Geflüchteter Jugendlicher wirft umstrittener Haasenburg GmbH Misshandlung vor. Kriminologe fordert Schließung. Wissenschaftler plädiert dafür, für die Jugendlichen einen individuellen Hilfeplan zu erarbeiten.

Neue Vorwürfe gegen die Betreiber der geschlossenen Heime in Brandenburg, in denen auch zehn Hamburger Jugendliche untergebracht sind: Ein 14 Jahre alter Junge aus Berlin, der aus einer Einrichtung der Haasenburg GmbH geflüchtet und untergetaucht ist, behauptet in einer Strafanzeige, von Erziehern getreten und wiederholt gedemütigt worden zu sein.

Außerdem habe er zwölf Monate lang bis zu seiner Flucht „in absoluter Isolation“ in einem Einzelzimmer gelebt und nur selten „an die frische Luft“ gedurft. Nach seinen Angaben musste er einmal in eine Mülltonne klettern. „Als ich drin war, verschloss er (der Erzieher, die Red.) die Mülltonne über mir. Als sie wieder aufging, machte er Fotos von mir und nannte mich Müll-Bobby und lachte mich aus“, heißt es in der Anzeige, die dem Abendblatt vorliegt. Anschließend seien die Fotos anderen Jugendlichen gezeigt worden.

Die Haasenburg GmbH hat den Vorwurf des Jugendlichen, demzufolge er in eine Mülltonne gesteckt worden sei, dem zuständigen brandenburgischen Jugendamt gegenüber inzwischen zurückgewiesen. Der Ablauf der Ereignisse stelle sich aus Sicht der Betreuer völlig anders dar, heißt es. Dem Jugendamt sei als Beleg auch ein Handyfoto übermittelt worden.

„Die Haasenburg GmbH gefährdet das Kindeswohl. Mein Mandant ist dort misshandelt worden“, beharrte Rudolf von Bracken, der Hamburger Rechtsanwalt des Berliner Jugendlichen, dagegen. Der Jurist erklärte am Donnerstag, er wisse nicht, wo sich sein Mandant aufhalte, ob der Junge eine Unterkunft gefunden habe oder auf der Straße lebe.

Wie berichtet, waren insgesamt drei Jugendliche aus dem Brandenburger Heim geflüchtet. Ein Junge aus dem Saarland und ein Hamburger sind inzwischen dorthin zurückgebracht worden. Auch der Hamburger Jugendliche hatte schwere Vorwürfe gegen die Betreuer erhoben. „In einem Gespräch mit dem Familieninterventionsteam und seinem Erziehungsberechtigten sagte er jedoch, dass er keine Strafanzeige erstatten wolle“, sagte Nicole Serocka, Sprecherin der Sozialbehörde. Von Bracken, der auch den Hamburger Jugendlichen vertritt, betonte jedoch, dass er seine Vorwürfe aufrechterhalte.

„Wir setzen alles daran, die Vorwürfe aufzuklären“, sagte Serocka. „Hinter den Kulissen“ gebe es auf fachlicher Ebene enge Kontakte zum Beispiel zum zuständigen Brandenburger Ministerium. „Aber es gibt nicht jeden Tag eine neue Wasserstandsmeldung“, so Serocka. Die Behörde werde in der Sondersitzung des Familienausschusses der Bürgerschaft in der kommenden Woche über ihre Erkenntnisse berichten.

Der Sozialpädagoge und Kriminologe Prof. Michael Lindenberg von der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie im Rauhen Haus hält aus grundsätzlichen Erwägungen eine Schließung der geschlossenen Einrichtungen der Haasenburg GmbH für unabdingbar. „Ich habe mir viele Seiten mit pädagogischen Protokollen durchgelesen und kann nur sagen, dass den in diesen Einrichtungen untergebrachten Jugendlichen nicht geholfen wird.“ An den Zuständen, die vor einigen Jahren kritisiert worden seien, „hat sich bis heute nichts geändert“. Bei der Erziehung der Jugendlichen in den Haasenburg-Heimen werde auch auf Gewalt gesetzt. Das bürgerliche Gesetzbuch verbiete aber Gewalt bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen.

Lindenberg, der die geschlossene Unterbringung von jugendlichen Intensivtätern grundsätzlich ablehnt, arbeitete in den Jahren 2005 bis 2007 als Vorsitzender der Aufsichtskommission, die für das geschlossene Heim in der Hamburger Feuerbergstraße zuständig war. In diesem Frühjahr lehnte er eine Anfrage der Sozialbehörde ab, den Vorsitz einer Aufsichtskommission für die Haasenburg-Heime zu übernehmen. „Ich halte diese Kommission für eine Alibiveranstaltung“, sagte Lindenberg.

Der Wissenschaftler plädiert dafür, für die Jugendlichen einen individuellen Hilfeplan zu erarbeiten. „Notwendig ist ein individuelles Setting.“ Dazu sollten die Spitzenverbände der Jugendhilfe einen „Kooperationspool“ bilden. „Es gibt bei den Trägern der Jugendhilfe so viel Wissen und Erfahrung, dass gute Hilfsangebote für die Jugendlichen entwickelt werden können.“

An den Wissenschaftler hatten sich die drei Jugendlichen nach ihrer Flucht aus dem Heim Anfang Juli gewandt. Er wisse nicht, warum sie gerade ihn ausgewählt hätten, so Lindenberg. „Ich bekam einen Anruf und eine Stunde später standen die Jungen vor meiner Tür.“ Für ihn sei zunächst wichtig gewesen, für die Jugendlichen einen rechtlichen Beistand zu organisieren.

Außerdem habe man versucht, die drei Jugendlichen in der Anlaufstelle für Straßenkinder KIDS am Hauptbahnhof unterzubringen. Allerdings hätten die Jugendlichen in dieser Einrichtung nicht bleiben wollen. Der aus dem Saarland stammende Jugendliche wurde nach Abendblatt-Informationen einen Tag später in Bremen aufgegriffen. Den Hamburger Jungen entdeckte die Polizei in einem Abrisshaus, in dem er offenbar mehrere Tage gelebt hatte.

Ungeklärt sind bislang Details des pädagogischen Konzepts, nach dem in den Haasenburg-Heimen gearbeitet wird, weil der Betreiber die Bestimmungen nicht offengelegt hat. Im Betreuungsvertrag, der mit den Sorgeberechtigten geschlossen wird und dem Abendblatt als Muster vorliegt, wird unter anderem die „Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen“ beschrieben.

Es heißt, dass diese Maßnahmen „aggressive Handlungen und Weglaufversuche“ unterbrechen sollen. Dies geschieht durch „körperliche Begrenzungen“. Für den Fall „impulsiver Durchbrüche mit Kontrollverlust“ der Jugendlichen finden die Maßnahmen in reizarmen Räumlichkeiten („Anti-Aggressionsraum“) statt. Dies könne „auch gegen den Willen“ geschehen. Voraussetzung sei, dass alle weniger strikten Maßnahmen erfolglos blieben.

Vorrangiges Ziel sei es, diese Maßnahmen „schnellstmöglich“ zu beenden. Es folgt der Hinweis, dass es keine „direkten Fixierungen mit Fixiergurten auf einem Fixierbett“ gebe. Zudem werde das Vorgehen dokumentiert und an die Jugendämter gemeldet. „Wir akzeptieren nur die körperliche Begrenzung für die Hamburger Jugendlichen und waren immer gegen die Fixierung“, sagte Behördensprecherin Serocka.