Sechs ehemalige Vorstandsmitglieder der HSH Nordbank stehen seit fast einem Jahr vor Gericht, wegen schwerer Untreue. Am Mittwoch fällt das Gericht wahrscheinlich sein Urteil. Die Strafkammer betritt damit juristisches Neuland.

Hamburg. Mehr als 30 000 Blatt Aktenmaterial, etliche Zeugen und Gutachter, 61 Verhandlungstage. Nach knapp einem Jahr Prozessdauer fällt die 8. Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg am Mittwoch ihr Urteil über sechs frühere Vorstandsmitglieder der HSH Nordbank. Jedenfalls wahrscheinlich. Denn die Verteidiger haben in ihren Plädoyers Hilfsbeweisanträge für neue Zeugen und ein ergänzendes Sachverständigengutachten gestellt für den Fall, dass die Kammer die Angeklagten grundsätzlich verurteilen und nicht freisprechen will. Es könnte also noch einmal in die Beweisaufnahme gehen.

Andererseits ist die Anklage nach einem Jahr Verhandlungsdauer erschöpfend erörtert, im doppelten Sinne. Nach dem Willen der Staatsanwaltschaft sollen der frühere Vorstandschef Hans Berger, Ex-Finanzchef Dirk Jens Nonnenmacher und vier weitere Manager mit Freiheitsstrafen bis zu 22 Monaten auf Bewährung und hohen Geldbußen bis 150.000 Euro für das Finanzgeschäft „Omega 55“ zur Verantwortung gezogen werden. Ihre Verteidiger haben allesamt Freisprüche gefordert. Es wird spannend werden.

Fragen und Antworten zum HSH-Nordbank-Prozess

„Wir betreten hier juristisches Neuland“, hatte der Vorsitzende Richter Marc Tully zu Beginn des Prozesses erklärt. „Das ist für alle Beteiligten keine ganz glückliche Situation.“ Erstmals wird ein spekulatives Finanzgeschäft einer deutschen Bank in der Finanzkrise vor einem Strafgericht verhandelt. Wie weit reicht die Verantwortung der Vorstände? Haben sie mit bedingtem Vorsatz fremdes Vermögen veruntreut? Schließt sich die Kammer der Sicht der Ankläger an, die den Vorständen vorwirft, grob pflichtwidrig gehandelt zu haben? Die Staatsanwaltschaft meint, die Vorstandsriege habe die Risiken des Kreditgeschäfts „Omega 55“ nicht abschätzen können. Die Kreditvorlage sei schlicht mangelhaft und als Entscheidungsgrundlage ungeeignet gewesen.

Indem die Vorstände trotz aller Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten das Geschäft ohne Fragen durchwinkten, hätten sie ihre Pflichten verletzt und Untreue begangen – ohne sich selbst bereichern zu wollen. Ziel des Geschäfts war es, die Bilanz der Bank von Risiken zu entlasten und so die gute Bewertung durch die Rating-Agenturen zu erhalten. Nach Ansicht der Verteidiger von Berger und Nonnenmacher, der 2008 Berger an der Spitze der Landesbank ablöste, wurde genau dieser Zweck erreicht. Im Laufe des Verfahrens hat jedoch Tully deutlich gemacht, dass nach Einschätzung des Gerichts die Bilanz durch das „Omega 55“-Geschäft Ende 2007 nicht entlastet wurde. Damals waren die HSH Nordbank und die französische BNP Paribas eine zweiteilige Transaktion eingegangen. Die HSH übertrug an die BNP Paribas Immobilienkredite von rund zwei Milliarden Euro und zahlte dafür eine Versicherungsprämie. Im Gegenzug investierte die HSH bei der BNP in neuartige Finanzprodukte.

„Vorstände sind keine Wahrsager“

Damit sollen die Risiken verringert worden sein – oder aber nur verschoben. Dieser „B-Teil“ des Geschäfts war im Januar 2008 abgeschlossen. Den wirtschaftlichen Schaden durch das Geschäft zu diesem Zeitpunkt bezifferte die Staatsanwaltschaft auf knapp 53 Millionen Euro – weniger als in der 600 Seiten starken Anklageschrift mit 158 Millionen Euro. Die Verteidiger der Vorstände wehrten sich eloquent gegen die Angriffe. Das „Omega“-Geschäft sei zu marktgerechten Konditionen abgewickelt worden. Für spätere Schäden im Zuge der Finanzkrise seien die Vorstände nicht haftbar zu machen. „Vorstände sind keine Wahrsager“, sagte der Nonnenmacher-Anwalt. Unternehmerische Entscheidungen seien immer einem Risiko unterworfen, ergänzte ein anderer. Die damals erstellte Kreditvorlage für das „Omega“-Geschäft wurde kurz vor Weihnachten 2007 von den Vorständen gegengezeichnet, was die Staatsanwaltschaft als völlig unzureichend ansieht. „Je komplexer und risikoreicher ein Geschäft ist, desto größer ist die Informationspflicht der Vorstände.“

Das höchste Strafmaß mit einem Jahr und zehn Monaten haben die Staatsanwälte für den früheren Kapitalmarkt-Vorstand Jochen Friedrich beantragt. Der in der Öffentlichkeit prominenteste Angeklagte Nonnenmacher soll nach dem Willen der Staatsanwälte zu einem Jahr und drei Monaten plus 150.000 Euro Geldbuße verurteilt werden. Diese beiden Ex-Vorstände sind auch wegen Bilanzfälschung angeklagt. Wie ihre Mitangeklagten verfolgten sie meist stoisch den Prozess. Zu Beginn hatte sich Friedrich echauffiert. „Ich halte meine Entscheidung auch nach Lektüre der in weiten Teilen empörenden Anklageschrift nach wie vor für richtig.“ Auch Ex-Vorstandschef Berger hielt die Anklage für „völlig inakzeptabel“.

Immer wieder stießen im Gerichtssaal ganz unterschiedliche Welten zusammen, in denen Banker und Juristen leben. „Es sind viele wichtige unternehmerische Entscheidungen zeitnah zu treffen und der Vorstand hat keine Möglichkeit, sich Jahre mit einer einzigen Entscheidung auseinanderzusetzen, wie die Justiz in einem Strafprozess“, merkte der Angeklagte Nonnenmacher an. Wie das Urteil auch ausfällt: Ausgestanden ist für die HSH-Vorstände die Causa „Omega 55“ sowieso noch nicht. Drei von ihnen streiten bereits in einem zivilrechtlichen Schiedsverfahren mit ihrem früheren Arbeitgeber, der Schadenersatz in Millionenhöhe geltend macht. Abgesichert sind die Manager über eine Versicherung. Außerdem wird die unterlegene Seite vermutlich Revision gegen das Urteil einlegen. Der Bundesgerichtshof (BGH) müsste dann prüfen, ob das Urteil seinen strengen Maßstäben standhält.