Die Schlacht um die Energienetze ist geschlagen. Dabei wurden einige neue Fragen zur Volksgesetzgebung aufgeworfen. Mit den Rohren und Kabeln der Energienetze kann keine Sozialpolitik machen.

Hamburg. Eines kann man der SPD wirklich nicht vorwerfen: Beim Volksentscheid über den Netzrückkauf den schlechten Verlierer zu geben. Schon am Abend der denkbar knappen Niederlage, es war kurz nach 22.30 Uhr am vergangenen Sonntag, zog Fraktionschef Andreas Dressel im schmucklosen Presseraum 151 des Rathauses einen Antrag aus der Tasche und legte ihn den Journalisten auf den Tisch. „Wir haben einen Plan B“, sagte Dressel. „Hier ist er.“ Bis ins Detail hatte er in dem Papier aufgeschrieben, was der Senat nun tun muss, um die Energienetze auch wirklich zu bekommen, die er eigentlich gar nicht haben wollte.

Dass die SPD das Ruder beim Netzrückkauf so schnell herumgerissen hat, und Dressels Antrag am Mittwoch bereits von der Bürgerschaft beschlossen wurde, hat sicher mit einem tadellosen Demokratieverständnis zu tun – aber nicht ausschließlich. Denn eines ist auch klar: Der knappe Sieg der Volksinitiative „Unser Hamburg – Unser Netz“, die am Ende 50,9 Prozent der Stimmen errang, war nur möglich, weil sehr viele SPD-Wähler und auch Parteimitglieder in dieser Frage Bürgermeister und Parteichef Olaf Scholz nicht gefolgt waren.

Gäbe es jetzt auch nur kleinste Anzeichen dafür, dass die Spitzenfunktionäre den Volksentscheid nicht professionell umzusetzen suchten, könnte aus der Spaltung der Stadt in der Netzfrage schnell eine Spaltung der SPD werden. So stellte am Mittwoch auch Scholz selbst in der Bürgerschaft unmissverständlich klar: „Ich bin ein großer Anhänger der Volksgesetzgebung. Wenn entschieden ist, müssen sich alle daran halten.“ Und Fraktionschef Dressel erwähnte zwar, wie knapp die Abstimmung ausgegangen sei, betonte aber auch: „Mehrheit ist Mehrheit.“

Bei alldem allerdings hat der Volksentscheid bereits im Verlauf der Kampagnen vor der Abstimmung einige Fragen aufgeworfen, über die diskutiert werden muss, sobald sich der sprichwörtliche Pulverdampf wieder gelegt hat.

Die Fragestellung

An die Frage, die den Abstimmenden auf dem Stimmzettel vorgelegt wurde, war der Satz angehängt: „Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.“ Das würde fast jeder unterschreiben. Denn wer sollte schon etwas gegen soziale Gerechtigkeit und demokratische Kontrolle haben? Das Problem: Mit den Rohren und Kabeln der Energienetze kann man weder Sozialpolitik machen, noch Gerechtigkeit herstellen. Und eine demokratische Kontrolle gebe es über die Bundesnetzagentur schon heute, sagt Handelskammer-Chefvolkswirt Dirck Süß – und fordert für die Zukunft: „Wir sollten überlegen, wie man dafür sorgen kann, dass die Fragen bei Volksentscheiden keine suggestiven Formulierungen mehr enthalten.“

Das sieht auch FDP-Fraktionschefin Katja Suding so. Man müsse diskutieren, ob zur Abstimmung gestellte Fragen „etwas suggerieren dürfen, was dann gar nicht gesichert eintreten kann, wie im Fall des Rückkaufs der Netze“. CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich pflichtet bei.

Hintergrund: Das Landeswahlamt prüft den Text der Vorlage gar nicht, den die Volksinitiative allein formuliert, sondern bietet lediglich eine Beratung an. Die Rechtmäßigkeit einer Fragestellung kann allein das Hamburgische Verfassungsgericht unter die Lupe nehmen. Das hat es beim Netze-Entscheid allerdings nicht getan, weil die Klage der CDU gegen den Entscheid nicht fristgerecht eingereicht worden war. Nach der Reform des Volksabstimmungsgesetzes im vergangenen Jahr, wird sich dies allerdings künftig ändern. Denn nun muss der Senat dem Verfassungsgericht die Vorlage einer Volksinitiative von sich aus vorlegen, wenn Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestehen. CDU und FDP haben jetzt angeregt, dass es auf dem Stimmzettel bei Volksentscheiden künftig auch die Möglichkeit zu Enthaltungen geben sollte.

