Sein Job ist nicht ungefährlich: Guido Westhoff füttert die giftigen Tiere, und zwar direkt im Gehege. Die Frage ist: Wie macht er das? Und vor allem: Warum?

Stellingen. Es gäbe gute Gründe, jetzt nervös zu werden. Allein das Wissen um das hochwirksame Gift langt bei vielen, um umgehend einen Schreianfall zu kriegen. Nicht zu vergessen die Unberechenbarkeit des Wildtiers oder, vor allem, die Urangst des Menschen. Doch hier verliert gerade niemand die Nerven. Nicht Guido Westhoff, und auch nicht die Grüne Mamba.

Vorsichtig öffnet der Leiter des Tropen-Aquariums bei Hagenbeck die Tür zur Schlangengrube. Sofort geraten die fünf giftgrünen Tiere in Bewegung. In anmutiger Eleganz gleiten sie über die Äste, beäugen ihren Besuch, verleihen ihren bis zu zwei Meter langen Körpern etwas mehr Spannung. Einmal pro Woche ist Fütterung, ausschließlich mit toten Tieren. Dabei hält Westhoff die Schlangen nur mit einem Haken auf Abstand. In freier Wildbahn kriechen Grüne Mambas als wendige, schnelle Jäger durchs Geäst der dichten Wälder Afrikas, ihr komplexes Nervengift gehört zu den gefürchtetsten der Welt. Man dürfe ihnen nicht zu nahe kommen, sagt Westhoff. Im Zweifel würden die Tiere zu einem Verteidigungsbiss ansetzen, auch wenn Menschen nicht in ihr Beuteschema passen.

Die Haltung von Giftschlangen in Zoos sei aus der Mode gekommen, hatte Hagenbecks ausgewiesener Schlangenexperte vorhergesagt. Für Besucher seien viele Arten von serpentes unattraktiv, weil sie nicht zu den Aktivposten im Tierreich zählen. Für Zoos sei ihre Haltung mit Beschränkungen und strengen Auflagen verbunden. Das Problem: „Wenn immer weniger Giftschlangen in Zoos präsentiert werden, geht auch die Expertise verloren“, sagt Westhoff. Dabei ist die Schlange so alt wie Adam und Eva. Man findet sie überall in der Mythologie. Und obwohl der Äskulapstab mit der sich windenden Schlange bis heute Symbol für pharmazeutische und medizinische Berufe ist, fehlt den Tieren die Lobby. Bei Hagenbeck nicht. Und das liegt auch am Kurator des Tropen-Aquariums. Der Chef ist Schlangenfan, er füttert sogar selbst.

Dr. Guido Westhoff, 45, wirkt dabei nicht wie jemand, dessen Faszination für Giftschlangen einem wie auch immer gearteten Statusdenken folgt. Er ist weder seltsam noch entrückt. Westhoff ist Familienmensch, hat zwei Kinder, als Wissenschaftler darf man ihm rationales, analytisches Denken unterstellen. Der promovierte Neurophysiologe und Zoologe werde von wissenschaftlichem Interesse geleitet, aber auch von der Begeisterung für die Kreatur. Ihn beeindrucken Eleganz und Vielseitigkeit der Tiere. Weltweit gibt es 3200 Arten, 1300 davon giftig.

Bereits während seiner Hochschulkarriere hat Westhoff das Speiverhalten von Kobras und das Infrarotsehen von Grubenottern untersucht. In Australien forschte er an extrem giftigen Seeschlangen. Bis zur Geburt der Kinder hielt er Giftschlangen sogar zu Hause. „Auf Wunsch meiner Frau mussten sie aber ausziehen.“ Inzwischen werden sie im Tropen-Aquarium präsentiert.

Zu den Furcht einflößend bewaffneten Tieren geht es bei Hagenbeck durch einen schmalen, fensterlosen Gang mit allerhand Werkzeug. Futterzangen, Schlangenzangen und -haken. An drei schweren Stahltüren kleben Notrufnummern sowie kleine, warnende Magnetbilder mit Fotos von Klapperschlangen, Grünen Mambas, Gabunvipern, Königskobras. Damit auch niemand vergisst, mit wem er es hier zu tun hat, steht unter allen Fotos „giftig“. An der Kobratür steht sogar „sehr giftig!!!“. Mit genau diesen drei Ausrufezeichen.

