In einer fünftätigen Anhörung wurde die Elbvertiefung am höchsten deutschen Verwaltungsgericht in Leipzig verhandelt. Ein Urteil steht noch aus. Klar aber ist bereits: Der Prozess ist Pionierarbeit.

Hamburg. Am fünften Tag der öffentlichen Anhörung im Bundesverwaltungsgericht sprach der Vorsitzende Richter Rüdiger Nolte einen entscheidenden Satz: „In seiner ursprünglichen Form wäre der Planfeststellungsbeschluss nicht entscheidungsreif gewesen.“ Dieser Satz am vergangenen Mittwoch machte einen Kernpunkt im Mammutverfahren zur Verbreiterung und Vertiefung der Elbfahrrinne deutlich.

Seit Jahren haben die zuständigen Behörden – die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und die Hafenverwaltung Hamburg Port Authority – immer wieder einzelne Punkte des Planverfahrens verändert, ergänzt, präzisiert, noch bis zum letzten Tag der Anhörung in dieser Woche. So auch im Oktober 2013, als sie eine Planergänzung hinzufügten, auf die sich der Vorsitzende Richter mit seinem Satz bezog.

Auch nach seinerzeit sieben Jahren Planung hätte das Gesamtwerk im Herbst 2013 sonst nicht die Zustimmung des Gerichts gefunden. Und es bleibt weiterhin offen, ob es in seiner bis zuletzt aktualisierten Fassung rechtmäßig ist. Am 2. Oktober will das Gericht bekannt geben, ob in der Anhörung mit den Streitparteien alle vorgegebenen Fragen beantwortet werden konnten, ob das Gericht nun ein Urteil sprechen wird oder ob der 7. Senat eine rechtliche Präzisierung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg abwarten muss. Das würde wohl bis zum Frühjahr 2015 dauern.

In jeder Hinsicht Pionierarbeit

Das Gerichtsverfahren zur Elbvertiefung ist in jeder Hinsicht Pionierarbeit. Noch nie stand ein so vielschichtiges Verfahren zur Erweiterung eines Verkehrsweges in Deutschland vor Gericht. Damit aber nicht genug: Das Bundesverwaltungsgericht agiert als erste und als letzte Instanz zugleich, so will es der Gesetzgeber seit einigen Jahren, um Planungsverfahren zu beschleunigen.

Das Gericht muss die vorliegenden Fakten und Tatsachen bewerten, alle Argumente von Klägern und Beklagten abwägen und sie abschließend beurteilen. Das zu allem Überfluss vor dem Hintergrund, dass etliche Experten bei der Umsetzung des europäischen Wasserrechts grundsätzlich Bedarf für weitere Präzisierungen sehen – auch die Bundesverwaltungsrichter in Leipzig selbst.

Nach Vorlage des Planfeststellungsbeschlusses zur Elbvertiefung klagten unter anderem die Umweltverbände Bund und Nabu dagegen. Wenig später, im Oktober 2012, erwirkten sie per Eilverfahren den Stopp der Bauarbeiten und die Aufnahme eines Hauptverfahrens. Gut 2600 Seiten Planungsunterlagen liegen bei Gericht in Leipzig, „und mittlerweile eine ebenso umfassende Gerichtsakte“, wie Bundesrichter Nolte, Vorsitzender des 7. Senats im Bundesverwaltungsgericht, zu Beginn der Anhörung sagte.

„Strenger kann man die Wasserrahmenrichtlinie kaum auslegen“

In der Vorarbeit und in der öffentlichen Anhörung beschäftigten sich die Richter mit einer Respekt gebietenden Flut an Details und fachlichen Vertiefungen: mit dem Strömungsverhalten der Elbe an ihrer Mündung und mit Methoden zur mehrdimensionalen Modellierung des Flussgrundes, mit der Gelegegröße der Löffelente, den Bewuchsumständen des Tidenröhrichts und der Fortpflanzung des Schierlingswasserfenchels, mit dem Salz- und Schwebstoffgehalts des Elbwassers und mit der Frage, wie die Elbe vertieft und verbreitert werden soll, ohne dabei relevante ökologische Größen zu verschlechtern.

