Zehn Männer in Gewahrsam. Kirche übt Kritik. Vor Italiens Küste kentert erneut ein Boot – mindestens 26 Tote
Hamburg. Für die „Lampedusa-Flüchtlinge“ in Hamburg wird es ernst: Die Polizei hat am Freitagmorgen damit begonnen, die rund 300 Männer gezielt zu überprüfen. Ziel ist es, die Identität der Flüchtlinge festzustellen, die sich seit Monaten offenbar illegal in der Stadt aufhalten. Zehn Flüchtlinge wurden in Gewahrsam genommen.
Am Freitag kam es 100 Kilometer vor der italienischen Insel Lampedusa zu einem neuen schweren Schiffsunglück. Die italienische Marine teilte am Abend mit, ein mit Hunderten Flüchtlingen besetztes Boot sei zwischen Tunesien und Sizilien in Seenot geraten und gesunken. Mindestens 26 Menschen kamen nach Angaben des maltesischen Regierungschefs Joseph Muscat ums Leben, rund 150 bis 200 Flüchtlinge wurden gerettet. Schiffe und Hubschrauber waren im Einsatz. Erst vor einer Woche hatte die Havarie eines Flüchtlingsschiffs mehr als 300 Menschenleben gefordert. Die Katastrophe löste eine europaweite Debatte über die Behandlung der Flüchtlinge aus.
Auch die Afrikaner in Hamburg, die nach eigenen Angaben vor dem Bürgerkrieg aus Libyen flohen, kamen über Lampedusa in die EU. Der Schwerpunkt der Hamburger Polizeiaktion lag Freitag auf St. Pauli, wo etwa 80 der angeblichen Wanderarbeiter Unterschlupf auf dem Gelände der St.Pauli-Kirche gefunden haben. Ein zweiter Einsatzort war in St.Georg. Die Kontrollen führten Polizisten in Uniform und Zivil durch. Auf St.Pauli wurden acht Personen überprüft. Sechs nahmen die Beamten für eine erkennungsdienstliche Behandlung auf die Wache mit, dabei wurden auch Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht. In St.Georg nahmen Polizisten vier Männer in Gewahrsam. Die Identitätsfeststellung dient auch dazu, ausländerrechtliche Verfahren einzuleiten. Alle in Gewahrsam genommenen Männer wurden der Ausländerbehörde überstellt.
Der Schwerpunkteinsatz markiert einen Wendepunkt. Bislang hatten die Behörden darauf verzichtet, die Identitätspreisgabe zu erzwingen. Frank Reschreiter, Sprecher der Innenbehörde, sagte: „Es gibt ab sofort verstärkt Personenkontrollen an Orten, wo vermutet wird, dass sich dort Personen der Lampedusa-Gruppe aufhalten.“ Auf die Frage, warum ausgerechnet jetzt die Kontrollen beginnen, sagte er: „Auch nach monatelangen Verhandlungen hat es kein Umdenken gegeben.“ Man müsse endlich einen Schritt vorankommen.
Die Kirche sieht es anders. Propst Dr. Karl-Heinrich Melzer, stellvertretender Bischof im Sprengel Hamburg und Lübeck, kritisierte: „Angesichts der Diskussionen seit der Lampedusa-Tragödie hätten wir uns gewünscht, dass Hamburg sich in die internationale Nachdenklichkeit einreiht. Ein derart massiver Polizeieinsatz dürfte eine konstruktive Lösung nicht erleichtern.“