Obwohl heute mehr als 80 Prozent der Bevölkerung schwimmen können, kommt es immer wieder zu Badeunfällen. Wichtiger als ein Goldabzeichen sei die Routine.

Hamburg. Der tragische Schwimmunfall im Hamburger Stadtparksee; ein 17-Jähriger, der in der Nordsee vor Wilhelmshaven ums Leben kam; eine Sechsjährige, die am Badestrand von Borgstedt aus dem Wasser geborgen wurde. Mehrere Hundert Male war die Deutsche Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG) an einigen Wochenenden im Einsatz. Übermut, Selbstüberschätzung, Alkohol – warum es zu den Unfällen gekommen ist, ist von Fall zu Fall unterschiedlich.

Übergeordnet gibt es jedoch einen Aspekt, der in jedem Fall zu einem Risiko werden kann: Vielen Kindern und Jugendlichen fehlt beim Schwimmen die Routine. Das meint zumindest Thomas Cyriacus, Leiter der Geschäftsfeldkoordination bei Bäderland.

Der 52-Jährige, der seit 1997 bei dem Betreiber der meisten öffentlichen Schwimmbäder in Hamburg arbeitet, hat in den vergangenen Jahren beobachten können, wie es um die Schwimmkompetenzen der Kinder bestellt ist. Seit 2006 hat sich die Regelung für das Schulschwimmen in Hamburg geändert. Waren es früher Lehrer der Schule, die den Unterricht übernommen haben, sind es jetzt Schwimmlehrer von Bäderland.

Kompetenzen statt Abzeichen

Laut Cyriacus liegt das Problem darin, dass viele Kinder zwar brav ihr Seepferdchen-, Silber- und Goldabzeichen machen – damit aber die entscheidenden Kompetenzen nicht zwangsläufig erwerben.

„In Schwimmkursen geht es vor allen Dingen darum, Schwimmabzeichen zu machen. Was häufig fehlt, ist die Vermittlung der Kernkompetenzen wie Tauchen, Atmen und auf dem Rücken treiben.“

Um so wichtiger sei es, dass Kinder regelmäßig schwimmen gehen, um Sicherheit im Wasser zu bekommen. Hier hat ein Wandel stattgefunden: War der gemeinsame Besuch im Schwimmbad vor Jahren noch ein fester Bestandteil im Familienleben, so sind heute zahlreiche andere Freizeitmöglichkeiten dazu gekommen. Das Schwimmen, so Cyriacus, komme da häufig zu kurz.

Hamburg müsse sich zwar im Vergleich zu anderen Bundesländern nicht verstecken, was die Schwimmkompetenzen angeht, Cyriacus weist jedoch auf gravierende Unterschiede in den einzelnen Stadtteilen hin: „In Blankenese etwa würden nahezu 100 Prozent aller Kinder schon vor dem schulischen Schwimmunterricht Erfahrungen im Wasser gesammelt haben. In Wilhelmsburg und Billstedt war mehr als die Hälfte noch nie im Wasser.“

Schwimmunterricht wird verlängert

Nach derzeitiger Regelung haben Kinder in der Grundschule ein halbes Jahr lang Schwimmunterricht, entweder in der dritten oder in der vierten Klasse und ein weiteres halbes Jahr auf der weiterführenden Schule. Ab dem Schuljahr 2014/2015 soll sich das ändern. Schulsenator Ties Rabe (SPD) hat im Frühjahr ein neues Konzept vorgestellt, nachdem das Schulschwimmen in der Grundschule auf ein Jahr verlängert werden soll. „Wir werden das Schulschwimmen auf die Grundschule konzentrieren, Schüler mit schwachen Schwimmleistungen zusätzlich fördern und mehr Schwimmpersonal einsetzen“, heißt es von der Schulbehörde. „Unser Ziel ist es, dass mehr Kinder als bisher am Ende der Grundschulzeit sichere Schwimmer sind und die Bedingungen des Jugendschwimmabzeichens Bronze erfüllen.“ Die Verbesserung des Schulschwimmens koste jährlich dauerhaft rund 650.000 Euro. Die Kosten für das Schulschwimmen insgesamt steigen damit von bislang 4,04 Millionen Euro auf 4,65 Millionen Euro.

80 Prozent der Bevölkerung können schwimmen

Nach DLRG-Angaben konnten zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur zwei bis drei Prozent der Bevölkerung schwimmen. Noch im Jahr 1912 ertranken Schätzungen zufolge 5000 Deutsche. Die Zahl der Ertrunkenen sank auf 383 im Jahr 2012 – vor allem, weil die Deutschen lernten, sich im Element Wasser zu bewegen. Heute können mehr als 80 Prozent der Bevölkerung schwimmen, allerdings rund zehn Prozent weniger als noch Ende der 1980er Jahre.

Auch wenn Leichtsinn, Alkohol, Selbstüberschätzung und Gesundheitsprobleme bei Schwimmunfällen eine Rolle spielen – einen Fokus will die DLRG auch in Zukunft auf das Erlernen des Schwimmens richten. Mit Programmen in Kindergärten und am Strand sollen die Jüngsten erreicht werden, so ein Sprecher.

In Hamburg sind es Programme wie „Ab ins Wasser – aber sicher!“, die helfen sollen, die Schwimmkompetenzen zu verbessern. Bei dem Angebot arbeiten Stadt, Bäderland, Hamburger Schwimmverband, DLRG und die Unfallkasse Nord im Bereich der Wassersicherheit zusammen. Ziel des Programm ist es, die Schwimmfähigkeit, insbesondere der knapp 45.000 Hamburger Kinder zwischen 4 und 6 Jahren, zu erhöhen.