„Das strenge europäische Recht verstärkt die Notwendigkeit, ein Vorhaben wie das zur Fahrrinnenanpassung der Elbe detailliert zu begründen“, sagt Rechtsanwalt Stefan Wiesendahl, Experte für Europäisches Umweltrecht bei der Kanzlei Kümmerlein in Essen, der das Verfahren, obwohl selbst nicht eingebunden, genau verfolgt. Wiesendahl ist überzeugt, dass die Planungsbehörden sorgfältig gearbeitet haben. „Die Behörden haben diese Ergänzungen im Detail betrachtet und bewertet, welche Auswirkungen die Anpassung der Elbfahrrinne auf die Wasserqualität überhaupt haben kann – viel strenger kann man die Europäische Wasserrahmenrichtlinie kaum auslegen, als es Hamburg und der Bund hier getan haben.“

Die Planänderung im Oktober 2013 hatte vor allem das Ziel, alle möglichen Szenarien zu untersuchen, bei denen sich nach den Baggerarbeiten auch eine Verschlechterung der Wasserqualität in der Elbe ergeben könnte. Nur mit dieser Art Vorsorge haben die Behörden überhaupt die Chance, vor Gericht eine Ausnahmegenehmigung „im übergeordneten öffentlichen Interesse“ zu erwirken. Die brauchen sie für die Umsetzung des Großprojekts zwingend, weil sie nicht ausschließen können, dass hier und dort zumindest geringe Verschlechterungen, gemessen an den europäischen Vorgaben, eintreten.

Hafenwirtschaft drängt auf Erweiterung der Fahrrinne

Für Hamburg ergibt sich aus all dem eine höchst anspruchsvolle Gemengelage: Die Hafenwirtschaft und die städtische Politik drängen seit Jahren darauf, die Fahrrinne zu erweitern, damit eine wachsende Zahl größerer Schiffe mit möglichst geringen Einschränkungen in die Hansestadt kommen kann. Aus Sicht der maritimen Wirtschaft ist das unabdingbar, damit Hamburg den Anschluss im Wettbewerb der nordeuropäischen Häfen halten kann und 150.000 hafenabhängige Arbeitsplätze in Norddeutschland langfristig gesichert werden.

Geplant sind Begegnungszonen vor Hamburg, damit besonders breite Schiffe einander passieren können. Zudem soll die Fahrrinne um einen Meter vertieft werden, damit aus Hamburg ausgehende Schiffe künftig auf der Flutwelle maximal 14,50 Meter Tiefgang haben können. Den nautischen und wirtschaftlichen Bedarf für eine Erweiterung der Fahrrinne erkannte der Vorsitzende Richter Nolte während der Verhandlung an: „Das erscheint dem Senat schlüssig.“ Ein wichtiger Erfolg für die Planungsbehörden.

Die Umweltverbände nutzen in diesem komplexen Verfahren erneut das Verbandsklagerecht, das ihnen der Gesetzgeber in den 2000er-Jahren einräumte. Aus Sicht von Nabu, BUND und dem sie unterstützenden WWF ist eine weitere Elbvertiefung ökologisch nicht zu verantworten. Es wäre die insgesamt neunte in den vergangenen 200 Jahren.

Rund 100 Tonnen Fischkadaver trieben in der Elbe

„Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben sich schon vor zehn Jahren zum Ziel gesetzt, die Qualität der Europäischen Gewässer zu verbessern. Dafür muss man eine Menge tun“, sagt Alexander Porschke, früher Umweltsenator der Hansestadt und heute Vorsitzender des Nabu Hamburg. „Eine Erweiterung der Elbfahrrinne würde zum Beispiel den Sauerstoffgehalt des Wassers weiter verschlechtern. Wir wollen aber eine deutliche Verbesserung erreichen, zum Beispiel eine ganzjährige Untergrenze von mindestens sechs Milligramm Sauerstoff je Liter Wasser, damit es unter anderem zu solchen saisonalen Phänomenen wie dem Fischsterben in den vergangenen Wochen nicht mehr kommt.“

Rund 100 Tonnen Fischkadaver waren jüngst von der Hafengrenze bis 15 Kilometer elbabwärts erfasst worden, Lachs, Aal, Meerforelle oder Stint. Der heiße und regenarme Sommer hatte auch die Algenblüte an der Oberelbe verstärkt. Absterbende Algen trugen flussabwärts dazu bei, den Sauerstoffgehalt der Elbe bei Hamburg auf bis zu 1,5 Milligramm zu drücken, die Fische benötigen zum Überleben aber mindestens drei Milligramm Sauerstoff je Liter. Mit Blick auf die ökologische Gesamtlage an der Unterelbe und auf mögliche Folgen der Elbvertiefung hatte Rüdiger Nebelsieck, Anwalt der klagenden Verbände, vor Gericht in Leipzig die Ablehnung des Projekts beantragt, zumindest aber einen Verweis des Verfahrens an den Europäischen Gerichtshof.