„Die Königskobra ist etwas Besonderes“, sagt Westhoff. Ihre Haltung nicht ganz einfach. Nicht nur, dass die längste Giftschlange der Welt eigentlich ein Schlangenfresser sei und in Gefangenschaft auf tote Ratten umgewöhnt werden musste. „Sie ist auch territorial veranlagt.“ Im Gegensatz zu anderen Schlangen suche sie nicht das Weite, wenn man in ihr Gehege geht, sondern kriecht drohend auf Eindringlinge zu. „Um den Job reißt sich hier niemand“, raunt ein Pfleger, als Westhoff die Tür zur Kobra öffnet. Doch die liegt heute ungerührt da, bewegt sich kaum. Problemlos kann Westhoff die verschmähten Ratten einsammeln. Die stinkende Fracht landet in einem Plastikbeutel.

Zur Besonderheit bei Hagenbeck gehört das Prinzip des „Walk-in“. Das heißt: Zur Fütterung müssen Pfleger in das Gehege. Ohne Schieber oder Trennwände, stattdessen mit Schienbeinschützern, Schutzhandschuhen und speziell angefertigten Futterzangen. Die Arbeit erfordert eine Extraausbildung. Warum? „So können wir ein natürlicheres größeres Habitat mit mehreren Tieren präsentieren“, sagt Westhoff. Insgesamt seien die Tiere dadurch weniger Stress ausgesetzt. Gleichzeitig verlangt die Berufsgenossenschaft strenge Sicherheitsvorkehrungen. Denn falsche Bewegungen, Missinterpretationen oder unbestimmtes Auftreten würden sich nachteilig auf die Gesundheit auswirken. Westhoff könne die Tiere inzwischen lesen, er könne abschätzen, wie weit der Aktionsradius seiner Pfleglinge reicht. Bis zu einem gewissen Grad ließen sich Schlangen sogar konditionieren. Aber: „Schlangen wollen nicht, dass man nicht weiß, was man will.“ Man müsse zielgerichtet mit den Tieren umgehen, Fehler werden selten verziehen.

In den vergangenen Jahren sei es zu keinen Unfällen mit unbeteiligten Dritten gekommen. Zuletzt sorgte 2010 ein Fall in Mühlheim an der Ruhr für Aufsehen, als einem privaten Halter eine Monokelkobra entkam. In Hamburg ist die private Haltung inzwischen strengen Regeln unterworfen. Seit Mitte der 2000er-Jahre hatte sich die regierende SPD dafür eingesetzt. Damals hatte es mehrere Vorfälle mit Giftschlangen gegeben. So war ein 45-Jähriger von seiner Klapperschlange gebissen und lebensgefährlich verletzt worden. In einer Kleingartenanlage wurde ein Feuerwehrmann bei einem Einsatz von einer nicht artgerecht gehaltenen Giftschlange angegriffen.

Nicht grundlos werden auch die Schlangen bei Hagenbeck prinzipiell zu zweit betreut. Einer geht rein, der zweite Pfleger bleibt im Hintergrund – für den Notfall. „In acht Minuten sind wir im Universitätsklinikum. Die wissen genau, welche Tiere wir halten und welches Antiserum gebraucht wird“, sagt Westhoff. Nur bei der Königskobra ist man dazu übergegangen, sie bei längeren Säuberungsarbeiten aus dem Gehege in einen vorgeheizten Kasten zu locken, das entspannt die Lage für alle.

Wenn er von seinen potenziell gefährlichen Pfleglingen spricht, schimmert bei Guido Westhoff viel Achtung durch: „Nehmen wir nur die Gabunviper, die schwerste Giftschlange mit den längsten Giftzähnen der Welt. Die hört die Vibrationen im Boden in Stereo, wenn sie regungslos am Boden liegt.“ Die Schlange wisse genau, ob sich eine Maus, ein Mensch oder eine Antilope nähert. Dementsprechend dosiert erfolgt ein Giftbiss. Und dazu noch die Tarnung: Mit intensiver Musterung verschwimmt sie mit dem Waldboden. „Diese feine Beschuppung – wunderschön“, sagt Westhoff. Drei Exemplare werden bei Hagenbeck präsentiert.

Expertise gewinne man nur, wenn man sich mit den Tieren beschäftigt, sagt der Chef des Tropen-Aquariums. Zwischenfälle seien nur der Unachtsamkeit des Menschen geschuldet. „Ich bin schon x-mal gebissen worden“, sagt Westhoff. „Glücklicherweise aber nur von ungiftigen Exemplaren.“ Denn die nehme man aus naheliegenden Gründen eher mal in die Hand. Wehrhaft bleiben sie trotzdem.