Die Hammaburg war schon fast ein Mythos geworden. Nach der scheinbar enttäuschenden Grabung am Domplatz 2005 und 2006 schien es kaum noch Hoffnung zu geben, Hamburgs Keimzelle zu finden.
Vor 1200 Jahren siedelten in Norddeutschland vor allem Sachsen – das heutige Bundesland Sachsen hat mit den Ursprüngen dieses germanischen Stammes nichts zu tun. Sachsen lebten im heutigen Westfalen, Niedersachsen und Holstein. Bedeutend waren auch die Friesen, die sich von Holland und Ostfriesland aus an der Küste nach Norden ausbreiteten. Nördlich der Eider lebten Jüten und Angeln, also Dänen. Von Osten her hatten sich slawische Stämme ausgebreitet, die den ostelbischen Raum besiedelten und im Osten Holsteins zu direkten Nachbarn der Sachsen wurden.
Der größte Einschnitt dieser Zeit waren die „Sachsenkriege“, die der fränkische König Karl der Große ab 772 führte. Die Franken waren ein germanischer Stamm, der im 5.Jahrhundert im heutigen Frankreich sesshaft wurde und kontinuierlich expandierte. Unter Karl entstand ein riesiges Reich: Er eroberte Norditalien, Nordspanien, Bayern und in den Sachsenkriegen (die mit Zwangs-Taufen der heidnischen Bevölkerung verbunden waren) Norddeutschland. Endgültig unterworfen wurden die Sachsen erst 804.
Karl paktierte mit den slawischen Abotriten, denen er die Grenzsicherung gegenüber den Dänen anvertraute – im Gegenzug sollten sie ganz Nordalbingien (also alles Land nördlich der Elbe) bekommen. So kam es wohl vereinzelt zu Vertreibungen der Sachsen nach Süden. Schon 812 aber zeigte sich, dass die Abotriten mit der Grenzsicherung überfordert waren. Das Bündnis mit den Franken wurde rasch aufgelöst, es kam zu Feindseligkeiten.
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In diesen Zusammenhängen ist auch die Entstehung Hamburgs zu sehen. Die Franken schickten Anfang des 9.Jahrhunderts einen Adligen – einen Burg- oder Markgrafen – in die Hammaburg, um die Herrschaft und den Grenzraum zu sichern.
Als unter der Herrschaft von Karls Sohn Ludwig im Jahr 832 der Mönch und Missionar Ansgar nach Hamburg geschickt wurde, kam er in eine längst etablierte Siedlung, in der ein Graf Bernhard residierte.
Das Abendblatt sprach mit Prof. Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums, über die Entdeckung der Hammaburg.
Hamburger Abendblatt: Herr Professor Weiss, gab es einen Moment, in dem Ihnen klar wurde, dass Sie die Hammaburg tatsächlich entdeckt haben?
Rainer-Maria Weiss: Diesen Moment gab es tatsächlich, allerdings nicht zum Ende der Grabung. Damals haben wir unser Werkzeug am Domplatz wieder eingepackt und uns gedacht: Schade, war mal wieder nichts. Der große Moment kam für mich erst, als ich vor anderthalb Jahren das noch nicht ganz fertige Manuskript der Grabungsergebnisse von Grabungsleiter Karsten Kablitz durchsah und auf einmal feststellte, dass es da völlig unerwartete Ergebnisse gab.
Warum waren Sie am Ende der Grabungen enttäuscht?
Weiss: Zunächst schien es nicht viel Neues zu geben. Die Anlage, die Reinhard Schindler in den 1950er-Jahren für die Hammaburg gehalten hatte, war in Wirklichkeit 100 Jahre jünger, was wir ja schon wussten. Und auch die Datierung der Grabung aus den 1980er-Jahren, die eine ältere Befestigungsanlage auf das 6. und 7. Jahrhundert datierte, schien sich zu bestätigen. Mit anderen Worten: In der Ansgar-Zeit, also in dem für Hamburg so wichtigen 9.Jahrhundert, klaffte noch immer eine Lücke. Die Hoffnung auf die Hammaburg hatte also wieder getrogen, und auch das Fundmaterial für das neunte Jahrhundert war sehr spärlich.
