Politiker der SPD verteidigen Kontrollen der Flüchtlinge aus Afrika. Die CDU macht die St.-Pauli-Kirche für die Eskalation mitverantwortlich. Die Polizei erwartet ein ruhiges Wochenende.
Altona. Die Reaktion kam prompt. Keine drei Stunden nachdem die Sprecher der Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg dem Senat und Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) Rassismus vorgeworfen hatten, reagierte die sozialdemokratische Bürgerschaftsfraktion. „Der Rassismusvorwurf ist schlicht unwahr“, sagte Innenexperte Arno Münster. „Die Menschen werden nicht aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert, sondern wegen eines Straftatverdachts, nämlich des illegalen Aufenthalts.“
Im Streit um den richtigen Umgang mit den rund 300 Männern, die vor gut einem Jahr über Italien nach Hamburg gekommen waren, haben vor allem die Unterstützer verbal aufgerüstet. Nachdem der Pastor der St.-Pauli-Gemeinde, Sieghard Wilm, von „Deportationen, an denen er sich nicht beteiligen wolle“ gesprochen hatte, verglich der Schauspieler Rolf Becker nun am Freitag auf einer Pressekonferenz Bürgermeister Olaf Scholz mit dem Sozialdemokraten Gustav Noske.
Noske war im Jahr 1919 als Reichswehrminister für die Niederschlagung der Aufständischen der Berliner Märzkämpfe, bei denen Kämpfer der Spartakisten getötet wurden, verantwortlich. Von Noske stammt der Satz: „Einer muss den Bluthund machen!“ Arno Münster forderte am Freitag: „Die Akteure sollten mit martialischen Ausdrücken etwas vorsichtiger umgehen. Verbales Aufrüsten ist wenig zielführend.“
Auf der Pressekonferenz hatten mehrere Sprecher der Flüchtlinge erklärt, es sei „Rassismus, der die Autoritäten so handeln lässt“. Sie bezogen sich auf jüngste Kontrollen der Polizei. Beamte hatten Flüchtlinge festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Unterstützer der Flüchtlinge bezifferten die Zahl der Betroffenen auf mehr als 50. Der Flüchtling Immanuel berichtete, es sei 24 Stunden in Polizeigewahrsam gewesen, obwohl er gültige Papiere bei sich gehabt habe. Die Fingerabdrücke seien ihm unter Zwang abgenommen worden.
Münster verteidigte diese Maßnahmen. „Polizei und Ausländerbehörde müssen diese Maßnahmen treffen – so wie sie es bei allen anderen Personen auch tun, die sich illegal in Deutschland aufhalten.“ SPD-Fraktionsvize Ksenija Bekeris erneuerte die Zusicherung einer fairen Einzelfallprüfung. „Während des Verfahrens haben die Flüchtlinge ein legales Aufenthaltsrecht, erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und umfassende, auch medizinische Versorgung.“
Unterdessen forderte die Hamburger CDU die St.-Pauli-Kirche, die 80 Flüchtlingen Unterschlupf gewährt, auf, ihre Rolle zu überdenken. „Solange die Kirchengemeinde St. Pauli den Eindruck erweckt, dass ihr Gelände ein rechtsfreier Raum ist, wird es keine konstruktiven Lösungen für die Flüchtlinge geben können“, sagt der CDU-Abgeordnete Kai Voet van Vormizeele.
Zudem werde das momentane Vorgehen der Kirche als Legitimation der eskalierenden Proteste verstanden. „Solange die Kirche so handelt wie auf St. Pauli, trägt sie auch Mitverantwortung für die eskalierende Gewalt“, sagte Vormizeele. Wenn dann Vertreter der evangelischen Nordkirche in diesem Zusammenhang noch von „Deportationen“ sprächen, sei dies ein Ausdruck von Unkenntnis geschichtlicher Zusammenhänge. Hamburgs Weihbischof Hans-Jochen Jaschke signalisierte am Freitag Verständnis für die Politik des SPD-Senats. „Hamburg kann nicht aus den Gesetzen und Regelungen herausspringen, die für alle Länder Europas gelten“, sagte Jaschke dem Fernsehsender Hamburg1. Zugleich verteidigte er das Vorgehen der Polizei. „Als auch politisch denkender Mensch meine ich, die erkennungsdienstliche Behandlung, die muss man natürlich machen. Das ist Gesetz und Recht!“ Allerdings mahnte Jaschke: „Es darf nicht gleich die Keule geschwenkt werden ‚Ihr werdet morgen abgeschoben!‘“ Diakoniechefin und Landespastorin Annegrethe Stoltenberg plädierte am Freitag für ein Gespräch zwischen Bürgermeister und Flüchtlingen: „Die Flüchtlinge machen immer wieder Schritte in Richtung Senat. Es ist heute in Hamburg genauso wie in Berlin und in Brüssel an der Zeit, Brücken zu bauen und nicht abzubrechen. Wir als Diakonie und Kirche sind nach wie vor bereit, zu vermitteln.“
Die Partie Die Linke ließ am Freitag unter Polizisten, die die Kontrollen durchführen sollen, ein Flugblatt verteilen. Darauf werden die Beamten aufgefordert, gegenüber ihren Vorgesetzten Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Kontrollen geltend zu machen. „Die Berufung auf ‚Befehl von oben‘ entlastet sie nicht von dieser Verantwortung“, sagte die flüchtlingspolitische Sprecherin Christiane Schneider. Das Präsidium des Zweitliga-Clubs FC St. Pauli appellierte an alle beteiligten Parteien, „zurück zu einem friedlichen Miteinander“ zu finden, und kündigte eine weitere Unterstützung der Flüchtlinge auch mit Sachspenden an.
Eine für Freitag angekündigte Protestaktion am Dammtorbahnhof verlief deutlich kleiner als erwartet – möglicherweise auch wegen des Großaufgebots der Bundespolizei. Autonome hatten im Internet angekündigt, den Bahnhof am Vormittag für zwei Stunden zu blockieren. Beamte kontrollierten alle Eingänge. Menschen, die den Bahnhof betreten wollten, hätten eine „plausible Reise- oder Einkaufsabsicht“ nachweisen müssen, sagt ein Sprecher. Teilweise wurden Reisende von zwei Beamten zur Bahn begleitet. Auch ein Demonstrationszug mit 1000 Teilnehmern am Freitagabend in der City verlief bis Redaktionsschluss friedlich. Die Polizei erwartet ein ruhiges Wochenende.