Bischöfin Kirsten Fehrs über ihre Vision einer vielfältigen Kirche und die Probleme unserer Stadt
Hamburg diskutiert über eine wichtige Zukunftsfrage – und das ist auch gut so. Beim Volksentscheid zum Netze-Rückkauf geht es um etwas. Da spielen nicht allein Arbeitsplätze, Geld und politischer Einfluss eine Rolle. Die Frage ist: Wie wird die Energiewende konkret umgesetzt? Wer bestimmt darüber? Kein einfaches Thema. Auch nicht für unsere evangelische Kirche. Denn natürlich setzen wir uns als Christinnen und Christen dafür ein, die Schöpfung zu bewahren. Aber wie kann das praktisch aussehen? Da sind wir auch nicht klüger als der Rest der Welt.
In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich mit vielen Gegnern und Befürwortern des Netze-Rückkaufs gesprochen. Viele habe ich an meinen Tisch geholt, habe mich informiert bei Politikern, bei der Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ sowie bei hochrangigen Vertretern der Energiewirtschaft. Ich will die unterschiedlichen Argumente hören und verstehen. Mein Fazit: Die Nordkirche bezieht für keine der beiden Parteien im Volksentscheid Position. Aber sie begrüßt eine ausführliche und sachliche Debatte darüber.
„Suchet der Stadt Bestes!“ Dieses Wort des Propheten Jeremia leitet uns als Kirche, wenn wir uns in gesellschaftliche Debatten einmischen. 100 Prozent oder 25 Prozent – diese Detailfrage hat keinen Bekenntnisrang. Beim NetzeRückkauf geht es aber um die Grundsatzfrage, welche Aufgaben in öffentlicher Verantwortung wahrgenommen werden sollen. Es geht um die Daseinsvorsorge. Darüber muss geredet werden. Aus diesem Grund hat die evangelische Kirche in Hamburg eine Reihe von Diskussionsveranstaltungen und Fachtagen zu diesem Thema angeboten.
Dabei wurde deutlich, dass es innerhalb der Kirche genauso viele Meinungen gibt wie in der Gesellschaft insgesamt. Während zum Beispiel der Arbeitsbereich Diakonie und Bildung des Kirchenkreises Hamburg-Ost für den 100-prozentigen Rückkauf der Netze wirbt, spricht sich der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer deutlich dagegen aus. Kirchenkreise, Kirchengemeinden, letztlich jedes Kirchenmitglied hat seine Meinung. Das müssen wir aushalten, denn wir sind eine Volkskirche. Genau das ist unsere Stärke.
So gibt es auch keine Entscheidung „von oben“, von Kirchenleitung oder Bischöfin: Wahrheit wächst nicht aus der Hierarchie, sondern aus dem Diskurs. Wir sind eine pluralistische Kirche. Betroffene und Engagierte, Befürworter und Gegner diskutieren fair und angstfrei über die Zukunft unserer Stadt – das ist meine Vision.
Eine Kirche, die mitten im Leben steht, muss sich auch für die Fragen des Lebens interessieren und unterschiedliche Antworten in Kauf nehmen. Deswegen ist es gut, dass die Frage der Leitungen jetzt öffentlich diskutiert wird, auch ohne Leitungsvoten. Immerhin das hat der Volksentscheid gebracht. Für diese Debatte Kirchensteuermittel einzusetzen halte ich für angemessen, ja geboten – mehr aber auch nicht.
Die Kirche soll Menschen zusammenführen und sie nicht spalten. Das Schöne an der offiziellen Wahlbroschüre zum Volksentscheid finde ich: Zum Lesen der Gegenposition muss man die eigene Position einmal komplett drehen und auf den Kopf stellen. Diese Demut wünsche ich mir. Sie fördert Verständnis für die Argumente der anderen, damit wir unterschiedliche Meinungen aushalten und mit Augenmaß eine eigene bilden.
Wir brauchen einen fairen Streit ohne Verletzungen. Denn schließlich müssen wir nach dem 22. September weiterhin gemeinsam für das Wohl unserer Stadt eintreten – wie auch immer der Volksentscheid ausgeht.