Die Verwaltungsakte der Hamburger Behörden können bald von jedem eingesehen werden. Was die Bürger schon jetzt über ihre neuen Rechte wissen sollten. Die Handelskammer kritisiert die neuen Gesetzte scharf.

Hamburg. Es ist ein deutschlandweit einmaliges Vorhaben: Mit dem im Oktober 2012 verabschiedeten Transparenzgesetz strebt Hamburg als erstes Bundesland eine beinahe gläserne Verwaltung an. Schon jetzt können die Bürger Einblick in viele städtische Akten beantragen, und zum 6. Oktober 2014 wird das Kernstück des Projektes umgesetzt: Dann sollen alle unter das Gesetz fallenden Dokumente in einem Informationsregister ins Internet gestellt werden. Das Abendblatt zieht eine Zwischenbilanz zur Einführung und beantwortet die wichtigsten Fragen zum Transparenzgesetz.

Warum wurde das Gesetz eingeführt?

Ziel des Gesetzes ist es, die Bürger mit der Verwaltung ihrer Stadt „auf Augenhöhe“ zu bringen, schreibt der Senat. Entscheidungen der Behörden sollen nachvollziehbar gemacht werden, um die Menschen „stärker an der Gestaltung des Gemeinwesens zu beteiligen“. Mehr Transparenz soll dabei auch Korruption und Misswirtschaft vorbeugen, so die Hoffnung. Die Einführung des Gesetzes geht auf die Volksinitiative „Transparenz schafft Vertrauen“ zurück, an der der Verein „Mehr Demokratie“, der Chaos Computer Club und Transparency International beteiligt waren. Gemeinsam mit der Bürgerschaft einigte man sich auf das Gesetz.

Gibt es Vorbilder in anderen Ländern?

In manchen Ländern ist der Staat schon seit Jahrzehnten verpflichtet, seine Akten den Bürgern zugänglich zu machen. Prominentes Beispiel ist der „Freedom of Information Act“ der USA, der 1967 in Kraft gesetzt und 1974 zugunsten der Bürger reformiert wurde. Danach ist die Regierung gegenüber den Bürgern auskunftspflichtig. Eine offene Mentalität gibt es etwa auch in skandinavischen Ländern. In Norwegen sind sogar Steuererklärungen im Internet einsehbar, sodass jeder Bürger das Einkommen seines Nachbarn kennt.

Welche Akten können Bürger auf Antrag einsehen?

Grundsätzlich unterliegen der Auskunftspflicht „alle amtlichen Informationen, die in behördlichen Akten oder sonstigen Speichermedien erfasst sind, sofern dem Informationszugang nicht gesetzliche Vorschriften, insbesondere Schutzvorschriften zugunsten Dritter, entgegenstehen“. Dazu gehören auch Karten und Daten des Landesbetriebes für Geoinformation und Vermessung. Geschützt sind Geschäftsgeheimnisse und personenbezogene Daten. Letztere müssen unkenntlich gemacht werden. Ebenfalls ausgeschlossen sind Daten, deren Weitergabe nach „höherrangigem Recht“ verboten ist – also etwa Dokumente zu Sicherheitsbelangen.

Wie beantragt man Akteneinsicht, was kostet sie und wie lange dauert es?

Anträge können schriftlich, mündlich, telefonisch, per Fax oder E-Mail bei der zuständigen Stelle gestellt werden. Auskunftspflichtig sind alle Behörden und Anstalten, Körperschaften und Stiftungen öffentlichen Rechts. Ist eine Stelle nicht zuständig, so muss sie dem Antragsteller mitteilen, welche andere Behörde ihm weiterhilft.

Die Spanne der Gebühren reicht von null bis 500 Euro. Einfache Auskünfte kosten nichts. Die Kosten für Akteneinsicht oder Übersendung von Informationen können je nach Aufwand 15, 30, 60, 125, 250 oder 500 Euro betragen. Es ist ratsam, bereits bei Antragstellung nach den Gebühren zu fragen. Empfänger von Hartz-IV-Leistungen oder Grundsicherung sind von Zahlungen befreit. Normalerweise müssen die städtischen Stellen die Informationen binnen eines Monats zur Verfügung stellen. Bei sehr hohem Aufwand kann diese Frist auf zwei Monate verlängert werden. Die Nutzung des Online-Registers (ab 6. Oktober) kostet nichts.

