In der Hegestraße 46 kämpfen noch acht Mieter um ihre Wohnungen am Isebekkanal. Dr. Joachim Wege, Direktor des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen, schaltet sich in die Diskussion ein
Hamburg. In der Hegestraße 46 hat ein Investor 2009 einen ziemlich maroden Gebäudekomplex für 4,7 Millionen Euro von einer Erbengemeinschaft gekauft. Er will die Wohnungen – aus 36 werden 24 – sanieren, verkaufen und hat den Mietern vor einem Jahr eine Verwertungskündigung geschickt. Noch kämpfen acht Mieter um ihre Wohnungen am Isebekkanal. Sie werfen dem Eigentümer vor, Wohnungen leer stehen zu lassen und unbewohnbar gemacht zu haben. Das Bezirksamt Nord ermittelt gegen den Investor wegen Verstoßes gegen das Wohnraumschutzgesetz.
Hamburger Abendblatt: Herr Dr. Wege, wie beurteilen Sie die „Akte Hegestraße“?
Dr. Joachim Wege: Ich war vor 35 Jahren im Bezirk Hamburg Nord für das Wohnraumpflegegesetz zuständig, und schon da hatten wir Probleme mit Spekulanten, die Wohnraum billig aufkauften, verwahrlosen ließen und Mieter vergraulten, um dann übermäßige Gewinne zu machen. Solche Fälle gibt es, und denen muss man auch begegnen. Ob das konkret auch für die Hegestraße zutrifft, kann ich nicht sagen, weil ich den Sachverhalt zu wenig kenne. Dass Wohnungen gekauft werden, um sie zu sanieren, ist erst einmal nichts Falsches oder Strafbares, sondern zwingend geboten. Hamburg würde nicht so aussehen, wenn das nicht permanent geschehen würde. Man will ein vielfältiges Wohnangebot für jedermann mit unterschiedlichen Standards und Preisen. Aber Wohnungen, die in die Jahre gekommen sind, müssen auch von Grund auf saniert werden, wenn sie unbewohnbar sind und sich Schimmel und Hausschwamm breit machen. Hier kommt es auf den genauen Sachverhalt an, bevor man urteilt.
Haben Sie Verständnis für die Mieter, denen beim Eigentümerwechsel gesagt wurde, sie hätten nichts zu befürchten, weil sie ja ordentliche Mietverträge haben, und die nun aus ihren Wohnungen nicht hinaus wollen?
Wege: Natürlich. Wohnen ist für die Menschen etwas Elementares, daran hängen Lebensqualität und ein Gefühl von Sicherheit. Aber man wird sich immer daran gewöhnen müssen, dass es Veränderungen gibt, dass Häuser modernisiert werden und Mieten deshalb auch steigen. Hier darf man nicht sofort den Investor an den Pranger stellen. Es ist in jedem Einzelfall eine schwierige Abwägung, um zu vernünftigen Lösungen zu kommen.
Wie kriegt man das hin?
Wege: Durch Kommunikation mit den Mietern. Da muss man auch mal um Verständnis bitten, dass eine Grundsanierung nicht im bewohnten Zustand gelingen kann. Oder dass es auch sinnvoll sein kann, gewisse Gebäude durch Neubauten zu ersetzen.
Wie läuft das bei den 314 Mitgliedsunternehmen in Ihrem Verband?
Wege: Unsere Unternehmen haben in solchen Fällen ein Umzugsmanagement, da werden auch Sozialarbeiter mit eingebunden, um frühzeitig über Termine zu informieren. Dann wird gemeinsam überlegt, wie kann die Sanierung vollzogen werden, ohne dass die Mieter in ein Loch fallen. Indem sie beispielsweise zwischenzeitlich gut untergebracht werden und ihnen das Angebot gemacht wird, anschließend wieder in ihre Wohnung oder in das neu erstellte Gebäude zurückzukehren.
Gibt es Zahlen darüber, wie viele Mieter nach einer Grundsanierung in ihre Wohnungen zurückkehren?
Wege: Bei uns kehren rund 40 Prozent der Mieter wieder in ihre sanierten Wohnungen zurück.
