Zum 175-jährigen Bestehen des Vereins, das am 9.April im Großen Festsaal des Rathauses gefeiert wird, ist dem Vorsitzenden, Prof. Rainer Nicolaysen, eine Botschaft besonders wichtig.
Hamburg. Der Vorsitzende ist natürlich Geschichtsprofessor. Im Vorstand sitzen elf weitere Historikerinnen und Historiker, ein Kaufmann, eine Bibliothekarin und ein Archivar. Auf den ersten Blick ist der 1839 gegründete Verein für Hamburgische Geschichte ein Akademiker-Zirkel – und, nun ja, für Normalbürger mag das ein wenig abschreckend wirken. Prof. Rainer Nicolaysen schmunzelt, wenn er das hört. „Ja, das kann schon sein, dass es so wirkt“, sagt er und setzt zum „aber“ an. „Früher stimmte es vielleicht sogar. Heute sicherlich nicht mehr.“
Der 53-Jährige ist seit 2011 Vorsitzender und hat Schwung in die alteingesessene Institution gebracht. Zum 175-jährigen Bestehen des Vereins, das am 9.April im Großen Festsaal des Rathauses gefeiert wird, ist ihm diese Botschaft besonders wichtig: „Der Verein ist keine verstaubte Angelegenheit.“ Und die Zeiten, in denen sich bei Vorstandssitzungen alle mit „Herr Professor“ oder „Frau Doktor“ anredeten, die seien auch vorbei.
1050 Mitglieder gibt es. „Und im Gegensatz zu vielen anderen Geschichtsvereinen halten wir diese Zahl, weil auch viele Jüngere eintreten“, sagt Nicolaysen. Man sei offen für jeden, der sich für Geschichte interessiere. Ob das nun ein Akademiker oder ein Handwerker ist, sei nicht wichtig. „Jeder kann mitmachen.“
Dass dies keine leere Floskel ist, nimmt man Nicolaysen ab, der so gar nicht den Habitus des Professors vor sich her trägt. „Dass ich Professor geworden bin, überrascht mich manchmal immer noch“, sagt er. In die Wiege gelegt wurde es ihm jedenfalls nicht. Sein Vater war Hafenarbeiter, aufgewachsen ist er im Schanzenviertel – zu einer Zeit, als jeder ausgelacht worden wäre, der behauptet hätte, das Viertel würde mal schick werden.
„Meine Eltern hatten nicht viel Geld, haben aber großen Wert auf Bildung gelegt“, sagt Nicolaysen. Und so ist er auch schon als Kind mit Geschichte „infiziert“ worden: Denn sein Vater zeigte ihm, entlang welcher Straßen die Grenze zwischen Hamburg und Altona verlief, erzählte ihm, dass es zwei Städte waren und die eine mal zu Dänemark gehört hatte.
So hat Nicolaysen früh gelernt, dass Geschichte gleich vor der Haustür beginnt. „Im Kleinen steckt das Große“, sagt er. Und es ist kein Zufall, dass die Geschichte der Hamburger Universität einer seiner Forschungsschwerpunkte ist. „Mit neuen Studenten gehe ich immer als Erstes über den Campus“, sagt er. Und dann geht es um Namen: von Melle, Ossietzky, Allende. Wer war das? Warum wurde etwas nach ihnen benannt? Und schon ist man mittendrin.
Rainer Nicolaysen bezeichnet sich als „begeisterten Historiker und begeisterten Hamburger“. Das sind dann auch die einzigen Voraussetzungen, die ein Vereinsmitglied mitbringen sollte: Geschichte zu mögen – und Hamburg natürlich auch.
Wer will, kann mitmachen, und das heißt auch: mitforschen. Forschen, wieder so ein großes Wort. Kann man das als Laie überhaupt? Aber ja. So gibt es zum Beispiel ein Interviewprojekt des Vereins. Junge Mitglieder befragen ältere über die Bedeutung der Stadt in ihren Biografien. So werden viele kleine Details dem Vergessen entrissen. „Das ist auch ein Beitrag zur Geschichtsschreibung“, sagt Nicolaysen. Die Interviewer werden mit Workshops in der „Werkstatt der Erinnerung“ professionell vorbereitet.
Seit vergangenem Jahr gibt es auch den „Jungen Verein“, in dem sich die jüngeren Mitglieder organisieren. Und auch in den Schulen will der Verein aktiv werden. Denn in Hamburgs Bildungseinrichtungen liegt die Hamburger Geschichte ziemlich brach. So gibt es an der Uni keinen Lehrstuhl für Hamburgische Geschichte und auch keine staatliche historische Kommission. „Und an den Schulen spielt Stadtgeschichte auch keine große Rolle“, sagt Nicolaysen. Deswegen soll es jetzt Kooperationen des Vereins mit einzelnen Schulen geben. Mit dem Verband der Geschichtslehrer will man neue Unterrichtsmaterialien erarbeiten und Workshops für Lehrer anbieten.
Es gibt auch eine Stolperstein-Recherchegruppe, die eine Lücke in Hamburg schließen will. Zwar liegen mittlerweile diverse Bände mit Biografien über NS-Opfer vor. „Doch ausgerechnet für das Grindelviertel, das Zentrum jüdischen Lebens in Hamburg, gibt es das noch nicht“, sagt Nicolaysen. Die Recherchegruppe befasst sich mit den vier Straßen, die „Grindel“ im Namen tragen. 180 Stolpersteine gibt es dort, 180 Biografien sind zu erarbeiten.
Mit der eigenen NS-Geschichte dagegen hat sich der Verein, wie so viele, lange schwergetan. Es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet ein Geschichtsverein 60 Jahre gebraucht hat, um das Thema anzupacken: Erst 2005 begann die Aufarbeitung. Seitdem sind drei Schriften erschienen, die sich mit dem Ausschluss jüdischer Mitglieder und deren Schicksalen befassen.
„Ein trauriges Versäumnis, leider nicht untypisch für deutsche Geschichtsvereine“, sagt Nicolaysen, dem es wichtig ist, gerade zum Jubiläum dieses Kapitel nicht zu vergessen. Geschichtsvereine wollen schließlich vor dem Vergessen bewahren. Dazu gehören gerade die dunklen Episoden.