Wirtschaftssenator Frank Horch will die Kooperation mit Cuxhaven deutlich ausbauen. Die Küstenstadt setzt auf die Errichtung neuer Meereskraftwerke.
Als der Schlepper der Reederei Otto Wulf aus dem Hafenbecken in die Nordsee eingebogen ist, ruht der Blick von Frank Horch einen Moment lang auf einem roten Schwimmdock. „Bei der Mützelfeldtwerft habe ich Ende der 1960er-Jahre eine Lehre als Schiffskonstrukteur absolviert. Das war das Fundament für mein Berufsleben“, sagt Hamburgs Wirtschaftssenator (parteilos). Horch, geboren in Geversdorf im Landkreis Cuxhaven, blieb der maritimen Wirtschaft auch in Hamburg eng verbunden. Die Geschicke des Hamburger Hafens, die freie Schiffbarkeit der Elbe, die Entwicklung von Werften und Schifffahrt in der Hansestadt sind prägend für jeden, der für Hamburgs Wirtschaft politische Verantwortung trägt.
Auch Cuxhavens Wohlstand hängt entscheidend vom Meer ab. Der Niedergang der Hochseefischerei hat die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten ebenso hart getroffen wie die Krise des Schiffbaus oder die Schließung von Marinestandorten. Cuxhaven hat gekämpft und den Wandel gestaltet. Das Hafengeschäft mit Mittelstreckenverkehren nach Großbritannien, Island und in die Ostsee hinein boomt. Neue Perspektiven verspricht obendrein der Aufbau von Windparks auf See. Früher als alle anderen Städte an der deutschen Nordsee begann Cuxhaven schon zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts, sich für die Produktion und den Transport schwerster Bauteile hinaus auf das Meer logistisch und technologisch zu rüsten. Die Bedingungen sind ideal: Ohne Restriktionen durch Ebbe und Flut können die Montage- und Versorgungsschiffe der Offshore-Wirtschaft die Kaikanten des Cuxhavener Hafens ungehindert erreichen. Davon will die Stadt profitieren. Und Hamburg auch.
Wirtschaftssenator Horch ist zu seinem ersten repräsentativen Besuch nach Cuxhaven gekommen. Oberbürgermeister Ulrich Getsch und der Stadtrat empfangen ihn im Schloss Ritzebüttel, das jahrhundertelang der Sitz der Hamburger Amtmänner war. Bis zur Gebietsreform des Jahres 1937 gehörte Cuxhaven größtenteils zu Hamburg. Längst ist die Küstenstadt ein Teil von Niedersachsen, und die politischen Interessen der beiden Nachbarländer laufen durchaus nicht immer parallel. Vor allem der Landkreis Cuxhaven leistete lange Zeit politischen Widerstand gegen die weitere Vertiefung der Elbe, bevor die Landesregierung von Niedersachsen die nötige Zustimmung zu dem Großprojekt erteilte. An der Elbmündung haben die Anwohner Sorge um die Deichsicherheit angesichts eines womöglich noch größeren Tidenhubs. Das konfliktträchtige Thema allerdings bleibt an diesem Tag außen vor.
Horch und Oberbürgermeister Getsch (parteilos) loten die Chancen einer engeren Kooperation aus. Seit Jahren wirbt Hamburgs Wirtschaftssenator für mehr Zusammenarbeit in der Metropolregion Hamburg. Zwar gibt es eine offizielle „Hafenkooperation Unterelbe“. Die aber muss, auch angesichts von Konflikten, immer wieder mit Leben und Perspektiven erfüllt werden. Städte wie Brunsbüttel, Cuxhaven oder Stade haben Vorzüge wie etwa freie Flächen oder kurze Wege in die offene See, die Hamburg nicht bieten kann. Von der wachsenden Zahl an Kreuzfahrtschiffen wiederum, die Hamburg anlaufen, könnte künftig auch Cuxhaven profitieren. In die Steuerung des regionalen Schiffstransports will Horch auch Cuxhaven deutlich enger einbinden, sagt er bei seinem Besuch.
Vor allem aber bei der Offshore-Windkraft könnten beide Städte von einer engeren Zusammenarbeit erheblich profitieren: In Hamburg sitzen mittlerweile Dutzende Unternehmen, die Windkraftwerke auf See planen, finanzieren, errichten wollen. Von Basishäfen wie Cuxhaven aus werden die Projekte dann realisiert. „Was Cuxhaven als Offshore-Basishafen bislang auf den Weg gebracht hat, ist ein Glücksfall für Deutschland“, sagt Horch. „Cuxhaven ist für die Kooperation mit Hamburg in der Offshore-Wirtschaft der entscheidende Basishafen.“
Der Schlepper fährt an der Hafenkante entlang. Terminals für Schwerlastgüter liegen neben Verladeflächen für Automobile. Das alte Terminal des Steubenhöfts am Amerika-Hafen, an dem einst Hapag-Passagierdampfer auf dem Weg in die Vereinigten Staaten festmachten, wird heute nur noch selten genutzt von Bäder- oder von Kreuzfahrtschiffen. Dahinter ragen auf einer Hafenfläche bald gelbe Stahltürme auf, Verbindungsstücke für die Installation von Offshore-Windturbinen auf ihren Fundamenten im Meer. Am Kai steht ein Hubschiff aufgeständert auf seinen mächtigen Stelzen. Das Unternehmen Ambau, nach eigenen Angaben Weltmarktführer beim Bau von Stahltürmen für Offshore-Windturbinen, produziert die mächtigen Röhrenkonstruktionen in einer modernen Fabrikhalle direkt am Hafen, ist damit aber derzeit bei Weitem nicht ausgelastet.
