Der Konflikt der Mieter der Hegestraße 46 mit ihrem Vermieter erregt bundesweit Aufsehen. Der Investor will Eigentumswohnungen bauen, die Bewohner sind im Weg. Jetzt kommt der Fall erneut vor Gericht.

Es könnte alles wieder gut werden, versprach der Investor. Er sagte, dass Gerd Schreiner selbstverständlich in der Hegestraße 46 bleiben könne. Eine schöne neue Küche und edles Parkett seien drin, über den Grundriss der neuen Wohnung könne man reden. Das alles für 8,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter – ein Spottpreis für diese Lage.

Doch Gerd Schreiner weiß nicht so recht. „Ich will diesen Leuten ja glauben, weil ich diesen Krieg beenden will“, sagt er. Nur: Er kann diesen Leuten nicht mehr glauben. Zu lange tobt der Krieg schon. Zu lange hat der Investor versucht, Schreiner und seine Nachbarn aus der Hegestraße zu vertreiben.

Die Hegestraße 46 ist zu einem Symbol geworden. Seit das Abendblatt im Juni des vergangenen Jahres in einem vierseitigen Dossier über „die Akte Hegestraße“ berichtete, ist der Fall bundesweit bekannt geworden. Er passt in die Debatten über Gentrifizierung; gerade in Hamburg geht es ja gerade heiß her. Was die Esso-Häuser, die Rote Flora und die Hegestraße am Eppendorfer Baum gemeinsam haben: Je mehr Unterstützer sich einschalten, desto mehr Wahrheiten gibt es. Und irgendwann kann auch in Vergessenheit geraten, um wen es hier eigentlich geht.

In der Hegestraße geht es eigentlich um acht Mieter: Gerd Schreiner, Iris Grabig, Maggi Willer, Corinna Thomssen, Makbule Can, Helga Dohms, Andreas Ster, Siegrid Spiering. Sie leben teilweise seit Jahrzehnten in dem baufälligen Komplex Hegestraße 46 a bis f, alle in kleinen Wohnungen, zu geringen Mieten. Im Jahr 2009 kaufte ein Investor die Gebäude mit den Hausnummern 44, 46 und 48. Die Lage direkt am Isebekkanal könnte besser nicht sein.

Im August 2012 schickte die „GbR Hegestraße 44–48“ den Mietern die Kündigung. Eigentumswohnungen sollten gebaut werden, die Bewohner waren im Weg. Die Mieter werfen dem Investor vor, dass er ihnen das Leben zur Hölle gemacht habe. Mängel in den Wohnungen seien nicht beseitigt worden, andere Mieter vergrault und leer stehende Wohnungen unbewohnbar gemacht worden. Entmieten nennt man so was – es ist illegal. Eigentlich gibt es 36 Wohnungen in der Hegestraße 46, acht sind noch bewohnt. Der Investor weist die Vorwürfe zurück.

Der Konflikt wird vor Gericht ausgetragen: Im vergangenen Sommer wies das Amtsgericht die Kündigung gegen die Mieterin Siegrid Spiering zurück. Begründung: Der Investor hatte zum Zeitpunkt der Kündigung nicht die nötigen Genehmigungen für sein Bauprojekt. Heute kommen sechs weitere Fälle vor das Amtsgericht.

Der Konflikt hat auch eine politische Dimension: Eigentlich geht es um Anspruch und Wirklichkeit des Wohnungsbauprogramms des Senats. Pro Jahr sollen 6000 Wohnungen gebaut werden, die Genehmigungsverfahren dazu müssen zwangsläufig schneller werden. Harald Rösler, Leiter des Bezirksamts Nord, muss liefern.

Für den SPD-Politiker ist der Konflikt ein Desaster. Das Bezirksamt Nord hat die Baugenehmigung für die Pläne des Investors im vereinfachten Verfahren erteilt. Dass noch eine wichtige Genehmigung fehlte, störte zunächst nicht. Als der Lapsus den Beamten auffiel, forderten sie den Investor zum Nachreichen auf – und erteilten flugs die Genehmigung. Das wirkt wie Vetternwirtschaft, kritisieren die Unterstützer der Mieter. Im ersten Gerichtsprozess im Sommer rügte die Richterin, dass die Pläne des Investors gar keine Sanierung seien, sondern eher ein Abriss. Dafür wären weitere Genehmigungen erforderlich gewesen. Das Amt hatte immer wie der Investor argumentiert. Die Beamten wirken überfordert. Kein Wunder bei mehr als 1000 Bauanträgen im Jahr. Erst nach Protesten der Bürger schickte Rösler das Thema in den Bauausschuss. Doch mit Transparenz hat das Gremium nicht viel zu tun: Es tagt geheim.