Was tun, wenn die Einsicht in Akten abgelehnt wird?

Kann oder will eine städtische Stelle Informationen nicht herausgeben, so muss sie dies in einem formalen Ablehnungsbescheid begründen. Dagegen kann Widerspruch und in einem nächsten Schritt auch Klage erhoben werden. Zugleich können Bürger sich beim Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit beschweren.

Welche Akten werden im Oktober ins Internet gestellt?

Gutachten und Studien; wesentliche Teile von Senatsbeschlüssen; Protokolle öffentlicher Sitzungen; Verträge zur Daseinsvorsorge (Wasser, Energie, öffentlicher Personennahverkehr etc.); Geodaten; Statistiken; Haushalts-, Stellen-, Bewirtschaftungs-, Organisations-, Geschäftsverteilungs- und Aktenpläne; die Umwelt betreffende Messungen und Beobachtungen; Globalrichtlinien, Fachanweisungen, Verwaltungsvorschriften; Baumkataster; öffentliche Pläne; wesentliche Regelungen erteilter Baugenehmigungen; Subventionen- und Zuwendungsvergaben; wesentliche Unternehmensdaten städtischer Beteiligungen (etwa Saga GWG, Hamburg Messe, Bäderland etc.).

Nutzen die Bürger ihre neuen Rechte?

Ja, die Anfragen an die Behörden haben seit Einführung des Gesetzes zugenommen. Insgesamt wurden nach Auskunft der zuständigen Justizbehörde 556 Anträge gestellt. Nach Auskunft des Informationsfreiheitsbeauftragten Johannes Caspar hat sich die Zahl der Beschwerden über verweigerte Informationen zuletzt vervierfacht – was Caspar allerdings nicht auf zunehmende Fehler der Behörden, sondern auf die insgesamt steigende Zahl von Anfragen zurückführt.

Was kostet diese Transparenz?

Die Einrichtung des Informationsregisters kostet laut Justizbehörde 5,2 Millionen Euro. Betrieb und Pflege werden mit 1,4 Millionen Euro pro Jahr veranschlagt. Derzeit sind zehn städtische Mitarbeiter mit der Vorbereitung des Registers befasst. Künftig sollen alle infrage kommenden Dokumente direkt bei Entstehung ins Register gestellt werden. Insgesamt werden 1500 Führungskräfte geschult. Das Budget dafür beträgt 500.000 Euro. Erfreulich: Bisher bewegt sich das Projekt laut Behörde sowohl im gesteckten Zeit- als auch im Finanzrahmen.

Warum ist die Wirtschaft skeptisch?

Die Handelskammer gehört zu den schärfsten Kritikern des Gesetzes. Sie fürchtet durch eine Verunsicherung der Beamten einen „Stillstand in der Verwaltung“ sowie Wettbewerbsnachteile durch die Veröffentlichung von Verträgen.

Fallen auch städtische Firmen und Kammern unter das Gesetz?

Der Senat hat eine Liste von 43 städtischen Firmen vorgelegt, die auskunftspflichtig nach Transparenzgesetz sind, soweit sie „öffentliche Aufgaben“ wahrnehmen. Dazu zählen Hochbahn, HVV, Flughafen, Messe, Saga und GWG, Wasserwerke, Bäderland, die Asklepios Kliniken Hamburg GmbH und Kultureinrichtungen. Allerdings sind nicht alle Unternehmen damit einverstanden. Wie berichtet, haben vier Firmen – darunter Saga, Messe und Bäderland – Gutachten erstellen lassen, um sich gegen Veröffentlichungspflichten zu wehren.

