Katharina Fegebank, Landeschefin der Grünen, spricht im Interveiw offen über die Basisdemokratie, den Frauenanteil in ihrer Partei und Politik in Zeiten von sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter.

Hamburg. „Partei ergreifen“ lautet das Motto einer Initiative, die Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider zu Beginn des Jahres angestoßen hat. In lockerer Folge beleuchten wir die unterschiedlichen Aspekte der repräsentativen Demokratie und deren Herausforderung durch direkte Formen der Bürgerbeteiligung. Dabei sollen auch die Parteivorsitzenden zu Wort kommen. Katharina Fegebank ist Landesvorsitzende der Grünen in Hamburg. Wie es in ihrer Partei zugeht, erzählt sie im Abendblatt-Interview.

Hamburger Abendblatt: Braucht man bei den Grünen eigentlich ein dickes Fell? Es gibt so viele Besserwisser und Wichtigtuer in der Partei.

Katharina Fegebank: Wo braucht man das nicht? Das Schöne bei uns ist, dass man mit einer Idee offen empfangen wird. Unsere Strukturen ermöglichen allen Interessierten, bei uns einzusteigen und auch schnell selbst etwas zu machen.

Aber die Möglichkeit, schnell gehört zu werden, kann doch auch zu einem großen Durcheinander führen.

Fegebank: Dass Basisdemokratie zum Chaos führt, ist ein altes Klischee. Wir fahren damit aber seit mehr als 30 Jahren sehr gut. Wir haben sehr klare Strukturen, Abläufe und Verfahren.

Wie sehen diese klaren Verfahren aus?

Fegebank: Wenn jemand ein Thema voranbringen will, wird das diskutiert. Das heißt aber nicht, dass man mit jedem Thema sofort durchkommt, sondern dass man es in einen Antrag gießen, eine Mehrheit finden und es von den offizielle Gremien abstimmen lassen muss.

Sie müssen eine sehr glückliche Parteichefin sein. Mit gut 1600 Mitgliedern haben die Grünen gerade ein Allzeithoch. Ein Trend, der auch auf Bundesebene zu verzeichnen ist. Woran liegt das?

Fegebank: Ja, mit dieser Partei habe ich großes Glück. Wir haben beharrlich daran gearbeitet, unsere Strukturen und Mitmachmöglichkeiten zu öffnen und eine ausgeprägte Willkommenskultur zu etablieren. Die Leute kommen aus den unterschiedlichsten Gründen und inhaltlichen Interessen zu uns. Der wohl wichtigste Grund ist, dass sie gehört werden und mitgestalten können, ohne, wie bei anderen Parteien, erst auf Ochsentour gehen müssen bevor sie irgendwo dabei sein dürfen.

Trotz der positiven Mitgliederzahl haben die Grünen Schwierigkeiten, für die Bezirksversammlungswahlen Wahlkreiskandidaten zu finden. Wie erklären Sie sich das?

Fegebank: Das treibt uns tatsächlich um. Für kleine Parteien mit weniger aktiven Mitgliedern ist es schwieriger als für die großen, tatsächlich in jedem Wahlkreis Menschen zu finden, die bereit sind, diese Aufgabe für eine Legislaturperiode zu übernehmen. Wir haben dennoch insgesamt 211 engagierte Kandidatinnen und Kandidaten für die Bezirkswahl aufgestellt. Das ist bei 1600Mitgliedern enorm.

Wollen die Leute lieber diskutieren als Verantwortung zu übernehmen?

Fegebank: Das sehe ich ganz anders. Wir haben in den Bezirken grandiose Leuten, die voll im Berufsleben stehen, Familie haben und trotzdem bereit sind, für fünf Jahre Verantwortung in der Kommunalpolitik zu übernehmen. In unseren kleinen Kreisverbänden wie Harburg und Bergedorf mit jeweils nur rund 70 Mitgliedern war es eine Herausforderungen, für jeden Wahlkreis eine beschlussfähige Versammlung aufzustellen.

Müsste man ehrgeizigen, talentierten Aspiranten nicht in Aussicht stellen, dass sie es gleich ins Landesparlament schaffen?

Fegebank: Das können wir nicht. Ich würde lügen, wenn ich Leute ködere, indem ich ihnen sage: Engagiere dich ein paar Monate, gehe in die und die Arbeitsgruppe, lass dich mal auf Landesebene blicken und dann wird das ein Selbstläufer. Das würde unsere Partei auch nicht mitmachen. Da müssen wir andere Anreize schaffen.

Welche wären das?

Fegebank: Die Möglichkeit, sich früh ohne die große Ochsentour einzubringen, und über Beharrlichkeit, Neugier, thematisches Interesse und Einsatz schnell auch Verantwortung im Kreisvorstand oder in den Arbeitsgruppen auf Landesebene zu übernehmen.

Wie viel Zeit nimmt es denn in Anspruch, wenn jemand etwa im Kreisvorstand aktiv ist?