Auch die Entmietungsvorwürfe treffen das Bezirksamt: Die Behörde ist für Verstöße gegen den Wohnraumschutz wie etwa Leerstand zuständig – und hat viel zu spät reagiert. Auch nachdem das Amt 2012 den Leerstand des Großteils der Wohnungen offiziell festgestellt hatte, passierte nichts. Die Beamten glaubten dem „schlüssigen Vortrag“ des Investors, wonach er die Wohnungen nicht illegal leerstehen lässt. Das Amt leitete erst nach einem Abendblatt-Bericht Ermittlungen ein.

Vor allem im vergangenen Herbst war die Empörung groß – damals kämpfte Röslers SPD im Bundestagswahlkampf gegen schlechte Umfragewerte. Bundestagswahlen werden auch durch Politik in Bezirken beeinflusst. Rösler kündigte an, die Baugenehmigung kritisch prüfen zu wollen. Er schimpfte über „widersprüchliche Angaben“ im Bauantrag. Nach dieser Ankündigung schien klar: Rösler nimmt dem Investor die Baugenehmigung weg.

Das war im September. Wie weit die Verfahren sind, will Rösler seit Monaten nicht sagen. Er hat sich verzockt: Der Investor zeigte sich überhaupt nicht beeindruckt und hat seine Anwälte in Stellung gebracht. Eine Klage wegen nicht erteilter Genehmigungen gibt es bereits. Auch im Bezirksamt werden die Chancen, die Genehmigung entziehen zu können, mittlerweile als schlecht eingeschätzt. Wenn die Situation eskaliert, könnte der Investor das Amt eines Tages mit hohen Schadenersatzforderungen konfrontieren.

„Herr Rösler zögert die Verfahren hinaus, um sein Gesicht nicht zu verlieren und verzögert so mögliche Lösungen“, kritisiert die Fraktionschefin der Linken in der Bezirksversammlung Nord, Karin Haas. Rösler erklärt sein Vorgehen mit einem Strategiewechsel. Verhandlungen mit Mieter und Vermieter hätten jetzt Vorrang, teilt er mit. „Dabei ging es auch darum, die Verhandlungen nicht durch Entscheidungen zu belasten, welche die Position der Mieter möglicherweise verschlechtert hätten.“

Eine Einigung ohne Verfahren und ohne Prozesse ist Röslers einzige Chance. Er steht unter Zeitdruck: Im Mai sind Bezirksversammlungswahlen, der Fall Hegestraße kann die SPD viele Stimmen kosten. Eigentlich wollte er den Konflikt schon vor Weihnachten gelöst haben. Zusätzlichen Druck gibt es aus der Bezirksversammlung. Die Abgeordneten haben ihn damit beauftragt, dass „in der Hegestraße 46 a bis f ein mieterfreundlicher Weg gefunden wird, die Häuser zu sanieren und bezahlbaren Wohnraum zu erhalten“. Auch einen runden Tisch soll er einberufen.

Rösler war mehrfach bei den Mietern. Jetzt hat er den Mietern eine Einladung zu einem runden Tisch geschickt. Termin: 21. Januar, morgen. Röslers Traum: Investor und Mieter einigen sich, alle Verfahren werden eingestellt – und er selbst steht als Friedensbringer da.

Doch daraus wird erst mal nichts. Am vergangenen Donnerstag spuckte Röslers Faxgerät vier Blätter Papier aus. Eine Nachricht von Bernd Vetter, dem Anwalt der Mieter: „Sehr geehrter Herr Rösler, Ihren Vorschlag für einen angeblichen ,runden Tisch‘ lehne ich in dieser Form namens und im Auftrag der acht Mieterinnen und Mieter Hegestraße 46 ab.“

Vetter fühlt sich als Verhandlungsführer der Mieter übergangen, weil er selbst keine Einladung zum runden Tisch bekommen hatte. Auch Vertreter aller Fraktionen der Bezirksversammlung und die Initiative „Wir sind Eppendorf“ seien außen vor. „Die Verhandlungen, die Sie vorschlagen, haben mit einem runden Tisch nichts zu tun“, folgert Vetter. Der Anwalt stört sich vor allem daran, dass Rösler in seiner Einladung geschrieben hatte, dass nur über die Situation der acht Mieter beraten werden sollte. Für Vetter geht es um bezahlbaren Wohnraum in allen Wohnungen der Hegestraße 46. Und damit nicht genug: Auch die Wohnungen der Häuser 44 und 48 sollen mit in die Verhandlungsmasse. Und am liebsten wohl auch viele weitere Häuser.