Und doch gab es eine Sensation, die die Beteiligten zunächst gar nicht so sahen. Waren sie vielleicht zu dicht dran?
Weiss: Das ist nicht ganz falsch: Karsten Kablitz hat die Anlage in seiner Auswertung der Grabungsergebnisse zwar in die Ansgar-Zeit datiert, sich aber nicht getraut, sie mit der Hammaburg zu identifizieren.
Woran lag das?
Weiss: An verschiedenen Dingen. Die Anlage war ihm zu klein, vor allem fehlte ihm die Kirche Ansgars, die er nach der schriftlichen Überlieferung im Inneren der Wallanlage zu erwarten glaubte. Hinzu kommt vielleicht eine gewisse Scheu vor der forschungsgeschichtlichen Verantwortung und der historischen Dimension, was ich durchaus verstehen kann.
Als Sie sicher waren, die ansgarzeitliche Hammaburg endlich lokalisieren zu können, war das der glücklichste Moment Ihres Berufslebens?
Weiss: Nein, aber der wichtigste Tag meiner Hamburger Tätigkeit als Landesarchäologe ganz bestimmt. In der Archäologie ist die Erkenntnis ja nicht so klar wie etwa bei Robert Koch, der beim Blick durch das Mikroskop den Tuberkelbazillus entdeckte. Zunächst bin ich mit meiner Interpretation bei den Fachkollegen auf tiefe Skepsis gestoßen, sowohl bei den Kollegen der Denkmalpflege als auch beim Ausgräber selbst.
Trotzdem habe Sie sich ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt.
Weiss: Das konnte ich aber erst, nachdem wir die Thesen auf einem großen interdisziplinären und internationalen Symposium diskutiert hatten. Allerdings haben wir schon vorher die Ergebnisse noch einmal vertieft, haben historische Vergleiche gezogen und die Keramik genau analysiert. Und das alles konnten wir auf unserem Symposium im Dezember 2013 einem großen Kollegenkreis zur Diskussion stellen.
Daran waren nicht nur Archäologen, sondern auch Historiker beteiligt. Waren Sie skeptisch, wie Ihre Historikerkollegen die Thesen beurteilen würden
Weiss: Im Gegenteil, ich hatte große Erwartungen. Denn bis dahin waren die Historiker nur punktuell an diesen Fragen beteiligt. Deshalb hatte ich große Hoffnungen, dass die Historiker unseren Horizont erweitern würden – mit Recht, wie sich gezeigt hat.
Ist es nicht oft ein Problem, historische Quellen mit archäologischen Befunden in Übereinstimmung zu bringen?
Weiss: Man muss sehr genau darauf achten, wie man sie in Übereinstimmung bringt. Man darf nicht die Historie vor Augen haben und dann nach dem Passenden archäologisch suchen. Dann passt immer alles, wie bei Heinrich Schliemann, der immer vor Augen hatte, was er finden wollte – und das dann auch prompt fand. Die spätere Forschung sah das dann oft anders. Deshalb haben wir nicht versucht, die Vita Ansgari ausgraben zu wollen. Aber wenn man mit naturwissenschaftlichem und formenkundlichem Instrumentarium archäologisch zu einer Abfolge und Entwicklung kommt und dann in der Literatur feststellt, was passt und sinnvoll erscheint, dann ergibt sich daraus eine Bestätigung, die auch tragfähig ist. Und das gilt umso mehr, wenn diese Thesen von Fachhistorikern, die auf das 9. und 10. Jahrhundert spezialisiert sind, ebenfalls für plausibel gehalten werden.
Versetzen wir uns mal in das Jahr 800. Wie hat die Hammaburg ausgesehen? Wie viele Menschen haben da gelebt?