Was sagen Sie zum Instrument der Verwertungskündigung, die hier angewendet wird?
Wege: Es ist schwierig, die Interessen von Mietern, Vermietern oder künftigen Mietern unter einen Hut zu bringen. Unser Mietrecht hat sich bewährt, weil es dafür sorgt, dass Mieter – bis auf klar definierte Ausnahmen wie zum Beispiel einer Kündigung wegen Eigenbedarfs – darauf vertrauen können, in ihrer Wohnung bleiben zu können. Aber es ist eben auch möglich, dass unter bestimmten Bedingungen wie eben bei einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit, den Mietern Veränderungen bis zu einer Kündigung zugemutet werden können. Es kann auch bei Genossenschaften im Einzelfall sein, dass die Verwertungskündigung als letztes Mittel zur Geltung kommt. Aber eine Verwertungskündigung, nur um ein Objekt zu entmieten und dann teurer verkaufen zu können, findet bei uns nicht statt.
Wie beurteilen Sie den jahrelangen Leerstand seit 2009 in dem Wohnkomplex?
Wege: Leerstand ist manchmal im Zuge einer grundlegenden Sanierung nicht zu vermeiden. Wenn man jede leer stehende Wohnung sofort wieder neu besetzen würde, könnte man das Unterfangen vergessen. Bei uns sind Entmietungsprozesse aber immer Gegenstand eines Gesamtkonzeptes. Wenn es sich jedoch nur um eine reine Entmietung handelt, um das Objekt hinterher teuer verkaufen zu können, ist das nicht mit den Zielen unseres Verbandes zu vereinbaren. Weil es sich um ein Gesamtkonzept handeln sollte, hat der Senat in seinem neuen Wohnraumschutzgesetz ja auch einen Absatz aufgenommen. Danach wird der Vermieter von seiner eigentlichen Verpflichtung zur Zwischenvermietung, wenn eine Wohnung länger leer steht, befreit. Und zwar dann, wenn dieser längere Leerstand Bestandteil eines sozial verträglichen Entmietungskonzeptes ist.
Welche Rolle spielen die Menschen?
Wege: Einige Investoren kaufen Wohnungen und treffen dann erst auf die Menschen, die dort wohnen. Bei uns stehen die Menschen im Mittelpunkt und nicht der Profit. Private Investoren haben die Rendite stärker im Blick und handeln mehr nach betriebswirtschaftlichen Aspekten. Aber auch sie müssen die Gesetze beachten und sozialverträglich vorgehen. Für uns sind Wohnungen sowohl ein Wirtschafts- als auch ein Sozialgut. Menschen gehen vor Rendite. Und Investoren, denen es nur um Renditen von 15 oder 20 Prozent geht, haben nicht meine Sympathie. Schwarze Schafe und Immobilienhaie, die rabiat mit ihren Mietern umgehen, müssen sanktioniert werden.
Der SPD-Politiker Werner Dobritz hat angeregt, dass die Stadt prüfen solle, solche für Spekulanten attraktiven Wohnobjekte selbst aufzukaufen, zu sanieren und dann an seriöse Wohnungsunternehmen weiter zu verkaufen. Was halten Sie von einem solchen Lösungsansatz?
Wege: Es gibt Fälle, wo es ein städtisches Vorkaufsrecht gibt, zum Beispiel in bestimmten Sanierungsgebieten. Ich halte mehr davon, in solchen Fällen über mietergenossenschaftliche Modelle nachzudenken. Da gibt es tolle Beispiele wie etwa die Mietergenossenschaft Farmsen, die gerade für ihre Aktivitäten bei einem Wettbewerb von uns den ersten Preis gewonnen hat. Das fordert Eigeninitiative und Engagement. Der alleinige Ruf nach dem Staat wird die Probleme nicht lösen. Die Stadt wäre finanziell überfordert, wenn sie alle Probleme, die es irgendwo auf dem Wohnungsmarkt gibt, durch Ankauf lösen wollte. Die Stadt hat ja Instrumentarien, Investoren zu sozialverträglichem Verhalten anzuhalten.