Erneut protestieren mehr als 500 Menschen für den Verbleib der Afrikaner in Hamburg. Zwischenkundgebung vor der Davidwache. Am Freitag nahmen Beamte zehn der Lampedusa-Flüchtlinge in Gewahrsam.

Hamburg. Unübersehbar prangt das Spruchband mit der Aufschrift „Embassy of Hope“, Botschaft der Hoffnung, vor der zum Flüchtlingszentrum avancierten St. Pauli-Kirche. Doch dürfen die Lampedusa-Flüchtlinge nach Beginn der Identitätsfeststellungen durch die Polizei noch auf eine Zukunft in Hamburg hoffen? Nachdem zehn von ihnen in Gewahrsam genommen wurden, um ihre Identität festzustellen?

Das Schicksal der Männer, die vorwiegend aus Westafrika, Ghana, Mali oder der Elfenbeinküste stammen, ist ungeklärt. Sie waren während des Bürgerkriegs in Libyen auf die italienische Insel Lampedusa geflohen. Tausende Flüchtlinge waren Anfang 2013 von italienischen Behörden mit je 500 Euro sowie Touristenvisa für den Schengenraum ausgestattet und nach Nord- und Mitteleuropa geschickt worden. 300 von ihnen gelangten so nach Hamburg. Seitdem leben sie auf der Straße, in Moscheen, Kirchen oder Privatunterkünften. Rund 80 von ihnen schlafen seit Juni in der St. Pauli-Kirche. Frank Reschreiter, Sprecher der Innenbehörde, sagte: „Es gibt ab sofort verstärkt Personenkontrollen an Orten in der Stadt, wo vermutet wird, dass sich dort Personen der Lampedusa-Gruppe aufhalten.“ Und somit einen Kurswechsel. Solidaritätsgruppen befürchten, dass die Flüchtlinge jetzt abgeschoben werden.

Derzeit zieht ein Demonstrationszug für die Flüchtlinge mit mehr als 500 Teilnehmern durch St. Pauli. Vor der Davidwache war am frühen Nachmittag eine Zwischenkundgebung geplant. Die Demonstration soll in eine Mahnwache am Steindamm in St. Georg münden. Laut einer Polizeisprecherin nehmen viele Familien mit Kindern an dem Protestmarsch teil, zu Zwischenfällen kam es bislang nicht.

Bereits am Freitag hatten mehr als 500 Menschen gegen die Polizeiaktion am Freitag. Die Demonstranten zogen von Altona nach St. Pauli und machten auf die Situation der Flüchtlinge aufmerksam. Auch bei dieser Protestaktion blieb es nach Polizeiangaben friedlich.

Die Situation hatte sich bereits in den Wochen vor der konzertierten Polizeiaktion am Freitag zugespitzt. Erst kürzlich hatte Innensenator Michael Neumann (SPD) entschieden, dass der Aufbau von Containern auf dem Kirchengelände nicht genehmigt werde.

Dort sollten die Flüchtlinge nach Wunsch der Gemeinde in den Wintermonaten unterkommen, weil es im Gebäude zu kalt ist. Aus einem behördeninternen Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt, geht hervor, dass sich die Kirche mit der Bereitstellung von Containerunterkünften für illegal hier lebende Menschen strafbar machen könnte. „Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass sich Ausländer, die sich ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhalten, strafbar machen. Hiervon ist bei den afrikanischen Flüchtlingen, die über Italien den Weg nach Hamburg gefunden haben, auszugehen. Auch die Hilfeleistung dazu ist strafbar“, heißt es in dem Schreiben des Staatsrats der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Michael Sachs, an Altonas Bezirksamtsleiterin Liane Melzer. Im Bezirksamt Altona waren zuvor drei Anträge für das Aufstellen von Containern auf Kirchengrund eingegangen. Dass die Lampedusa-Flüchtlinge Asyl erhalten, ist nach Rechtslage unwahrscheinlich. Die Männer, die nicht einmal aus ihrer Heimat geflohen sind, stammen nach bisherigen Erkenntnissen aus Ländern wie Nigeria oder Ghana. Ein gefordertes Gruppenbleiberecht lehnt der Senat ab.

Er beruft sich auf das Dublin-II-Abkommen, wonach Italien für die Männer zuständig sei. „Die zu uns gekommenen Menschen aus Afrika haben hier grundsätzlich kaum Chancen, da sie hier – anders als in Italien – keine Arbeitserlaubnis haben“, hatte Sozialsenator Detlef Scheele bereits im Mai gesagt. „Sie haben hier keinen Anspruch auf Unterbringung und auch nicht auf Sozialleistungen. So ist die Rechtslage.“ Grüne, Linkspartei und viele Unterstützer fordern ein pauschales Bleiberecht für die Gruppe.

Für Pastor Sieghard Wilm von der St.Pauli-Kirche, der rund 80 Männern aus der Lamedusa-Gruppe Unterschlupf gewährt, ist die Aktion ein erster Schritt, um die seit Monaten wie ein Damoklesschwert über den Flüchtlingen schwebende Abschiebung einzuleiten. Zur Beruhigung der Situation, so sieht es Wilm, werde das nicht beitragen. „Es könnte Panik entstehen. Das geht aufs Gemüt und auf die Psyche.“

Wilm hat von der konzertierten Aktion durch eine anonyme E-Mail erfahren: „Ein Beamter hat mir gesagt, dass sich der Wind gedreht hat.“ Er habe schon länger mit dem Schritt der Behörden gerechnet. „Das waren Mechanismen, die sich abgezeichnet haben, auf die wir uns vorbereiten mussten.“

Für Wilm ist klar, dass die Behörden ernst machen. Und dass womöglich seine „Gäste“, wie er sie nennt, vorsorglich in Haft genommen werden. Es sei davon auszugehen, dass einige Flüchtlinge abtauchen oder sich noch mehr auf dem Kirchengrundstück, das von den Behörden nicht angetastet wurde, einigeln. „Möglicherweise entsteht hier eine regelrechte Getto-Situation.“

Dabei keimte erst kürzlich Hoffnung auf, als der Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), das Provisorium besuchte. Löning deutete an, Deutschland könnte sein Selbsteintrittsrecht ausüben und das Asylverfahren an sich ziehen. Diesen Weg hält die Innenbehörde, wie aus einem Schreiben an Löning hervorgeht, jedoch für ungangbar.

Empört reagierte Christiane Schneider, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, auf die Identitätsfeststellungen. „Die Kontrollen der Flüchtlinge sind eine drastische Zuspitzung der Lage.“ Statt eine politische Lösung zu suchen und Menschlichkeit zu zeigen, setze der Senat auf Ignoranz und Kontrollen. „Diese Kaltherzigkeit angesichts der furchtbaren Lebenssituation der Flüchtlinge macht fassungslos. Eine politische Lösung ist möglich, der Senat muss es nur wollen.“

„Wer als Flüchtling Asyl und Aufenthalt in Deutschland erwartet, muss zuallererst zur Klärung seiner Personalien beitragen“, so die FDP-Integrationsexpertin Martina Kaesbach. Es dürfe aber keine verdachtsunabhängigen Kontrollen geben. Antje Möller, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, hält nichts von den gezielten Kontrollen. „Politisch ist es unerträglich, dass nach so vielen Monaten noch nicht abgeschlossener Verhandlungen nun mit diesen Kontrollen begonnen wird.“