Fegebank: So viel, dass es in Absprache mit den anderen für ein funktionierendes Gefüge reicht. Das können bei einigen ein bis zwei Stunden die Woche sein, andere werfen sich mit Feuereifer rein und sind abends und am Wochenende immer für die Partei unterwegs. Das kann auch zu Konflikten führen, wenn die Erwartungshaltungen unterschiedlich sind. Gerade Frauen sind oft zurückhaltender, bei der Frage, ob sie in den Vorstand wollen.

Warum ist das so?

Fegebank: Männer sagen: Hier bin ich, auf geht’s, gebt mir Jobs. Frauen wägen eher ab, ob sie die Arbeit zeitlich schaffen und die Verantwortung übernehmen wollen. Die Erwartungen der Partei an Verantwortliche sind hoch, weil wir ein kleiner Laden sind. Eine Rolle spielt auch, dass Parteiarbeit meistens abends oder am Wochenende stattfindet. Das ist für viele schwierig.

In der Tat ist Anteil von Frauen bei den Grünen ist mit 35 Prozent erstaunlich gering. Selbst die CDU kommt auf 40 Prozent.

Fegebank: Unser Prinzip war immer: die Hälfte der Macht den Frauen. Das heißt, 50 Prozent aller Ämter und Funktionen bei den Grünen werden von Frauen besetzt. Das gilt auch – und besonders – wenn nur verhältnismäßig wenige Frauen in der Partei sind. Da kommt die CDU nicht ran. Auch die anderen nicht.

Was tun sie, um mehr Frauen für die Grünen zu gewinnen?

Fegebank: Wir sprechen Frauen gezielt an – bei Veranstaltungen innerhalb und außerhalb der Partei. Und wir fördern sie gezielt. Wir haben aktuell zum Beispiel ein Frauen-Mentoring-Programm gestartet. Rund ein Dutzend Frauen, die erst sehr frisch in der Partei sind, laufen bei mir oder bei Kolleginnen aus der Bürgerschaft oder den Bezirksfraktionen über mehrere Monate mit. Dabei lernen sie Politik.

Welche Rolle spielen soziale Medien bei den Grünen?

Fegebank: Eine wichtige. Zur Meinungsbildung haben wir eine interne grüne Facebook-Gruppe, in der über 300 Leute aktiv austauschen. Dort posten sie täglich ihre Anliegen, von Krim-Krise, über Gefahrengebiete bis zu Plakat-Ideen für die Europawahl. Wenn wir als Vorstand etwas vorhaben, stellen wir dort Thesen zur Diskussion. Die Reaktionen können können ein Gradmesser sein.

Und was ist mit der Außenwirkung?

Fegebank: Parteimitglieder, Vorstand und zahlreiche Abgeordnete sind aktiv bei Facebook und Twitter unterwegs. Wir haben auch Leute, die Nachrichtenforen beobachten und dann mit eigenen Posts darauf eingehen, wenn etwas falsch dargestellt wird.

Die Grünen sind ganz klar für die direkte Demokratie, aber inwieweit nehmen Sie diese auch als Konkurrenz wahr?

Fegebank: Wir wollen Bürgerbeteiligung, und das so früh wie möglich. Aber ehrlich: Es ist schon auch eine Herausforderung für uns als Veränderungspartei, neue Ideen anzustoßen, die dann mit einem Volksentscheid wie etwa bei der Schulreform, abgelehnt werden. Daraus haben wir gelernt, dass wir schon weit im Voraus um die gesellschaftliche Mehrheit werben müssen. Das gelingt am besten durch größtmögliche Bürgerbeteiligung.

Auf diese Weise würden Sie den Mechanismus der direkten Demokratie auch programmatisch für sich nutzen.

Fegebank: Wir stehen zur direkten Demokratie als Korrektiv zur parlamentarischen Demokratie. Als Politiker werden wir aber gewählt, um Entscheidungen zu treffen. Und wir werden uns unseren Gestaltungsanspruch nicht nehmen lassen, nur weil es die Befürchtung gibt, dass eine Initiative unsere Idee ablehnt.

Die Grünen sind seit ihrer Gründung vor gut 30 Jahren nur zwei mal in Hamburg in der Regierung gewesen. Wie wichtig ist den eine Regierungsbeteiligung für die Attraktivität einer Partei?

Fegebank: Auch wenn die Koalition mit der CDU gescheitert ist, so hat uns das nicht geschadet. 2008, also mit Beginn der Regierungsbeteiligung, hatten wir 1200 Mitglieder. Heute ist es ein Drittel mehr. Besonders in Wahlkampfzeiten verzeichnen wir einen erhöhten Zulauf. Es gab ja schon Stimmen, wir Grünen wären die neue Volkspartei.

Eine Volkspartei wollen Sie ja gar nicht sein.

Fegebank: Das stimmt – auch auf die Gefahr, dass das unambitioniert klingt. Aber wenn man Vorreiter sein will, findet man nicht immer gleich die notwendigen Mehrheiten. Wir gestalten, ohne Volkspartei zu sein.