„Ich bin ein Anhänger von Transparenz, und wir praktizieren diese auch“, sagte Messe-Chef Bernd Aufderheide dem Abendblatt. „Wir stehen aber im knallharten nationalen und internationalen Wettbewerb. Wenn wir Vertragsinterna oder Gutachten veröffentlichen müssten, wäre das ein großer Nachteil für uns und die Stadt.“

Die zuständige Wirtschaftsbehörde will sich in dieser Frage nicht festlegen. „Die Messe handelt in eigener Zuständigkeit und Verantwortung, auch bei eventuellen Gerichtsverfahren“, sagte Sprecherin Helma Krstanoski. Ähnlich bewertet dies die für Saga GWG und Bäderland zuständige Stadtentwicklungsbehörde.

Die Kammern gehören wie auch Hochschulen zur „mittelbaren Staatsverwaltung“. Sie sind auskunftspflichtig bei Anfragen von Bürgern, müssen nach Einschätzung des Senates ihre Daten aber nicht von sich aus ins Informationsregister einstellen.

Wie bewerten Politik und Experten die bisherige Umsetzung?

Insgesamt wird dem Senat ein gutes Zeugnis ausgestellt. „Wir müssen dem Projektteam des Senats große Anerkennung zollen“, sagt Helena Peltonen von der Transparenz-Initiative, die auch bei Transparency International und Mehr Demokratie mitarbeitet. „Man sieht, dass die Mitarbeiter mit Begeisterung dabei sind und alles tun, um eine gute Arbeit abzuliefern und im Oktober mit einem gut funktionierenden Online-Register an den Start zu gehen.“ Allerdings sei in der Verwaltung ein „Kulturwandel“ nötig, so Peltonen.

Das sieht auch der jetzt zuständige neue Justizstaatsrat Nikolas Hill so. „Wir brauchen einen Kulturwandel wie in der Zeit, als Computer in der Verwaltung eingeführt wurden“, so Hill. „Ich bin aber optimistisch, dass wir das hinbekommen.“

So berichtet der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Martin Bill von Problemen: „Ich habe versucht, den sogenannten 10.000-Vertrag zwischen Stadt und Bund der Kleingärtner einzusehen. Der Antrag scheiterte, da der Bund seine Interessen beeinträchtigt sah.“ Dabei enthalte der Vertrag Festlegungen, die für Bebauungspläne enorm wichtig seien. In einem weiteren Fall habe die Stadt in Hummelsbüttel einem Privaten ein Grundstück für den Betrieb einer Mülldeponie verkauft. Gefragt nach den Gründen habe sie auf Geschäftsgeheimnisse verwiesen. „Gerade in solchen Fällen sollte das Gesetz für Transparenz sorgen“, so Bill.

Johannes Caspar, Beauftragter für Informationsfreiheit, sieht die Stadt dennoch auf einem „guten Weg“. Der Trend zu einer steigenden Zahl von Anfragen sei ungebrochen. Kritik übte Caspar daran, „dass einige städtische Unternehmen auf eigene Kosten Rechtsgutachten einholen, um sich den Verpflichtungen des Transparenzgesetzes möglichst zu entziehen“. Diese Unternehmen hätten eine öffentliche Aufgabe und stünden unter der Kontrolle der Stadt. Und SPD-Rechtspolitiker Urs Tabbert betont, dass „jeder Kulturwandel Lernprozesse nach sich zieht“. Bei öffentlichen Unternehmen gehe es „um komplexe rechtliche Fragen, die je nach Ausrichtung unterschiedliche Antworten verlangen“. Der SPD sei daran gelegen, zu klaren und allgemein akzeptierten Lösungen zu kommen.

Wie geht es jetzt weiter?

In Kürze wird der Senat die Bürgerschaft über den Stand der Umsetzung informieren. „Der erzielte Projektfortschritt entspricht insgesamt dem vorgesehenen Zeitplan“, heißt es in dem Entwurf der Drucksache, der dem Abendblatt vorliegt. Spannend wird zu beobachten sein, ob das Online-Register im Finanzrahmen bleibt und ab 6. Oktober so reibungslos funktioniert wie erhofft. Bis dahin müssen laut Justizbehörde 60 Systeme unterschiedlicher Institutionen verbunden werden.