Karin Beier, Roger Willemsen oder Elfriede Jelinek, sie alle haben das Lampedusa-Manifest unterzeichnet. Auch der Ex-Terrorist Karl-Heinz Dellwo gab seine Unterschrift. Der Unterstützerkreis findet nichts dabei.

Hamburg. Der Kreis der Unterzeichner ist groß, viele von ihnen haben einen großen Namen: Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier hat das Manifest für ein Bleiberecht der Lampedusa-Flüchtlinge ebenso unterschrieben wie Fernsehjournalist Roger Willemsen, Dirigent Justus Frantz, Schriftstellerin Elfriede Jelinek und Filmemacher Fatih Akin. Auch Karl-Heinz Dellwo ist bekannt, doch nicht nur als Geschäftsführer des Laika-Verlags, wie im Aufruf hinter seinem Namen vermerkt ist: Dellwo ist ehemaliger RAF-Terrorist und saß wegen zweifachen Mordes im Gefängnis. Der heute 62-Jährige hatte am 24. April 1975 mit fünf weiteren RAF-Aktivisten die deutsche Botschaft in Stockholm überfallen.

Während der Besetzung erschoss das RAF-Kommando die Diplomaten Andreas von Mirbach und Heinz Hillegaart. Dellwo wurde zu zweimal lebenslänglich verurteilt. 1995 kam er frei, nach 20 Jahren Haft. Prominente Intendanten, Schauspieler und Musiker starten einen Aufruf gemeinsam mit einem früheren Terroristen und finden nichts dabei?

Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard wusste vorab nicht, dass Dellwo zu den Unterzeichnern gehört. „Ich habe aber für die Sache unterschrieben und nicht danach geschaut, wer noch unterzeichnet hat“, sagt sie. Deuflhard wendet sich dagegen, Einzelne auszugrenzen. „Wenn ein Täter seine Strafe abgesessen hat, dann bekommt er seine Bürgerrechte zurück und kann seine Meinung äußern und seine Stimme erheben“, sagt die Kampnagel-Chefin. Das schreibe schon die Verfassung so vor. „Ich finde es sehr problematisch, dass man das Engagement vieler Hamburger Bürgerinnen und Bürger dadurch abschwächt, indem man die Vorgeschichte eines Mitunterzeichners in den Vordergrund rückt, die in diesem Zusammenhang keine Rolle spielt.“

Auch aus dem Schauspielhaus heißt es, wichtig sei der Inhalt des Manifestes und nicht etwa, wer es unterschrieben habe.

Fernsehjournalist Roger Willemsen spricht sogar von einer „Hexenjagd“, an der er sich nicht beteiligen wolle. „Was sagt denn Dellwos Vergangenheit, für die er eine langjährige Haftstrafe abgesessen hat, gegen sein Engagement für die Lampedusa-Flüchtlinge?“, fragt er. Jemandem abzusprechen, öffentlich einen politischen Standpunkt zu vertreten, widerspreche den Grundrechten. Auch Hamburgs GEW-Vorsitzende Anja Bensinger-Stolze wusste nicht, wer zu den Unterzeichnern gehörte. Wie bei einer Demonstration könne man bei einem so offenen Aufruf nicht ausschließen, dass „wer auch immer“ ihn unterstütze, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Frederik Dehnerdt. „Ich weiß nicht, welche Instanz darüber zu entscheiden hätte, ob jemand in den Unterstützerkreis aufgenommen wird oder nicht.“ Bei Dellwo könne man darüber trefflich streiten. Diese Frage ändere aber nichts daran, dass die Aktion sehr gelungen sei. Dellwo selbst findet es „unanständig, wenn man versucht, die RAF auszugraben und damit Inhalte totzuschlagen“, wie er sagt. Seine RAF-Vergangenheit habe nichts mit dem Einsatz für die Lampedusa-Flüchtlinge zu tun. Er lebe in einem Wohnprojekt, das sieben der Afrikaner aufgenommen habe. „In diesem Kontext habe ich mir erlaubt, mich zu engagieren“, sagt Dellwo.

Dass der Ex-Terrorist seine politische Stimme erheben kann und darf, ist unstrittig. Die Frage ist, ob andere dies mit ihm gemeinsam tun möchten. Seit vielen Jahren ist der Hamburger, der auch als Dokumentarfilmer arbeitet, eine feste Größe in der linken Szene der Stadt. 2006 empörte er sich öffentlich über die Schaffung des Maritimen Museums im früheren Kaispeicher B, das Kriegswaffen und Militarismus verherrliche, und nannte dessen Gründer Peter Tamm in einer Sendung des Freien Sender Kombinats einen „Rechtsradikalen“ und „Dreckskerl“.

Von seiner RAF-Vergangenheit hat er sich in der Weise distanziert, dass er eingeräumt hat, dass es der Bewegung am Rückhalt in der Bevölkerung und an konkreten Vorstellungen gefehlt habe, wie die neue Gesellschaft nach Zerschlagung des verhassten Staates aussehen sollte. In einem Dokumentarfilm über „Stockholm 1975“ erklärte er, die Erschießung der beiden Diplomaten sei ein politischer und moralischer Fehler und nicht legitim gewesen. Doch seine Ansichten blieben radikal. Das zeigte sich, als er sich im „Sozialforum gegen Hartz IV“ engagierte. In einer inhaltlich unabgesprochenen Rede beim Gründungstreffen verärgerte er mit seiner radikalen Kapitalismus-Kritik die Genossen. Hartz IV sei lediglich Auswuchs eines kapitalistischen Systems, das nicht reformierbar sei. „Das kapitalistische System ist für die Mehrheit der Menschheit unbrauchbar und muss geändert werden“, erklärte er.

Ein Manifest sei keine Parteigründung, sagt Birgit Müller, Chefredakteurin von „Hinz & Kunzt“. Es liege in der Natur einer solchen Aktion, dass die Unterzeichner vielleicht nur in diesem Punkt übereinstimmen.