In Bergedorf machen Anwohner gegen die Aufrüstung von Windparks mobil, obwohl sie keine Gegner der Windkraft sind. 27 Windturbinen laufen derzeit im südöstlichen Bezirk der Hansestadt.

Hamburg. Weißes Fachwerk, roter Klinker, grüne Holzläden an Fenstern und Türen. Obendrauf ein sorgfältig gepflegtes Reetdach. Das weitläufige Haus beherbergt Schätze wie den Kachelofen von 1791, hölzerne Wandvertäfelungen, eine eingelassene Standuhr. Im Garten steht ein Kornspeicher aus sibirischer Eiche, auch er ist mit Reet gedeckt. Eine Schnitzerei im Holz weist 1580 als Jahr seiner Erbauung aus.

Das Anwesen von Harri Arndt am Neuengammer Hausdeich in Bergedorf zählt zu Hamburgs ältesten Gebäuden. Immobilienmakler mögen den Preis des historischen Gehöfts genau beziffern können. Sein Wert für das Verständnis der regionalen Kultur- und Architekturgeschichte aber ist kaum zu ermessen. Seit Beginn der 1990er-Jahre schon arbeitet Arndt, 67, Steuerberater im Ruhestand, an der Sanierung des Gebäudes: „Die Region hier und die Menschen, die solche Anwesen gebaut haben waren wohlhabend, das kann man im Haus durch die Jahrhunderte hindurch sehr gut verfolgen“, sagt er.

Zwei von drei Segmenten des Hauses gehören Arndt. Den hinteren Teil will er demnächst wieder verkaufen. Das habe verschiedene Gründe, sagt er. Einer davon ist unübersehbar: Hinter der kopfsteingepflasterten Terrasse stehen auf den angrenzenden Feldern zwölf Windturbinen. Die meisten von ihnen sollen, so planen es die Hamburger Politik und die beteiligten Investoren, demnächst durch größere Maschinen ersetzt werden. Bislang ragen die Rotoren vor Arndts Grundstück 76 Meter in die Höhe. Künftig sollen es 150 Meter sein. „Das wird die Landschaft hier fundamental verändern“, sagt der Hausherr. „Und die Belastung durch Betriebsgeräusche und durch Schattenwurf wird deutlich zunehmen. Vier der geplanten sechs neuen Anlagen sollen nur 500 Meter vom Haus entfernt stehen.“ Der Wert des dem Windpark zugewandten Hausteils, meint Arndt, sinke dadurch um gut 100.000 Euro.

Deutschlands Energiewende läuft auf vollen Touren. Mit rund 31.000 Megawatt installierter Leistung ist die Windkraft das Kernstück beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Bundesweit stehen derzeit insgesamt mehr als 23.000 Windturbinen. Vor allem in Norddeutschland drehen sich die Rotoren. Gute Standorte werden knapp. Der Aufbau von Offshore-Windparks auf der Nordsee und der Ostsee wird von hohen Erwartungen begleitet, aber auch von hohen Kosten und Risiken. Deshalb will die Windkraftbranche Süddeutschland in den kommenden Jahren verstärkt erschließen. Und für Landstandorte im Norden heißt der Trend der Zeit „Repowering“, der Ersatz kleinerer durch größere, leistungsstärkere Turbinen auf denselben Flächen. Beides dürfte erhebliche Konflikte mit Anwohnern aufwerfen.

Der Fall Bergedorf steht stellvertretend dafür. 27 Windturbinen laufen derzeit im südöstlichen Bezirk der Hansestadt. Von 2014 an sollen an deren Stelle 16 zumeist doppelt so hohe Maschinen stehen. Die Bergedorfer Bezirksversammlung unterstützt das Vorhaben der Stadt. Im Bezirksparlament hält die SPD die absolute Mehrheit, ebenso wie in der Hamburgischen Bürgerschaft. Auch die Grünen und Die Linke in Bergedorf sind für den Austausch der Windkraftwerke.