Weiss: Es stellt sich erst einmal die Frage, warum wahrscheinlich im 8. Jahrhundert an diesem Ort überhaupt die erste Keimzelle von Burg und Siedlung entstanden ist. Erster Grund ist die ideale verkehrsgeografische Lage: Die seit jeher für den Handel wichtige Elbe mit ihren Inseln und Verästelungen bot hier vorzügliche Voraussetzungen für den Übergang von Süd nach Nord. Man musste keinen reißenden Strom überqueren, sondern fand Furten und Inseln, die die Passage erleichterten. Außerdem fand sich im Mündungswinkel zwischen Alster und Elbe eine topografische Lage jenseits des gefährlichen Hauptstroms an den ruhigen Nebenflüssen Bille und Alster mit einem relativ geschützten und gut zu verteidigenden Gelände auf einem Geestrücken. Anhand der entdeckten Importfunde und der Größe des Areals kann man von einer kleinen Siedlung ausgehen, die allerdings nicht ständig bewohnt war, sondern nur von Zeit zu Zeit als Handelsplatz genutzt wurde. Kristallisationspunkt war eine sehr bescheidene Befestigungsanlage, die einen Durchmesser von nicht mehr als 50 Metern hatte. Das war die Hammaburg 1, die Burg in der Hamme. Im Altsächsischen wurde als Hamme ein sumpfiges und mit niedrigem Gehölz bestandenes Areal bezeichnet, wie man sich das um die Alster wunderbar vorstellen kann. Neben dieser Burg gab es auch ein paar bescheidene Häuschen.
Von wie vielen Menschen kann man hier ausgehen?
Weiss: Von höchstens 100, wenn denn alle da waren. Das waren der Burgherr mit seinem Gefolge und die Händler. Wir wissen noch nicht einmal, ob es Familien gegeben hat, Kinderspielzeug haben wir jedenfalls nicht gefunden. Auch dass keine Gräber aufgetaucht sind, deutet für die frühe Zeit auf eine Händlersiedlung mit zeitweiligem Charakter hin.
Das heißt: Schon die ersten Hamburger waren Händler und Kaufleute?
Weiss: Hamburg war offenbar vom ersten Tag an eine Kaufmannsstadt. Allerdings dürfte es erst im 9. Jahrhundert eine permanente Besiedlung gegeben haben. Dafür gibt es in der spärlichen Literatur Belege.
Zum Beispiel?
Weiss: Etwa der Hinweis darauf, dass Graf Bernhard, der Burgherr, wohl aus dem Geschlecht der Billunger, beim Wikingerüberfall gerade nicht anwesend war. Warum war er nicht da? Vielleicht, weil er mehrere Burgen hatte, zwischen denen er gependelt ist. Und auch bei Ansgar dürfen wir uns nicht vorstellen, dass er immer im roten Gewand im Erzbischofshaus gesessen und sozusagen Hof gehalten hat. Dafür hatte er gar keine Zeit, denn er war immer unterwegs, um zu missionieren. Die Historiker schätzen, dass Ansgar in den zwölf Jahren seiner Hamburger Zeit insgesamt wahrscheinlich nicht mehr als zehn Tage wirklich vor Ort war.
Sehen wir uns die früheste Burg noch einmal konkret an: Wir haben eine relativ kleine Anlage von einem Durchmesser von nicht mehr als 50 Metern, die dann um 800 auf etwa 75 Meter vergrößert wird. Das war der erste Wachstumsschub von Hamburg?
Weiss: Ja, das gehört zu den neuen Erkenntnissen, dass wir es nicht mit einer einphasigen Doppelkreisgrabenanlage zu tun haben, sondern mit der Erweiterung einer älteren Anlage, die früher kleiner war. Und diese Erweiterung geschah kurz vor oder in der Ansgar-Zeit.
Man kann also sagen: Um 800 liefen die Geschäfte gut, der Handel boomte, daher musste die Hammaburg erweitert werden?
Weiss: Kann man so interpretieren. Vielleicht war die Erweiterung dann auch der Grund, warum Kaiser Ludwig der Fromme, der Sohn Karls des Großen, Ansgar nach Hamburg schickte, um von hier aus Skandinavien zu missionieren. Aber diese Details lassen sich archäologisch nicht klären.
War die Hammaburg damals überhaupt so bedeutend? Es gab nahe der Elbe doch viele Burgen, teilweise auch mit Siedlungen.