Haushaltsrelevanz

Laut Artikel 50 der Hamburgischen Verfassung können zwar „Haushaltspläne“ nicht Gegenstand von Volksinitiativen sein. Über Behördenetats aber wird vermutlich sowieso niemand abstimmen wollen. Alle anderen Entscheidungen haben in der Regel aber auch Auswirkungen auf Ausgaben oder Kredite der Stadt – beim Netze-Entscheid immerhin in einer Größenordnung von rund 1,5 Milliarden Euro. FDP und CDU finden das problematisch, denn das Haushaltsrecht liege beim Parlament. Manfred Braasch von der Netze-Initiative dagegen sagt: „Volksentscheide haben in der Regel eine Haushaltsrelevanz. Dies galt für den LBK-Verkauf, für die Schulreform und für die Energienetze. Es wäre eine Demontage des Instruments, wenn mit diesem Argument Volksentscheide nicht mehr möglich wären.“ Dirck Süß schlägt vor: „Volksinitiativen sollten selbst aufzeigen, wie die Kosten für ihre Vorhaben gedeckt werden sollen.“

Finanzierung der Kampagnen

Während der Kampagnen gab es viel Streit über deren Finanzierung. Der BUND durfte keine steuerlich absetzbaren Spenden für die Volksinitiative einwerben, so dass Spenden an die Netzrückkäufer nicht beim Finanzamt geltend gemacht werden konnten. Es wurde auch viel darüber gestritten, ob die Kirche eine Bürgschaft über 25.000 Euro für die Initiative übernehmen durfte, zumal nicht alle Mitglieder der Nordkirche verstehen, was der Kampf um Kabel und Rohre mit Bibel und Bergpredigt zu tun haben soll.

Allerdings muss man konstatieren, dass die Initiative mit ihren insgesamt 190.000 Euro arm wie eine Kirchenmaus wirkte – jedenfalls wenn man ihr Budget mit dem vergleicht, was SPD, die vor allem von der Wirtschaft finanzierte NEIN-Initiative und Vattenfall gemeinsam an Werbemitteln einsetzten. Manfred Braasch schätzt deren Werbeetat auf zehn bis 20 Millionen Euro. Vattenfall macht dazu keine Angaben, aber die vielen Anzeigen, Spots und Beilagen, mit denen der Energiekonzern die Stadt überzog, sprechen für eine deutliche Waffenungleichheit. Ein weiterer Unterschied: Weil sie zehn Cent pro Ja-Stimmen an Steuermitteln bekommen, müssen Volksinitiativen ihre Finanzen offenlegen. Ihre Gegner müssen das nicht. „Wir halten es für dringend geboten, dass auch die Akteure der Gegenkampagne Herkunft und Verwendung aller eingesetzten Mittel offenlegen müssen“, sagt Linken-Politikerin Christine Schneider. Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan plädiert ebenfalls dafür, dass Gegen-Initiativen, wie die von der Wirtschaft ins Leben gerufene Aktion „NEIN zum Netzkauf!“ ihre Bücher offenlegen. Der Verein „Mehr Demokratie“ prüft, ob und wie eine Transparenzpflicht auch für Gegner von Volksinitiativen eingeführt werden könnte. Der Hamburger Politikwissenschaftler Oliver Strijbis findet ebenfalls: „Es sollte Transparenz auf beiden Seiten geben.“

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel dagegen sieht dafür weder eine Notwendigkeit noch eine rechtliche Möglichkeit. Dabei hat er Handelskammer-Volkswirt Süß auf seiner Seite, der zu bedenken gibt, dass man nicht jeden, der eine Meinung vertritt oder eine Anzeige schaltet, zur Offenlegung seiner Finanzen zwingen könne: „Das kollidiert mit den Grundrecht auf freie Meinungsäußerung.“

Alles so lassen?

Die SPD will zunächst nichts mehr am Volksabstimmungsrecht ändern. „Ich halte es nicht für klug, an den Spielregeln von Volksentscheiden schon wieder herumzuschrauben – kurz nachdem man bei einem Volksentscheid knapp unterlegen war“, sagt er. „Das wäre kein guter demokratischer Stil.“ Zudem habe man das Gesetz erst im vergangenen Jahr geändert, allerdings zu spät für den Netze-Entscheid. Beim nächsten Mal aber gelten die neuen Regeln. „Wichtigster Punkt der Reform war, dass jede verfassungsrechtlich zweifelhafte Volksinitiative zur Prüfung beim Verfassungsgericht vorgelegt werden muss“, sagt der SPD-Fraktionschef. „Das bringt in Zukunft allen Seiten mehr Rechtssicherheit.“