Reederei lässt ihre Schiffe künftig auf spezialisierten Werften abwracken. Bislang hohe Giftbelastung für Arbeiter und Umwelt in Asien. Mehr als 1000 Frachtschiffe werden Jahr für Jahr ausgemustert.
Hamburg. Deutschlands führende Linienreederei Hapag-Lloyd will ihre ausgedienten Frachtschiffe künftig nicht mehr auf dem Gebrauchtmarkt verkaufen, sondern umweltgerecht auf Abwrackwerften entsorgen. Eine entsprechende Änderung der Firmenpolitik habe der Vorstand beschlossen, bestätigte ein Firmensprecher in Hamburg. Damit wolle Hapag-Lloyd sicherstellen, dass die „Old Ladys“ nach jahrzehntelanger Fahrt nicht unter überaus fragwürdigen Umwelt- und Sozialbedingungen an Stränden von Indien, Pakistan und Bangladesch enden. Die Entscheidung für diesen Schritt sei im Mai noch vor dem Wechsel des Vorstandsvorsitzes von Michael Behrendt zu Rolf Habben Jansen gefallen. Habben Jansen hatte zum 1. Juli die Führungsposition bei Hapag-Lloyd übernommen.
Mehr als 1000 Frachtschiffe werden Jahr für Jahr ausgemustert und abgewrackt, die meisten davon auf den Stränden des indischen Subkontinents. Die Schiffe enthalten tonnenweise Giftstoffe, von Asbest und Blei über Schwermetalle und Betriebsstoffe bis zu Chemikalien wie PCB. Nach Angaben der Organisation The Shipbreaking Platform sind viele der Arbeiter noch nicht einmal 15 Jahre alt und tödliche Arbeitsunfälle an der Tagesordnung. Diesen Zuständen wolle Hapag-Lloyd keinen Vorschub leisten, sagte der Sprecher. „Wir begrüßen diesen Schritt von Hapag-Lloyd außerordentlich und hoffen, dass andere Reedereien ihn sich zum Vorbild nehmen“, sagte Patrizia Heidegger, die Chefin der Shipbreaking Platform. Nach ihren Angaben entsorgt von den drei größten Reedereien nur die dänische Mærsk-Gruppe ihre Schiffe nach europäischen Umwelt- und Sozialstandards.
Bislang verkaufte Hapag-Lloyd ausgemusterte Schiffe an andere Betreiber und erzielte für die top gepflegten Frachter oft noch gute Preise. Die Schiffe blieben dann in Fahrt. „Wir haben aber in den letzten Jahren festgestellt, dass die Erwerber die Schiffe relativ schnell zur Verschrottung gegeben haben“, erklärte der Sprecher. Hintergrund ist die anhaltende Schifffahrtskrise. Nicht nur die Frachtraten und Erträge der Reedereien bewegen sich seit Jahren auf Kellerniveau, sondern auch die Preise für gebrauchte Schiffe sind stark gefallen. Damit wird es lukrativer, den Schrottwert zu erlösen, als die Schiffe in Fahrt zu halten.
Im vergangenen Jahr wurden in Pakistan, Indien und Bangladesch 655 Schiffe abgewrackt. Die Besitzer erhalten nach Angaben des Londoner Schiffsmaklers EA Gibson für eine Tonne Schrott in diesen Ländern 455 bis 470 Dollar; das macht für ein kleineres Containerschiff 2,6 bis 2,7 Millionen Dollar. In China dagegen, wo die Schiffe unter Aufsicht auf Werften entsorgt werden, erlösen die Eigner nur 308 Dollar je Tonne Altstahl, rund ein Drittel weniger. Bezogen auf das ganze Schiff fehlt somit fast eine Million Dollar.
Ähnlich sieht die Rechnung für das erste Hapag-Lloyd-Schiff aus, das auf einer chinesischen Werft abgewrackt wird. Die „New Orleans Express“, Baujahr 1989, ein 240 Meter langes Frachtschiff mit einer Tragfähigkeit von rund 3000 Containern, fuhr zuletzt zwischen dem Mittelmeer und Kanada. Sie enthält 14.000 Tonnen Stahl – auf Basis der Preise für 2013 kostet Hapag-Lloyd die umweltgerechte Entsorgung in China gegenüber einer optimalen finanziellen Verwertung rund zwei Millionen Dollar Mindereinnahme.
Hamburg Süd wrackt bereits seit dem Jahr 2000 nach strengen Standards ab
Deutschlands zweitgrößte Linienreederei Hamburg Süd lässt ihre Schiffe nach eigenen Angaben schon seit dem Jahr 2000 zu strengeren Standards in eigener Regie abwracken. „Für uns ist das nicht neu“, sagte Hamburg-Süd-Sprecherin Eva Graumann dem Abendblatt. „Unsere bislang letzten Schiffe wurden bei einer spezialisierten Werft in der Türkei in unserer Regie abgewrackt.“ Greenpeace hatte gegen die Oetker-Gruppe, Eigner von Hamburg Süd, im Jahr 1998 wegen der Abwrackung dreier Containerschiffe der „Columbus“-Klasse eine Medienkampagne gestartet. Seinerzeit bekam die Praxis des Abwrackens auf Strandplätzen wie im indischen Alang erstmals eine breitere Öffentlichkeit – unter dem Druck von Umweltverbänden. Deutlich wurde: Hoch problematisch sind nicht nur die giftigen Stoffe, denen die Abwrackarbeiter ausgesetzt sind, sondern auch der oft miserable Arbeitsschutz und schließlich eine geringe Bezahlung für körperlich harte Arbeit.
Hapag-Lloyd und Hamburg Süd gehört der größere Teil ihrer Flotten selbst. Einen Teil ihrer Schiffe chartern sie zu, vor allem von den in Hamburg zahlreichen Charterreedereien. Bei deren Flotten ist das Eigentum anders verteilt. „Ein großer Teil der deutschen Handelsflotte gehört vielen Anteilseignern“, sagt Christof Schwaner vom Verband Deutscher Reeder (VDR) in Hamburg. Schiffsfonds, die Eignerunternehmen dieser Schiffe, finanzieren sich aus dem Eigenkapital vieler Anleger sowie aus dem Fremdkapital von Banken. Bei Fondsschiffen ist die Reederei gegenüber den Anlegern vertraglich verpflichtet, die Frachter zum höchstmöglichen Preis zu verkaufen. Heidegger hält das für eine Ausrede. Schließlich könnte in den Verträgen zwischen Reedern und Anlegern auch die Einhaltung hoher Umwelt- und Sozialstandards festgelegt werden. Doch die Verträge sind wie viele der Schiffe teils schon Jahrzehnte alt.
Glücklich sind die Reeder mit dem Status quo nicht. „Die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO) hat schon 2009 das sogenannte Hongkong-Übereinkommen verabschiedet, das weltweit einheitliche Standards für die Arbeitssicherheit und den Schutz der Umwelt beim Schiffsrecycling festlegt“, sagt VDR-Hauptgeschäftsführer Ralf Nagel: „Das ist ein scharfes Schwert.“ Allerdings heißt das längst nicht, dass es auch gezückt und geschwungen wird. Denn: Bis auf Norwegen, den Kongo und Frankreich hat noch kein Land die Konvention ratifiziert. Alle anderen Staaten lassen sich bislang Zeit damit – auch Deutschland.