Weiss: Ob mit oder ohne Siedlungen, lässt sich schon schwer sagen. Man kennt die Burgen wie den Süllberg, die Mellingsburg oder die Rönneburg, kennt aber weder deren Chronologie noch deren Umfeld, weil diese Dinge nie systematisch untersucht worden sind. Wir wissen leider über die flankierenden Hamburger Burgen so gut wie nichts. Wir können aber sagen, dass die Hammaburg in ein ganzes Netz von Burgen einbezogen war, die jeweils nur acht bis elf Kilometer voneinander entfernt lagen. Innerhalb dieses Netzes war die Hammaburg zunächst nichts Besonderes.
Aber Ansgar kam nicht auf den Süllberg, sondern eben in die Hammaburg. Wurde diese damit nicht eindeutig aufgewertet?
Weiss: Der Kirchenbau durch Ansgar ist literarisch fassbar, aber eben nicht archäologisch. Da ist von einem Kloster die Rede, das sollte man sich aber nicht besonders großartig vorstellen. Das wird ein Kirchlein mit ein oder zwei dazugehörigen Gebäuden gewesen sein, jedenfalls nichts, was sich mit so bedeutenden Klöstern wie der Abtei von Cluny vergleichen ließe.
Sie haben die Hammaburg gefunden, aber genau diese für Hamburg so wichtige Kirche eben nicht. Die Hammaburg ohne Kirche, geht das überhaupt?
Weiss: Das heißt ja nicht, dass sie dort nicht gewesen sein kann. Es kann sein, dass dieses Kirchlein so fragil gebaut war, dass es aufgrund der späteren Planierungen keine Spuren in der Burg hinterlassen hat. Aber auf unserem Symposium vertraten die Historiker die Meinung, dass man die Quellen gar nicht so interpretieren muss, dass sich die Kirche innerhalb der Burg befunden haben muss.
Wo denn sonst?
Weiss: Sie kann sich neben der Hammaburg, sozusagen in Sichtweite der Burg befunden haben. Da wir in diesem Bereich viel ausgegraben haben und kaum noch Plätze dafür infrage kommen, vermuten wir, dass Ansgars Kirche auf dem Areal der heutigen Hauptkirche St.Petri gestanden hat.
Dann wird das ewig unklar bleiben, denn dort können Sie ja nicht graben.
Weiss: Nicht unbedingt, es gibt in Deutschland zahlreiche Kirchengrabungen, etwa bei Baumaßnahmen wie jüngst in St.Katharinen. Allerdings steht das bei St.Petri im Moment nicht an. Aber irgendwann wird das möglich sein.
Aber warum sollte die Kirche nicht im Schutz der Burg gestanden haben, es waren doch gefährliche Zeiten?
Weiss: So gefährlich waren die Zeiten nun auch wieder nicht. Schriftlich verbürgt ist erstmals 845 ein Wikingerüberfall. Davor ist nichts dokumentiert, danach erstmals wieder 983 ein Slawenüberfall. Man muss nicht unterstellen, dass hier jeden Monat feindliche Heerscharen durchgezogen sind. Das war wohl sehr viel undramatischer. Dafür spricht auch, dass selbst die zweite Hammaburg aus dem frühen 9.Jahrhundert keine Wallanlagen hatte, sondern nur mit Gräben und Palisaden abgesichert war. Erst mit der Zeit, als die Zahl der Überfälle zunahm, hat man sich stärker abgesichert – bis hin zum Heidenwall, der dann den ganzen Geestsporn abgeriegelt hat. Aber im 9. Jahrhundert hat es offenbar völlig ausgereicht, die Kirche neben die Burg zu setzen.
Der Wikingerüberfall von 845 ist historisch belegt, lässt er sich auch archäologisch nachweisen?
Weiss: Wir haben zwar Brandspuren gefunden. Wenn man diese aber einem bestimmten historischen Ereignis zuordnen würde, hielte ich das für eine Überinterpretation. Außerdem dürfte der Brand bei einem Wikingerüberfall auch keine Feuersbrunst gewesen sein. Hölzerne Häuser brennen zum Teil ab, eine Burganlage aber nicht. Sie besteht aus Erde, die hölzernen Stützen stecken im Erdreich, sonst gibt es noch Gräben, was soll da groß brennen? Ein solches Ereignis, wenn es überhaupt drei Tage lang gedauert hat, muss sich nicht archäologisch niederschlagen.
