Der Streitpunkt: Darf sie aus den Steuerbeiträgen ihrer Mitglieder politische Initiativen unterstützen? Oder soll sie sich aus politisch umstrittenen Themen wie dem Rückkauf der Energienetze in Hamburg heraushalten?
Gern wäre Fritz Vahrenholt, Hamburgs früherer Umweltsenator, wieder in den Schoß der Kirche zurückgekehrt. Doch dann das: Anfang des Jahres wurde bekannt, dass sich die evangelische Kirche für den Rückkauf der Energie-Netze engagiert und dafür auch Kirchensteuermittel fließen. Was beim langjährigen Energiemanager heiligen Zorn auslöste. Deshalb kippte der RWE-Manager vorerst seinen Plan.
Gern würde Fritz Vahrenholt auch im Kirchenchor der evangelischen Luther-Gemeinde Wellingsbüttel mitsingen. „Aber dort“, ärgert er sich, „hat man aus finanziellen Gründen die Stelle für einen Kantor gestrichen.“ Wie, fragt er sich, passt das zusammen mit der kirchlichen Unterstützung für die Netz-Initiative?
Kaum ein Thema spaltet derzeit die kirchliche und gesellschaftliche Öffentlichkeit so stark wie der Volksentscheid am 22. September. Dabei geht es um die Frage, ob die öffentliche Hand die Hamburger Energienetze wieder zurückkaufen sollte – oder nicht. Dass sich ausgerechnet ein Kirchenkreis daran finanziell beteiligt, befremdet die einen. Und beflügelt offenbar jene, die aus christlichem Glauben Verantwortung übernehmen wollen.
Wie Theo Christiansen, Abteilungsleiter für Diakonie und Bildung im Kirchenkreis Ost. Sein Büro in der Danziger Straße ist klein und spartanisch eingerichtet. Er leitet nicht nur einen Bereich, dessen Haushalt sechs Millionen Euro Kirchensteuern pro Jahr umfasst. Er gilt auch als politischer Vordenker im Kirchenkreis. Und hat in Absprache mit seinen Vorgesetzten entschieden, dass der Kirchenkreis 19.500 Euro an die Volksinitiative zahlt und zusätzlich eine Bürgschaft übernimmt.
Der studierte Theologe bringt ein Wort ins Spiel. Es heißt „Daseinsvorsorge“. Sie bezieht sich heutzutage nicht mehr nur auf Essen und Trinken, Gesundheit und Bildung, sondern in Zeiten knapper natürlicher Ressourcen auch auf die Versorgung mit Energie. „In unserer Debatte gibt es einen weit verbreiteten Konsens darüber, dass Bereiche der Daseinsvorsorge nicht kommerziellen Interessen untergeordnet werden dürfen“, sagt er. Und ergänzt: „Wer die Gestaltungshoheit über die Energieversorgung der Zukunft wieder in die öffentliche Hand zurückholen will, muss sie weitest möglich dem Einflussbereich der Energiekonzerne entziehen.“
Deshalb, betont er, unterstützt der Kirchenkreis Hamburg-Ost die Volksinitiative. Ja, auch mit finanziellen Mitteln und Möglichkeiten wie einer Bürgschaft.
Was für die einen zum Grundbestand christlichen Handelns gehört, bringt die anderen in Rage. Selbst in den eigenen Reihen. Reinhard Soltau, Mitglied des Kirchenparlaments im Kirchenkreis Hamburg-Ost: „Es gehört nicht zu den Aufgaben der Kirche, sich in den Methodenstreit der Experten einzumischen, wie Umweltziele am besten zu erreichen sind und auch noch einseitig Partei zu ergreifen.“
Noch schärfer formuliert es Pastor Ulrich Rüß, Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in der Nordkirche: „Wir sehen darin einen Missbrauch im Umgang mit anvertrauten Kirchensteuergeldern und ein negatives Beispiel der Politisierung der Kirche.“ Diese Finanzierung fördere das Misstrauen des Kirchensteuerzahlers, weil er sein Geld für nicht-kirchliche Zwecke verwendet sehe. Außerdem kritisierte der pensionierte Geistliche den innerkirchlichen Entscheidungsweg bei der Vergabepraxis.
Auch Repräsentanten aus der Politik finden das Engagement heikel. Die Vorsitzende der FDP-Fraktion, Katja Suding, hat da eine klare Meinung. „Die Kirche wäre gut beraten, bei politisch hochumstrittenen Themen wie Netzverstaatlichung nicht Partei zu ergreifen, schon gar nicht mit dem Geld der Kirchensteuerzahler.“
Gabriele Borger vertritt dagegen eine andere Position. Schließlich steht die Theologieprofessorin als Vizepräses an der Spitze jenes Kirchenparlaments, das über die Geschicke des Kirchenkreises Ost mit entscheidet. Über den Rückkauf der Energienetze und das Engagement des Bereichs Diakonie und Bildung sei in der Synode „mehrfach berichtet“ worden, versichert sie. Ob es dazu eine offizielle Entscheidung gab? „Nein“, sagt sie, „eines synodalen Beschlusses bedarf es nicht. Das Engagement des Bereichs Diakonie und Bildung ist dennoch durch Information und Diskussion gut gestützt.“
Die Kirchenleitung der neuen Nordkirche jedoch, ergänzt der Synodale Henning von Wedel, habe sich mit der Frage des Rückkaufs der Netze nicht befasst und dazu bisher weder Stellung genommen noch sich eine Meinung gebildet. „Ich persönlich begrüße eine Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Privatisierung von wesentlichen Versorgungseinrichtungen und Infrastrukturinvestitionen“, so der Rechtsanwalt und Mediator.
Dass die protestantische Kirche mit kontroversen Debatten um richtige Entscheidungen ringt, gehört zu ihrer Geschichte und ihrem Profil. Schon bei Aktionen wie „Keine Früchte für Apartheid“ in den 1970er-Jahren und gegen den Nato-Doppelbeschluss in den 1980er-Jahren bezogen viele Protestanten politische Positionen und gingen auf die Straße mit Schriftstellern und anderen Friedensbewegten.
Das löste bei eher konservativen Zeitgenossen Befremden aus. Aber so viel Pluralität und Meinungsvielfalt gehört zur evangelischen Kirche. „Es gibt“, sagt Hauptpastor Christoph Störmer von der City-Kirche St. Petri, „in unserer protestantischen Kirche eben viele unterschiedliche Stimmen.“
So geht der Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein bei der Volksinitiative einen anderen Weg als die Akteure in Hamburgs Osten. „Unser Kirchenkreisrat“, sagt Propst Karl-Heinrich Melzer, „hat entschieden, den Diskurs über dieses Thema zu fördern, aber selbst keine Positionierung vorzunehmen. Eine finanzielle Unterstützung in die eine oder andere Richtung stand bei uns nie zur Diskussion.“