Erneuter Aufmarsch zur Unterstützung der Lampedusa-Flüchtlinge. Zuvor hatten Vertreter der Afrikaner auf einer Pressekonferenz Bürgermeister Olaf Scholz Rassismus vorgeworfen.

Hamburg. Rund 1000 Demonstranten haben sich am Freitagabend erneut zu einem Protestzug zur Unterstützung der Lampedusa-Flüchtlinge versammelt. Von 18 Uhr an zogen die Teilnehmer von der Universität quer durch die Innenstadt in Richtung Hafenstraße. Unter den Demonstranten waren nur einige wenige Autonome, der Protest verlief friedlich. Lediglich einige Böller wurden gezündet. Die Polizei sprach von viel bürgerlichem Klientel. Im Berufsverkehr kam es für Autofahrer vor allem im Bereich Dammtor zu kurzzeitigen Behinderungen.

Gegen 20 Uhr machte der Tross im Gängeviertel Halt für eine kurze Zwischenkundgebung und zündete symbolisch ein Feuerwerk. Zum Ende des Zuges änderten die Veranstalter unangekündigt die Route. Statt über die Reeperbahn liefen die Demonstranten über die Helgoländer Allee runter zu den Landungsbrücken. Dort hielten die Teilnehmer für die rund einstündige Abschlusskundgebung. In ihren Beiträgen riefen die Redner zu friedlichem Protest auf. Gegen 22 Uhr war die Demo beendet, Zwischenfälle registrierte die Polizei nicht.

Rassismus-Vorwurf an Scholz

Vertreter der afrikanischen Lampedusa-Flüchtlinge haben Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und den Behörden der Hansestadt Rassismus vorgeworfen. „Es ist Rassismus, der die Autoritäten so handeln lässt“, sagte ein Sprecher der Flüchtlingsgruppe am Freitag in Hamburg und bezog sich dabei auf die Kontrollen der Polizei in den vergangenen Tagen.

„Wir haben keine Probleme mit der Bevölkerung, sondern mit der Regierung, die sich uns gegenüber rassistisch verhält“, ergänzte ein weiterer Flüchtling. Rassismus habe man vor allem während der Feststellung der Personendaten in den vergangenen Tagen erleben müssen. „Wie anders kann man sonst unter 200 Menschen genau auf einen von uns zugehen, um seine Identität überprüfen zu lassen. Das ist Rassismus.“

Einer der Vertreter der Flüchtlinge kritisierte Bürgermeister Olaf Scholz persönlich. Er habe den Bürgermeister bei vier Gelegenheiten getroffen. Doch dieser könne nicht beweisen, „dass wir nicht das Recht haben, hier zu bleiben“. Die „heuchlerischen Aktionen“ würden beweisen, „dass Rassismus in höheren Behörden vorhanden ist“.

Flüchtlinge haben Musterklage eingereicht

Zugleich wollen die Flüchtlinge jetzt mit einer Musterklage erreichen, dass die Kontrollen durch die Polizei und die Maßnahmen zur Identitätsfeststellung eingestellt werden. Wir haben alle Maßnahmen geprüft, sagte die Rechtsanwältin Cornelia Ganten-Lange. „Sie sind nach unserer Ansicht rechtswidrig.“

Die Musterklage sei am Donnerstagabend beim Verwaltungsgericht Hamburg eingereicht worden. „Wir gehen davon aus, dass die Klage zügig behandelt wird.“ Ihr Mandant sei am 12. Oktober festgenommen worden. Im Kern gehe es darum, dass die Art der Personalienfeststellungen und des Eingsperrtseins über Stunden nicht deutschem Recht entspreche.

In Bezug auf die zum Teil gewaltsamen Protestaktionen in den vergangen Tagen äußerte sich einer der Flüchtlinge wie folgt: „Den Leuten, die uns mit Gewalt unterstützen, sage wir: wir möchten keinen Gewalt.“ Allerdings habe man auch Verständnis dafür, dass die Leute, die so protestierten, ihren Ärger gegenüber die Behörden ausdrückten. „Wir können das verstehen, dass sie das so machen, aber wir unterstützen ausdrücklich keine Gewalt.“

Flüchtlinge waren zuvor Wanderarbeiter unter Diktator Muammar Gaddafi in Libyen

Die rund 300 Flüchtlinge stammen aus unterschiedlichen afrikanischen Staaten und hatten nach eigenen Angaben zu Zeiten von Diktator Muammar Gaddafi in Libyen als Wanderarbeiter gearbeitet.

Nach dem Sturz des Diktators flohen sie nach Italien. Im Herbst vergangenen Jahres reisten sie weiter nach Hamburg. Zunächst lebten sie in Unterkünften des Winternotprogramms der Stadt. Im Frühjahr erhielten 80 Flüchtlinge in der St. Pauli Kirche Unterkunft.

In einem offenen Brief, der am Donnerstag bekannt geworden war, hatten die Flüchtlinge Gesprächsbereitschaft signalisiert, wiederholten aber zugleich ihre Forderung nach einer Aufenthaltserlaubnis und einer Arbeitserlaubnis für alle Flüchtlinge, ohne dass die individuellen Umstände der einzelnen Flüchtlinge geprüft werden sollen.

Diese Forderung lehnt der SPD-geführte Senat bislang ab. Die Innenbehörde hatte die Flüchtlinge zudem wiederholt aufgefordert, einen Asyantrag zu stellen und dabei ihre persönlichen Daten anzugeben. Das sei die Voraussetzung dafür, dass der Antrag angenommen werden könne.