Auf kurze Distanz wird in Cuxhaven die Logik und die Logistik der Offshore-Windkraftbranche sichtbar. Horch allerdings bekommt auf der Brücke des Schleppers von dessen Kapitän Andreas Wulf erst einmal einige deutliche Worte mit auf den Weg: „In den vergangenen Jahren gab es in Deutschland keinen neuen Industriezweig, in den so schnell so viel Geld investiert wurde – und dessen Investitionen so schnell wieder vor die Wand gefahren worden sind. Da muss die Politik noch erheblich nacharbeiten.“ Wulf, Inhaber der Reederei Otto Wulf, ist mit seinen Besatzungen, seinen Schleppern und Transportschiffen seit Jahren beim Aufbau der deutschen Nordsee-Windparks engagiert. Das Auf und Ab der Branche in Cuxhaven hat er aus nächster Nähe erlebt. Allen voran Bard hatte den Offshore-Basishafen in den vergangenen Jahren groß gemacht. Das Emdener Unternehmen baute den ersten deutschen Hochseewindpark „Bard Offshore 1“ gut 100 Kilometer nordwestlich von Borkum, ging mit diesem Großprojekt aber in die Insolvenz und wurde mittlerweile zerschlagen. In Cuxhaven blieb aus den Pioniertagen der Offshore-Branche eine ehemalige Produktionshalle von Bard für Fundamentstrukturen zurück, ein Schwerlastkran mit 500 Tonnen Hebekraft und die öffentlich finanzierten Hafenflächen. Darauf will die Stadt aufbauen.
Die Kritik des Reeders teilen viele in Cuxhaven. Gut 30 Offshore-Windparkprojekte für die deutsche Nordsee hat das zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg mittlerweile genehmigt. Drei Kraftwerke in der deutschen Nordsee sind bislang fertig gestellt. Sechs Windparks werden in der Region derzeit gebaut, davon drei vor Helgoland, deren Bauteile die beteiligten Unternehmen E.on, RWE und WindMW auch von Cuxhaven aus in die Deutsche Bucht verschiffen. Im Jahr des Bundestagswahlkampfes 2013 aber wirkte die Branche wie eingefroren. Lange blieb offen, ob und wie die Offshore-Windkraft nach der Wahl politisch weitergefördert werden würde. Erst im November gab wieder eine Firma die Entscheidung für neue Projekte bekannt, der dänische Konzern Dong Energy mit seinen deutschen Nordsee-Windparks „Gode Wind 1“ und „Gode Wind 2“. Inzwischen ist klar, dass die neue Bundesregierung aus Union und SPD den Ausbau der Windkraft auf dem Meer bis 2020 auf 6500 Megawatt installierte Leistung anstrebt. Bislang sind in der deutschen Nordsee und in der Ostsee Windturbinen mit insgesamt nur rund 600 Megawatt Leistung installiert.
Cuxhaven war von den Turbulenzen der Branche in den Jahren 2012 und 2013 wirtschaftlich zurückgeworfen worden. Nach der Pleite von Bard kippte 2013 auch noch der österreichische Konzern Strabag die Planung für den Bau einer neuen Offshore-Stahlbaufabrik in der Stadt. Cuxhaven hat nun modernste Schwerlastflächen, braucht aber mehr produzierende Unternehmen. Bremerhaven wiederum konnte zahlreiche Offshore-Industrieunternehmen ansiedeln, kommt aber mit dem Bau eines Schwerlastterminals in der Weser nicht wie erhofft voran. „Cuxhaven hat optimale Bedingungen für die Ansiedlung neuer Unternehmen direkt hier an der Kaikante“, sagt Oberbürgermeister Getsch. „Die erneuerbaren Energien, vor allem die Windkraft, können ein Jobmotor für die gesamte Nordseeküste werden, mit Tausenden neuen Arbeitsplätzen in den kommenden Jahren. Dafür brauchen wir aber unbedingt stabile politische und ökonomische Rahmenbedingungen.“
Bis zum Sommer will der neue Bundeswirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) reformieren und damit auch der Offshore-Windkraft den Weg genauer weisen als bislang. An der Küste hofft man auf den Boom. Auf Deutschlands einziger Hochseeinsel Helgoland, die vor allem von Cuxhaven aus versorgt wird, entstehen Servicestützpunkte für die drei nahe gelegenen Windparks. Vom kommenden Sommer an werden von der Insel aus erstmals auch touristische Rundfahrten zu den Meereskraftwerken angeboten.
Im „Cuxhavener Appell“ hatten die deutschen Küstenländer im vergangenen August bei der damaligen und der künftigen Bundesregierung auf den zügigen Ausbau der Offshore-Windkraft in Deutschland gedrängt – eine für den Norden selten einmütige Aktion. Einer der Initiatoren war Frank Horch: „Der Ausstieg aus der Atomkraft und die Energiewende sind richtig“, sagt er. „Die Chancen, die uns diese Energiewende im Norden bietet, gerade mit der Windkraft und vor allem an der Unterelbe, sind weit größer als alle Probleme, die damit verbunden sind.“