Die erweiterte Anlage ist Mitte des 9.Jahrhunderts planiert worden, was ja historisch gut passen würde.
Weiss: Man hat anschließend auf den Ruinen und dem eingeebneten Burgareal weiter gesiedelt, aber erst einmal circa 50 Jahre lang keine Burganlage mehr gebaut. Diese Siedlungsreste finden wir über den Resten der Burg zwei und unter den Resten der später erbauten, 140 Meter durchmessenden Anlage. Also wissen wir, dass es zwischen etwa 850 und 900 eine großflächige Siedlungsschicht gab, der wir aber keine Burganlage zuordnen können. In der ersten Hälfte des 10.Jahrhunderts war die Siedlung größer, auch der Hafen wurde ausgebaut, trotzdem lebten auch damals wohl nur etwa 200 Menschen hier.
Blicken wir noch einmal zurück auf die Forschungsgeschichte: Die ersten umfangreichen Grabungen fanden erst nach dem Zweiten Weltkrieg statt.
Weiss: Ja, in den 1950er-Jahren mit Reinhard Schindler, dem damaligen Stadtarchäologen, als Grabungsleiter. Wie fast immer wurde die Grabung durch Bauvorhaben ausgelöst. Damals hatte man nach der Beseitigung der Trümmer des Johanneums vor, den Domplatz wieder zu bebauen. Daher standen dort archäologische Untersuchungen an. Schon ganz am Anfang entdeckte Schindler den gewaltigen Graben und Wall der Burg drei, die er damals für die Hammaburg hielt. Da die Analysemethoden noch nicht so weit entwickelt waren, hat er das Fundmaterial auf das 9. Jahrhundert datiert, aus damaliger Sicht absolut korrekt. So schien klar zu sein, dass er die berühmte Hammaburg entdeckt hatte.
Wann wurde diese These erschüttert?
Weiss: Das geschah erst bei der Grabung in den 1980er-Jahren, als man Schindlers Burg ins 10. Jahrhundert umdatieren musste. Das ergab die inzwischen deutlich verbesserte Analyse der Keramik. Im weiteren Verlauf entdeckte man im Kern der schindlerschen Anlage die Doppelkreisgrabenlage, die man auf das 5. oder 6. Jahrhundert datierte. Damit gab es eine Lücke zwischen dem 6. und dem 10. Jahrhundert. Die Ansgar-Zeit war entschwunden. Als Folge gab es auch die These, dass sich die Hammaburg eben nicht auf dem Domplatz, sondern auf der anderen Seite der Alsterschleife ungefähr bei St.Nikolai auf dem Areal der neuen Burg befunden habe. Archäologisch war das nicht zu beweisen und wurde auch in der Fachwelt nicht akzeptiert.
Wie kam es in den 2000er-Jahren zu der vorerst letzten Grabung?
Weiss: Auch das war wieder Teil einer Bauvorbereitung, denn damals war die Bebauung des Domplatzes erneut geplant, mit dem Bürgerschaftsforum und dem Internationalen Archäologie-Zentrum – was aber am Ende nicht realisiert wurde.
Was ergaben sich für Chancen, der Hammaburg auf die Spur zu kommen?
Weiss: Ein Glücksfall war ein Tankstellengebäude aus den 1920er-Jahren in der Südwestecke des Domplatzes, auf dessen weitgehend unberührtem Areal nie zuvor gegraben wurde. Dieses Gebäude befand sich ausgerechnet am Schnittpunkt aller drei Befestigungsanlagen. Die Befundsituation war geradezu ideal. Außerdem gab es in den letzten 20 Jahren eine echte Revolution bei der Keramikdatierung, da man inzwischen dank zahlreicher Burgengrabungen mit Holzerhaltung mithilfe der Dendrochronologie die Keramikfunde fast jahrgenau bestimmen kann. Wir konnten also zum Beispiel auch Keramik, die Schindler in den 1950er-Jahren ausgegraben hat, mit unseren neuen Methoden viel präziser bestimmen als er.