Vetter sieht seinen Auftrag nicht als Job, sondern als Mission. Spekulanten sind seine Feinde. Vetter wohnt in der Haynstraße 1, hat dort schon erfolgreich gegen Investoren gekämpft. Die Initiative „Wir sind Eppendorf“ ist sein Partner in dieser Mission – mit vielen engagierten Bürgern, Internetauftritt, Facebook-Aktivitäten. Und so kann Bernd Vetter, der es mit dem Internet nicht so hat, trotzdem auf allen Kanälen seine Forderungen verkünden. Etwa diese: Die Eigentümer sollen den ganzen Komplex an einen „sozial handelnden Eigentümer“ verkaufen, der nach einer Sanierung ausschließlich Mietwohnungen anbietet. Für Vetter und die Aktivisten von „Wir sind Eppendorf“ ist jeder Tag, den der Konflikt weiter Thema ist, ein guter Tag.

Für Jürgen Kaape ist jeder Tag dieses Konflikts ein schlechter Tag. Kaape ist einer der beiden Investoren, die mit ihren Gesellschaften hinter der „GbR Hegestraße 44–48“ stehen. Er möchte endlich anfangen zu bauen. Jeder Tag, an dem nichts passiert, ist teuer.

Bis die Lage eskalierte, kümmerte sich der andere Gesellschafter um das Projekt: Karl-Michael Denkner. Er ist für viele der Böse in diesem Spiel. Kaape bemüht sich um die Rolle des Guten. Er ist seit 50 Jahren SPD-Mitglied. Regelmäßig telefoniert er jetzt mit seinem Genossen Harald Rösler, der Kontakt sei gut, sagt Kaape.

Auch Kaape war in der Hegestraße, er wollte die Mieter mal kennenlernen, Rösler brachte ihn mit. So konnte der Investor sein Angebot persönlich unterbreiten: Alle Mieter können bleiben. Für die Zeit des Umbaus organisiert Kaape eine Übergangswohnung zum bisherigen Mietpreis, den Umzug und Rückzug zahlt er auch. Die Grundrisse der neuen Wohnungen werden abgestimmt, auch der Bodenbelag. Die Kaltmiete soll 8,50 Euro pro Quadratmeter betragen. Eigenbedarfskündigungen will er ausschließen. „Mehr kann man nicht machen“, sagt Kaape. Er will seine Eigentumswohnungen um die renitenten Mieter herum bauen. Über den Mieteranwalt Vetter sagt Kaape: „Er verfolgt nur politische Interessen. Er will, dass nur Sozialwohnungen in dem Komplex entstehen.“

Bernd Vetter hingegen sagt, dass man gerne über das Angebot reden könne – aber nur mit ihm selbst als Verhandlungsführer, und vorher müssten seine Forderungen erfüllt werden. Es gehe um den gesamten Häuserkomplex Hegestraße 44 bis 48, auch seien Mängel in den Wohnungen nicht beseitigt worden. Vetter wirft Kaape und Rösler vor, sich Zugang zu den Mietern erschlichen zu haben, um ihn von den Verhandlungen auszuschließen.

Die Mieter der Hegestraße 46 haben eigentlich viel erreicht. Der Investor ist ihnen weit entgegengekommen. Aber da ist das Misstrauen: gegenüber Rösler, gegenüber Kaape. Dürfen sie wirklich wieder in die Hegestraße zurück, wenn die Bauarbeiten beendet sind? Die Mieter spüren auch die Erwartungshaltung ihrer Unterstützer, dass man über den Konflikt der Hegestraße mehr erreichen kann, wenn man mehr Forderungen stellt und pokert.

Doch der lange Kampf hat die Mieter müde gemacht. Fernsehteams sind gekommen, sogar aus Österreich. Politikerdelegationen kamen vorbei und viele Bürger. Jedes Gespräch kostet Kraft, vor allem die älteren Bewohnerinnen Makbule Can, 77, und Helga Dohms, 83 Jahre alt.

Es ist zu Konflikten gekommen zwischen den Bewohnern. Manche sind genervt von dem Rummel. Andere finden die Auftritte im Fernsehen toll. Es gab Streit darüber, wer im Fernsehen auftreten darf und wer nicht. Von den Beratungen der Bewohner wurde eine Nachbarin sogar ausgeschlossen. Die Mieter haben Gerd Schreiner und Iris Grabig zu ihren Sprechern gewählt.

Sie sind froh um die Unterstützung der Eppendorfer, die Solidarität hat sie starkgemacht. Aber jetzt wollen sie sich auf ihre eigenen Interessen besinnen. Gerd Schreiner sagt: „Wir können hier die Demokratie nicht neu erfinden. Wir müssen auch sehen, wo wir bleiben.“

An diesem Montag um 22 Uhr strahlt der NDR die 45-minütige Dokumentation „Wahnsinn Wohnungsmarkt“ aus. Darin geht es auch um die Mieter der Hegestraße. Das Abendblatt-Dossier „Die Akte Hegestraße“ ist abrufbar unter abendblatt.de/hege