Hartz-IV-Rebellin Inge Hannemann rechnet im Streit um ihre Versetzung vom Jobcenter Altona nicht mehr mit einem Erfolg vor Gericht. Aber darum geht auch längst nicht mehr. Hannemann will mehr.
Barmbek „Ich werde verlieren." Inge Hannemann lächelt ein ganz klein wenig, bevor ihr Gesichtszüge wieder ernst werden. Noch hat vor dem Hamburger Arbeitsgericht die Verhandlung über die vor ihr beantragte einstweilige Verfügung gegen ihre Versetzung aus dem Jobcenter Altona nicht begonnen. Doch die als „Hartz-IV-Rebellin“ bekannt gewordene Arbeitsvermittlerin weiß schon, wie es ausgehen wird.
Ihre Unterstützer, die zur Verhandlung am gestrigen Donnerstag gekommen sind, ficht das nicht. Sie stehen vor dem roten Backsteingebäude in der Osterbekstraße und halten Transparente in die Höhe. Drei Frauen beklagen: „Hartz IV verletzt Grundrechte“. Auf einer Tafel steht das Wort „Heldin“ geschrieben. Während der Verhandlung wird der Saal 112 im Arbeitsgericht bis auf den letzten Platz gefüllt sein.
Seit gut einem Jahr streitet die zierliche 46-jährige Frau nun schon mit ihrem Arbeitgeber, der Freien und Hansestadt Hamburg. Hannemann arbeitete seit 2011 im Jobcenter Altona als Arbeitsvermittlerin und - so heißt es in mehreren Beurteilungen - erledigte ihre Tätigkeit zur Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten. Im April vergangenen Jahres dann suspendierte die Stadt sie.
Was war geschehen? Inge Hannemann weigerte sich, Hartz-IV-Empfänger mit Sanktionen zu belegen, wenn diese nicht zu Beratungsterminen erscheinen oder angebotene Jobs ablehnen. „Eine Kürzung von Geldzuweisungen ist menschenunwürdig, weil der Betrag schon am Existenzminimum liegt“, begründete sie ihr Verhalten.
Doch die gelernte Speditionskauffrau beließ es nicht bei interner Kritik. Unter dem Namen „altonabloggt“ betreibt sie im Internet einen Blog, in dem sie das Hartz-IV-System kritisiert. „Wie viele Tote, Geschädigte und geschändete Hartz-IV-Bezieher wollen Sie noch auf ihr Konto laden?“, heißt es in einem Brief an die Arbeitsagentur.
Das ging der Stadt zu weit und sie suspendierte Hannemann. Gestern ging es darum, ob Hamburg die Arbeitsvermittlerin in die Integrationsabteilung der Sozialbehörde versetzen darf. Die einstweilige Verfügung dagegen lehnt das Gericht ab, in der Hauptsache dürfte es im Oktober entscheiden.
Doch es geht längst nicht mehr darum, wer am Ende vor Gericht Recht bekommt. „Ich will einfach gerecht behandelt werden“, sagt sie zwar und bekräftigt ihr Vorhaben, ihren Fall bis zum Bundesarbeitsgericht zu tragen. „Bis heute ist mir nicht nachgewiesen worden, dass ich gegen Gesetze verstoßen habe.“ Und das Recht, frei ihre Meinung zu äußern, stehe auch ihr als Angestellte des öffentlichen Dienstes zu.
Aber die Ambitionen von Inge Hannemann reichen weiter. „Ich will das System Hartz IV abschaffen“, sagt die 46-Jährige, auch wenn sie einräumt, dass das „eine Illusion“ sei. Wer aber das System ohne Wenn und Aber abschaffen will, fällt für die Gegenseite als ernst zu nehmender Gesprächspartner aus. Hannemanns ichbezogener Feldzug lässt kein Miteinanderreden auf gleicher Augenhöhe zu. Hannemann akzeptiert nicht und, das ist die Ironie, wird daher auch von ihrem Gegenüber nicht akzeptiert - sondern versetzt.
Das ist schade. Denn wer ihren Blog verfolgt, der erkennt, dass Inge Hannemann sich intensiv mit der Materie Hartz IV auseinandersetzt. Der erkennt, dass sie tief gräbt und Ungerechtigkeiten sowie staatliches Versagen zu Tage fördert. Und es steht in diesem Land mit der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen keineswegs zum Besten.
Vor ein paar Monaten wurde bekannt, dass fast jeder zweite der rund sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger seit mehr als vier Jahren auf diese staatliche Unterstützung angewiesen ist. Betroffene klagen zudem häufig über sinnlose Beschäftigungsangebote beziehungsweise eine zu strenge Auslegung der Vorschriften. Die hohe Zahl erfolgreicher Hartz-IV-Klagen lässt vermuten, dass einiges im Argen liegt. 44 Prozent aller Hartz-IV-Klagen wird ganz oder zumindest in Teilen stattgegeben.
„Dass ich spalte, ist mir klar“, sagt Inge Hannemann freimütig. Aber während ihrer baden-württembergischen Juso-Zeiten habe sie gelernt, dass in der politischen Auseinandersetzung das Aufstellen von Maximalforderungen zum täglichen Geschäft gehöre. Inzwischen arbeite sie mit Gewerkschaften und Initiativen zusammen, um die Vermittlung von Arbeitslosen zu verbessern. „Dass die Sanktionspraxis entschärft wurde, ist ein erster Erfolg des Widerstands vieler Menschen gegen Hartz IV“, sagt sie zufrieden.
Nicht zuletzt sucht die 46-Jährige die Öffentlichkeit aus politischen Gründen. Sie will bekannt werden, bevor es im kommenden Jahr darum geht, bei der Bürgerschaftswahl für die Linke zu kandidieren. „Ich werde auf einem hinteren Listenplatz kandidieren, weil ich den Spitzenfrauen keine Konkurrenz machen will“, sagt sie und weiß, dass es „in Parteien, egal in welcher, wie in einem Haifischbecken zugeht“. Doch kandidieren will sie.