Eine kleine Gruppe von Bürgern aber organisierte Widerstand gegen das Projekt. Drei Bürgerinitiativen in Ochsenwerder, Neuengamme und Altengamme mit rund 100 aktiven Mitgliedern brachten ein Bürgerbegehren auf den Weg. In Kärrnerarbeit sammelten sie während der Wintermonate an Informationsständen und Haustüren die 4000 nötigen Unterschriften. Daraufhin musste der Bezirk Bergedorf seine 95.000 Wahlberechtigten zur Abstimmung bitten. Bis spätestens Donnerstag können die Bürger per Brief oder persönlich ihr Votum beim Bezirksamt abgeben. Die Bürgerinitiativen wollen die maximale Höhe neuer Windturbinen auf 100 Meter begrenzen und den Mindestabstand der Anlagen zu Wohnhäusern von derzeit 500 auf 800 bis 1000 Meter vergrößern, wie es auch in Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern üblich ist.

„Wir sind keine Gegner der Windkraft“, sagt Willy Timmann, Experte für Immobilienfinanzierung im Ruhestand und Sprecher des Bürgerbegehrens. „Wir wollen aber, dass der Ausbau der Windkraft im Einvernehmen mit den Bürgern vor Ort geschieht.“ Sein Mitstreiter Arndt ergänzt: „Ich bin seit 40 Jahren Atomkraftgegner. Das sind, angesichts der jahrelangen Querelen um das Atomkraftwerk Krümmel, wohl alle in unseren drei Bürgerinitiativen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien, auch der Windkraft, ist unverzichtbar. Aber so, wie die Windparks in Bergedorf jetzt geplant sind, bringen sie massive Nachteile für die Anwohner. Zwei der neuen Windturbinen sollen nur 300 Meter entfernt von Wohngebäuden am Neuengammer Hauptdeich stehen.“

Hamburg steckt bei der Windkraft in der Zwickmühle. Seit Jahren schon arbeitet die Hansestadt parteiübergreifend an dem Image, Deutschlands „Windkrafthauptstadt“ zu sein. An der Elbe will man den Boom der Branche wirtschaftlich nutzen. So verlegte etwa Siemens die Zentrale seines weltweiten Windkraftgeschäftes von Dänemark nach Hamburg. Nach einem langen Streit zwischen beiden Standorten wird die Leitmesse der internationalen Windkraftbranche von 2014 an in Hamburg ausgetragen und nicht mehr in Husum. Auch die Forschung fördert der Senat. Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) will in Bergedorf einen „Energie-Campus“ speziell zur Weiterentwicklung der Windkraft und moderner Stromnetze aufbauen.

Bei der Eigenerzeugung von Strom aus Windturbinen aber hinkt Hamburg seinen norddeutschen Nachbarländern weit hinterher. Windturbinen mit insgesamt nur rund 54 Megawatt Nennleistung erzeugen weniger als ein Prozent des städtischen Strombedarfs. An eine deutliche Steigerung ist nicht zu denken – Hamburg hat als Stadtstaat kaum geeignete Flächen. Einzelne Großwindanlagen im Hafen mit bis zu 200 Meter Höhe haben deshalb erheblichen Symbolwert. Der Terminalbetreiber Eurogate baut derzeit ein solches Windkraftwerk zur Eigenversorgung auf seinem Gelände. Vor allem aber mit dem Ersatz kleinerer durch größere Maschinen will der Senat die installierte Leistung auf städtischem Terrain in den kommenden Jahren zumindest auf 100 Megawatt verdoppeln.