Sie haben ja die These aufgestellt, dass Hamburgs Frühgeschichte in Teilen neu geschrieben werden muss. Können Sie das noch einmal auf den Punkt bringen?
Weiss: Zunächst einmal: Hamburg ist eben nicht als planmäßige Reichsgründung Karls des Großen entstanden.
Sondern?
Weiss: Die Burg hat sich aufgrund der günstigen verkehrsgeografischen Lage im 8. Jahrhundert einfach entwickelt. Punkt 2: Erstmals ist es dank der neuen Grabungsergebnisse möglich, Hamburgs Frühgeschichte von der ersten Burganlage bis zur Gegenwart lückenlos nachzuweisen. Punkt 3: Auch die Idee, dass Hamburg eine bischöfliche Gründung von Ansgar war, ist nicht mehr haltbar. Ansgar kam bereits in eine feste und gesicherte Infrastruktur.
Wie sehen Sie die Rolle Ansgars?
Weiss: Er war ohne Zweifel für den gesamten Norden bis Skandinavien eine extrem wichtige Persönlichkeit. Nicht nur in Schleswig, sondern auch in Birka und Ribe beruft man sich auf Ansgar. Und jeder dort weiß, dass Ansgar aus Hamburg kommt. Allerdings musste ich aus den Gesprächen mit den Historikern lernen, dass Ansgar trotzdem fast nie in Hamburg gewesen ist. Deshalb konnten wir hier auch keine Spuren von entsprechenden Gebäuden finden. Ansgar ging 845 nach dem Wikingerüberfall nach Bremen und kam nie wieder zurück, trotzdem blieb Hamburg Sitz des Erzbistums.
Warum eigentlich?
Weiss: Es gab Regularien, das war so festgelegt. Und wenn dieser Ort erst mal als Bistum geweiht ist, dann hatte das auch dabei zu bleiben, unabhängig davon, ob der Bischof auch wirklich vor Ort war. Das war die Voraussetzung dafür, dass Hamburg auch in schwierigen Zeiten nie aufgegeben wurde, sondern weiterhin besiedelt blieb und später auch wieder zu einem kirchlichen und bischöflichen Zentrum werden konnte. Dabei war Hamburg zunächst gar nicht als Missionszentrum vorgesehen.
Wo sollte das denn ursprünglich sein?
Weiss: Vorgesehen war noch von Karl dem Großen, das ist schriftlich überliefert, am westlichen Stadtrand von Itzehoe die strategisch eigentlich viel besser, weil dichter am dänischen Missionsgebiet gelegene Burg Eselsfeldt. Dort saß der Bischof Ebo von Reims, der schon 810 den Missionsauftrag erhalten hatte. Nur weil Ebo bei Kaiser Ludwig dem Frommen in Ungnade fiel, war Eselsfeldt dann sozusagen verbrannt, und man suchte eine Alternative in vergleichbar günstiger Lage, bis schließlich die Wahl auf die Hammaburg fiel.
Hamburg war also zweite Wahl?
Weiss: Das mag vielleicht etwas unfreundlich ausgedrückt sein, ist aber im Prinzip so gewesen.
Muss man als Archäologe ein geduldiger Mensch sein? Die Grabung war 2006 beendet, dann dauerte die Auswertung noch einmal sieben Jahre.
Weiss: Ja, man muss sich in Geduld fassen, denn manche Dinge dauern einfach lange. Außerdem braucht es seine Zeit, bis die neu gewonnenen Erkenntnisse wissenschaftlich abgesichert und der Fachwelt vorgestellt werden können. Als Faustregel gilt: Der Wissensstand der Ausgräber geht dem Zeitpunkt der Publikation etwa 15 Jahre voraus. Aber Archäologen denken in langen Zeiträumen. Was sind schon 1000 Jahre in der Steppe? Da sind wir ganz entspannt.
Was hat Sie am meisten überrascht?
Weiss: Dass so viel archäologische Substanz trotz aller Planierungen, Zerstörungen und Umbrüche doch noch erhalten geblieben ist. Aber spektakulär sind nicht die Befunde, sondern die Schlüsse, die wir daraus ziehen konnten und die ein völlig neues Licht auf Hamburgs Frühgeschichte werfen.