Die Umweltverbände können den Verlauf des Verfahrens schon jetzt als Erfolg für sich verbuchen. Bereits im Verfahren zur Weservertiefung hatte der Hamburger Anwalt Nebelsieck mit seinem Team die Einbindung des höchsten europäischen Gerichts erwirkt. Beim Elbverfahren erreichten die Kläger bis in die Anhörung hinein Präzisierungen und Änderungen des Planverfahrens – die Umweltverbände etablieren sich damit als feste Einflussgröße bei der Planung und Realisierung von Großprojekten.

„Die Elbe ist keine Autobahn“

„Es wäre besser, Wege zu finden, um die Umweltverbände früher in solch ein Verfahren einzubinden und damit das Klagerisiko zu verringern“, sagt Albrecht Kramer, der frühere langjährige Ältermann der Lotsenbrüderschaft Elbe, der selbst an den Planungen zur Verbreiterung und Vertiefung der Elbe beteiligt war und der auf eine Genehmigung der Pläne hofft. In den vergangenen Jahren allerdings konnten sich die Verbände und die Planungsbehörden nicht darauf verständigen, welche Form der Kooperation denn angemessen und richtig wäre.

Die Anwälte und Experten der Planungsbehörden wiederum blieben keine Antwort auf die Nachfragen des Gerichts schuldig, wenngleich sie zur Erarbeitung eines Nachtrags von Dienstag auf Mittwoch sogar einmal eine Nachtschicht einlegen mussten.

In seinem Schlusswort fasste Professor Wolfgang Ewer, Anwalt der Hamburger Planungsbehörde, die Einflüsse der Elberweiterung auf die zahlreichen Tier- und Pflanzenarten am Fluss zusammen: „Die Elbe ist keine Autobahn, die Erweiterung der Fahrrinne deshalb auch mit dem Ausbau einer Autobahn nicht vergleichbar“, sagte er. „Das ökologische System des Elbeästuars ist hoch dynamisch, es passt sich an von Menschen verursachte Veränderungen wie auch an natürliche Schwankungen immer wieder an. Die Folgen, die eine Fahrrinnenanpassung hätte, gingen in einem natürlichen Grundrauschen dieses Lebensraums unter.“

„Zum Glück ist das hier nicht China“

So bleibt die Elbvertiefung weiterhin das bislang größte Experimentierfeld für europäisches Umwelt- und Gewässerrecht. Immerhin: Das weniger komplexe Verfahren zur Vertiefung der Außenweser nahm aus Sicht seiner Planer einen weit schlechteren Verlauf. Nach kurzer Anhörung erkannte der ebenfalls zuständige 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts im vergangenen Jahr bei den Planungen deutliche Mängel. Zudem forderten die Richter Präzisierungen zum europäischen Wasserrecht. Das Verfahren wurde ausgesetzt, offene Fragen zur Klärung an den Europäischen Gerichtshof verwiesen. Ob das Gericht die Antworten des EuGH auch zur Beurteilung des Hamburger Verfahrens benötigt, will es am 2. Oktober mitteilen.

Alle, die vor Gericht in Leipzig das Verfahren verfolgt haben und die von dessen Ausgang betroffen sind, zollten dem Gericht Respekt für die Bearbeitung des herkulischen Stoffes. Gunther Bonz, der Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg (UVHH), kritisierte allerdings die Rechtslage in Europa: „Die Ausführungen der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie sind nicht präzise. Es mangelt an der nötigen Klarheit, wie sie anzuwenden sind. Die Planungsbehörden bleiben mit diesem Manko nun so lange allein, bis höchste Gerichte für Präzisierung sorgen. Das kostet wertvolle Zeit und sollte in der europäischen Gesetzgebung nicht passieren.“

Bei aller Kritik zwischen den streitenden Parteien waren die Prozessbeobachter am Ende der Anhörung beeindruckt von der Fairness des Verfahrens – und von der Verhandlungsführung des Gerichts und seines Vorsitzenden. Ausdrücklich dankten die Anwälte vor ihren Schlussworten den Richtern für den Tiefgang bei der Aufarbeitung der schwierigen Materie. Eine Vertreterin der Hamburger Hafenwirtschaft sagte angesichts des weiten Weges zum Ziel der Rechtssicherheit, zur beschwerlichen Abwägung zwischen Umweltschutz und Wirtschaftswachstum, auch mit Blick auf Großprojekte andernorts: „Bei aller Mühe – zum Glück ist das hier nicht China.“