieht.“
Eine weitere Herausforderung seien die längeren Zeiträume, sagt der Stadtentwicklungsexperte: „Wir wollen Szenarien für die Jahre 2050 und 2100 rechnen. Dazu brauchen wir Annahmen, wie sich Hamburg in diesem Jahrhundert entwickeln wird. Das ist etwas waghalsig – die längsten Prognosen, etwa zur Bevölkerungsentwicklung, reichen bis 2030. Aber die Baustruktur der Stadt ist dauerhafter, hier finden Entwicklungen über Jahrzehnte statt.“
Viele Gesundheitsrisiken durch Klimawandel und Umwelteinflüsse sind bekannt. So ist damit zu rechnen, dass Hitzeperioden länger und intensiver werden und die Zahl der Tropennächte steigt. Beides ist vor allem für Senioren belastend. Städte wirken mit ihrem wärmespeichernden Häusermeer und relativ wenigem Grün als Wärmeinseln im kühleren Umland.
Die Meteorologin Prof. Heinke Schlünzen, zweite Sprecherin des Projekts „Gesunde Stadt“, hat diesen Effekt anhand von Messdaten des Deutschen Wetterdienstes in Zahlen gefasst. Demnach sind die Monatsmittel der tiefsten nächtlichen Temperaturen im Umland (Messstationen Grambek und Ahrensburg) bis zu 2,5 Grad niedriger als in der Innenstadt (St. Pauli).
Mindestens ebenso bekannt wie die Klimafolgen sind die gesundheitlichen Auswirkungen von Luftschadstoffen, etwa aus dem Straßenverkehr. Was fehlt, sind Aussagen über das Zusammenwirken von Klimaänderungen und Luftbelastung. Oßenbrügge: „Wir wissen nicht, ob die Luftqualität bei höheren Temperaturen sinken wird – das können wir bislang nur vermuten.“ Der Geograf nennt dies „Multistress-Situationen“ und fügt noch einen Stressfaktor hinzu: „Eine Stadt sollte so aufgebaut sein, dass ihre Bürger einen Stromausfall auch bei schlechter Luftqualität und Hitze verkraften können.“
Zu einer gesunden Stadtumgebung gehören auch soziale Aspekte wie Armut und soziale Ausgrenzung. „Wir haben verschiedene Untersuchungen zur sozialen Stadt durchgeführt, etwa zu benachteiligten Stadtteilen“, sagt der Geograf. „Eine wichtige Frage ist die der Verwundbarkeit – wer hat unter Veränderungsprozessen zu leiden? Unser Team kümmert sich darum und das UKE um die Frage, welche Einflüsse zu welchen Krankheiten führen.“
Meteorologe, Geografen, Modellierer und Mediziner bilden das Stammpersonal des neuen Projekts, es sind aber weit mehr Disziplinen vertreten, darunter Biologen und Verkehrsplaner. Schließlich fördern die Wohlfahrtswirkungen von Bäumen und anderem Grün (u.a. Erholung, Staubfilter, kühlender Effekt bei Hitze durch Verdunstung) das Wohlergehen der Bürger. Dagegen sind Lärm und Schadstoffemissionen vom Personen- und Güterverkehr kontraproduktiv. Deshalb wird auch die Entwicklung der Kraftstoffpreise in das Modell integriert, denn sie hat Einfluss auf das Mobilitätsverhalten.
Das Konzept der Innenverdichtung könnte der Luftqualität schaden
Die im neuen Modell gerechneten Szenarien könnten städtebauliche Leitbilder verändern, urteilt Jürgen Oßenbrügge. So verfolge der SPD-Senat das Konzept der Innenverdichtung, um den kritisch hohen Flächenverbrauch einzudämmen. Doch eine kompaktere Stadt erwärme sich schneller. Der Luftaustausch werde geringer – auf Kosten der Luftqualität. „Die Innenverdichtung wird die Probleme verstärken; wir müssen die Folgen des Klimawandels und die Stadtentwicklung koppeln.“
Ein solch komplexes Computermodell lässt sich kaum innerhalb von drei Jahren bis zur Anwendungsreife entwickeln. „Das jetzige Projekt sehen wir als Startfinanzierung“, erläutert Oßenbrügge. „Es ist unser Ziel, einen Sonderforschungsbereich daraus zu machen, der ist dann auf zwölf Jahre ausgelegt. Das Hamburger Stadtmodell ist das Pilotprojekt.“ Es soll gleichzeitig als Basismodell dienen, das auf andere Städte weltweit übertragen werden kann. „Dazu müssen wir die Hamburger Besonderheiten, etwa den recht hohen Grünanteil an der Stadtfläche, später wieder herausnehmen“, sagt Oßenbrügge.
Aber zunächst muss das Computermodell überhaupt erst entstehen – und die Hamburger Lebensverhältnisse hinreichend genau abbilden können.