Stimmen nach der Pressekonferenz

Esther Bejerano, Vorsitzende des Auschwitzkomitees

Am Freitag äußerte sich auch Esther Bejerano (88), Vorsitzende des Auschwitzkomitees, zu den jüngsten Polizeiaktionen. Sie bezeichnete die Aktionen als „Schande für die Stadt“. Die Personenkontrollen von Afrikanern seien ebenso „unmenschlich und inakzeptabel“ wie die gesamte europäische Asylpolitik, sagte Bejerano am Freitag in Hamburg. Gemeinsam mit dem Hamburger Schauspieler Rolf Becker (78) war sie Gast einer Pressekonferenz der Lampedusa-Flüchtlinge.

Sie könne nur „stark hoffen“, dass sich die Unterstützengruppen für die Flüchtlinge durchsetzen „und unsere afrikanischen Freunde in Hamburg angenommen werden und hier ein gutes Leben führen können“, fügte Bejerano hinzu. Sie ist vielfach ausgezeichnete Friedensaktivistin und Trägerin des Großen Bundesverdienstkreuzes. Bejerano überlebte die NS-Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück als Akkordeonspielerin in einem Mädchenorchester.

Weihbischof Hans-Jochen Jaschke

Auch Hamburgs Weihbischof Hans-Jochen Jaschke meldete sich zu Wort. Dem Fernsehsender Hamburg1 sagte er in einem Interview, dass Hamburg nicht aus den Gesetzen und Regelungen herausspringen könne, die für alle Länder Europas gelten. „Man muss versuchen, dass man irgendwie einen guten Weg in der Mitte findet. Mit Demos, gewalttätigen Demos, auf die sich die Autonomen dann gerne draufsetzen und ihre Spielchen machen, ist gar nichts zu erreichen. (...) Als auch politisch denkender Mensch meine ich, die erkennungsdienstliche Behandlung, die muss man natürlich machen. Das ist Gesetz und Recht! Aber es darf nicht gleich die Keule geschwenkt werden – Ihr werdet morgen abgeschoben!“

Darauf angesprochen, dass rund 80 Flüchtlinge mittlerweile seit Juni in der St. Pauli Obdach haben, sagte Jaschke, dass dies keine Dauerlösung sein könne.

Auf twitter äußerte sich auch Kai Voet van Vormizeele, innenpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion. In einem Tweed sagt er: „Kirche ist für Eskalation mitverantwortlich.“

Protestaktionen am Dammtor

Rund 20 Unterstützter der sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge sind am Freitagvormittag durch die Halle des Dammtor Bahnhofs gezogen. Nach knapp zwei Minuten wurden sie von Beamten der Bundepolizei gestoppt und des Gebäudes verwiesen.

Aktivisten der Roten Flora hatten am Vortag im Internet dazu aufgerufen, den Bahnhof zwei Stunden lang zu blockieren. Bundes- und Landespolizei waren mit großem Aufgebot vor Ort.

Personen, die dem Aussehen nach dem linken Spektrum zuzuordnen waren, wurden an den Eingängen von Beamten kontrolliert. Auf den Straßen um das Gebäude haben sich Beamte der Hamburger Polizei in Stellung gebracht, um mögliche Straßenblockaden zu verhindern.

Bereits am Donnerstagabend hatten sich 500 Unterstützer der Lampedusa-Flüchtlinge zu einer nicht angemeldeten Protestaktion auf dem Gänsemarkt versammelt. Die Polizei kesselte sie ein und verhinderte einen Zug durch die City. Laut Polizei kam es zu einigen Rangeleien zwischen Linksautonomen und Beamten. Später ließ die Polizei die Teilnehmer im strömenden Regen auseinandergehen. Schon am Dienstag waren bei Ausschreitungen im Schanzenviertel zehn Polizisten verletzt worden.

Kontrollen gehen weiter - Personenschutz für Scholz und Neumann erhöht

Die Polizei hatte am Donnerstag ihre Kontrollen illegaler Flüchtlinge fortgesetzt. Teils wurden die Beamten dabei von Anhängern der linken Szene gestört. Am Morgen hatten knapp 30 Protestler den Verkehr auf der St. Pauli-Hafenstraße zum Erliegen gebracht. Sie blockierten die Straße für knapp eine halbe Stunde. Gegen 9 Uhr war sie wieder frei.

Nach der Ankündigung der linken Szene, auch mit nicht legalen Protesten gegen die Flüchtlingspolitik des Senats vorgehen zu wollen, hat die Polizei den Schutz von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Innensenator Michael Neumann (SPD) verstärkt. Die Sicherheitsstufen der Politiker wurden erhöht. Den Schutz für Scholz hatte die Polizei erstmals am Dienstag verstärkt. So hatte sie ihre Präsenz am Wohnort des Bürgermeisters in Altona bereits während der Krawalle im Schanzenviertel deutlich erhöht. Der Grund: Versprengte Gruppen gewaltbereiter Autonomer hatten sich der Wohnstraße genähert, woraufhin zwei Züge der Bereitschaftspolizei vor dem Mehrfamilienhaus in Stellung gingen. Informationen aus Polizeikreisen, wonach die Randalierer gezielt zur Wohnung von Scholz gelangen wollten, wiesen offizielle Stellen indes zurück.

Olaf Scholz war bereits mehrmals Opfer von Anschlägen: 2001, Scholz war damals Innensenator, gossen Unbekannte Buttersäure durch den Briefschlitz seiner Wohnung. Linksautonome wollten mit der Tat gegen einen Brechmitteleinsatz protestieren, bei dem ein 19-jähriger Nigerianer zu Tode gekommen war. Das Thema spielt auch in der aktuellen Debatte in linken Internetforen wieder eine Rolle: „Olaf Scholz hat die Verfolgung von Flüchtlingen zu seiner persönlichen Chefsache erklärt, um eine bundespolitische Karriere voranzubringen und sich als harter Hund zu präsentieren“, hieß es in einem Gewaltaufruf in dieser Woche.