Im Bergedorfer Windkraftstreit hat nur die CDU Partei für das Anliegen der drei Bürgerinitiativen ergriffen. Die Fraktion in der Bezirksversammlung ruft dazu auf, das Bürgerbegehren zu unterstützen und gegen eine zulässige Höhe von mehr 100 Metern zu stimmen. „Es geht nicht um die Zukunft der Energiewende oder gar der Kernenergie. Es geht um die zukünftige Entwicklung in den Vier- und Marschlanden“, heißt es in einer Stellungnahme in den Wahlunterlagen. „Die Wahrnehmung der Landschaft wird sich durch die höheren Anlagen nicht nur lokal, sondern auch großräumig verändern. Auch die unmittelbaren Auswirkungen auf die Menschen vor Ort müssen in die Abwägungen einbezogen werden.“

Die SPD-Fraktion versucht in ihrer Stellungnahme die Argumente der Bürgerinitiativen zu entkräften. Im Fazit heißt es: „In der Tat können die geplanten Windenergieanlagen auch Beeinträchtigungen im Einzelfall mit sich bringen. Aber die Vorteile überwiegen bei Weitem. Wer die Energiewende will, muss Kompromisse eingehen.“ Die Grünen wiederum halten ihren Beitrag für die Wahlunterlagen eher generell: „Jede Technologie birgt Beeinträchtigungen für die Menschen“, schreibt die Fraktion. „Anlagen wie die geplanten werden ohne ernste Schäden an Mensch und Natur in anderen Gegenden seit über zehn Jahren betrieben. Eine Verdrängung der Windräder ins Umland oder aufs Meer ist keine Lösung.“

Aus dem Ergebnis des Bürgerbegehrens ergibt sich ein Bürgerentscheid. Wenn die Bürgerinitiativen eine Mehrheit der Stimmen bekommen, darf die Bezirksversammlung von Bergedorf die Windparkpläne nicht weiter unterstützen. Verhindert sind die Projekte damit allerdings nicht: Die Hamburgische Bürgerschaft kann sich über das Votum des Bezirks hinwegsetzen. Ausführendes Organ ist die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU). Die Bürgerinitiativen beklagen, dass sich die Behörde um die Forderungen der betroffenen Anlieger nicht kümmere. Auf Anfrage des Abendblatts nahm die BSU dazu nicht Stellung.

Vermutlich werden die größeren Anlagen letztlich gebaut werden. Der Konflikt aber bleibt. In Bergedorf sieht die Familie Stumpf ihr Zuhause in Gefahr, ein schmuckes Einfamilienhaus am Horster Damm in Altengamme. In Sichtweite hinter dem Garten stehen sieben Windturbinen, künftig sollen es zehn sein, und jede davon in doppelter Höhe. „Als wir das Haus vor zehn Jahren gebaut haben, standen die Anlagen schon hier“, sagt Nicole Stumpf, 38. „Sie stören uns nicht, sie passen in die Landschaft. Wir würden uns auch mit einer Höhe von 100 Metern arrangieren. Aber mit 150 Meter hohen Anlagen würde es hier in Zukunft aussehen wie in einem Industriegebiet. Wir haben uns etliche solcher Anlagen angeschaut. Was uns über Lärm und Schattenwurf erzählt wurde, stimmt einfach nicht.“

Nicole Stumpf organisiert den Parkettlegerbetrieb ihres Mannes Christoph, 47. Beide sind in Bergedorf aufgewachsen. Ihre Eltern wohnen in einem Haus nebenan, die beiden Töchter, neun und elf Jahre alt, gehen in Bergedorf zur Schule. Altengamme ist Heimat für die gesamte Familie. Wie lange noch? „Die Hamburger Politiker haben sich für die Argumente der Bürgerinitiativen überhaupt nicht interessiert. Offenbar geht es nur um Prestige und um die Renditen der beteiligten Unternehmen“, sagt Nicole Stumpf beim Blick aus dem Kinderzimmer auf den Windpark gegenüber. „Wenn die großen Anlagen tatsächlich gebaut werden, müssen wir unser Haus vielleicht aufgeben. Denn das wollen wir unseren Kindern und uns nicht zumuten.“