Als Hamburger Bürgermeister wurde Ole von Beust gegen seinen Willen durch seinen Innensenator Ronald Barnabas Schill geoutet. Drei Jahre nach seinem Rücktritt hat er nun seinen Lebensgefährten, den 22-jährigen Lukas, geheiratet.
Hamburg. Der Dienstag, der die Republik erschütterte, war ein heißer Augusttag. Es war ein Tag des Tabubruchs, der Erpressung, ein Tag des Zwangsoutings und eines politischen Schurkenstücks, es war der Tag, an dem das Rathaus an die Reeperbahn rückte. Dieser Dienstag liegt nicht einmal zehn Jahre zurück und erinnert doch an ein anderes Jahrhundert. An diesem 19. August 2003 regierte in der stolzen Kaufmannsstadt Hamburg eine Koalition aus CDU, FDP und der rechtspopulistischen Schill-Partei. Wohlmeinende bezeichneten das Trio damals als bunte Truppe, Kritiker eher als Chaos-Combo. Und die Stimmung im Bündnis verschlechterte sich von Tag zu Tag: Das Sommerloch hatten Vorwürfe gegen den Staatsrat des Innensenators Ronald Barnabas Schill gefüllt, nun wollte Bürgermeister Ole von Beust durchgreifen und den umstrittenen Mann zum Rücktritt drängen. Man kann sagen: Bis dahin alltägliches Politikgeschäft.
Doch der damalige Innensenator Schill war kein alltäglicher Politiker, als „Richter Gnadenlos“ war er erst ein Liebling des Boulevards, dann mit 19,4 Prozent der Stimmen ein Liebling der Wähler geworden und mehr und mehr berauscht von seiner vermeintlichen Größe. Als der Bürgermeister mit seinem Duz-Freund die Personalie erörtern will, kommt es zum Eklat. Schill droht im Falle des Rauswurfs seines Staatsrates wüste Konsequenzen an. Gleich mehrfach ruft er „Heute Abend Primetime“. Er werde öffentlich machen, dass Ole von Beust zu seinem Justizsenator Roland Kusch (CDU) „eine langjährige intime Beziehung“ pflege und ihn deshalb zum Senator berufen habe. Beust ist sprachlos und wirft Schill aus dem Bürgermeisterzimmer. Für den Mittag beruft der Bürgermeister eine Pressekonferenz ein.
Es wird eine Pressekonferenz, die bizarrer nicht geht. Ole von Beust teilt den verdutzten Rathausjournalisten mit, dass er den Innensenator soeben entlassen habe, weil dieser charakterlich nicht für dieses Amt geeignet sei und ihn zu erpressen versucht habe. Schill sitzt mit hochrotem Kopf zwei Plätze neben ihm, steht aber völlig neben sich. Als Ole von Beust nach der kurzen Erklärung den Raum verlässt, legt Richter Gnadenlos los, zitiert Gerüchte, berichtet von „Liebesgeräuschen“, schwadroniert von einer Liebeshöhle am Hansaplatz. Es ist ein absurdes Theater im Raum 151. Und es lässt einen Schurken zurück mit Namen Schill und einen Helden mit Namen Beust.
Outing erst bewusst vermieden
Plötzlich ist offenbar, was zwar alle im Umfeld des Bürgermeisters wussten, aber vielen Bürgern neu war: Der smarte wie beliebte Bürgermeister, in Hamburg schon bald nach der Wahl nur noch „Ole“ genannt, ist schwul. Zwar hatte der Hamburger daraus nie ein Geheimnis gemacht, ein Outing aber bewusst vermieden. Mehrfach hatte er mit dem Gedanken gespielt, über seine Homosexualität offen zu sprechen und sich dagegen entschieden. Zum einen aus persönlichen Gründen – Ole von Beust war seine Privatsphäre immer wichtig. Zum anderen aber hatte es politische Ursachen. Hamburg war nicht Berlin, wo Klaus Wowereit im Juni 2001 den Zitateschatz der deutschen Politik um den denkwürdigen Satz „Ich bin schwul – und das ist auch gut so“ bereichert hatte. Vor allem aber war die Union nicht die SPD eines Wowereits. Die Debatte um Anerkennung homosexueller Partnerschaften wurden von den Konservativen in der CDU schnell beendet: „Wir dürfen das konservative Tafelsilber nicht verscheuern“, betonte damals etwa der Parteirechte Jörg Schönbohm. Auch Beusts Vater Achim Helge, selbst 26 Jahre Bezirksamtsleiter in Wandsbek, sah das politische Engagement seines Sohns mit Sorgen: „Wir haben ihm sofort gesagt, als er politisch aktiv wurde: Es muss nicht rauskommen. Aber es ist damit zu rechnen. Und wenn du damit nicht klarkommst, lass' die Finger von der Politik. Du darfst nie lügen.“
In den ersten Stunden nach dem Zwangsouting glaubten viele in der Union, dass Ole von Beust hinwerfe würde – sogar über Nachfolger wurde bereits hektisch nachgedacht. Plötzlich war publik geworden, was als Gerücht mehr als ein Jahrzehnt durch Hamburg waberte. Ole von Beust berichtet in seinem Buch „Mutproben“ selbst von „anonymen Anrufen“, wonach er in einem gewissen Etablissement gesehen worden sei; angeblich verfügten Magazine und Zeitungen über Dossiers. Bis in seine Familie verbreiteten sich Gerüchte: „So sprach mein Vater mich eines Tages darauf an, dass ihm aus sicherer Quelle gesteckt worden sei, ich wäre für die Öffentlichkeit in Frauenkleidern gesehen worden. Angeblich habe mich die Polizei aufgegriffen“, schreibt Beust. Das angeblich so tolerante Hamburg zerriss sich das Maul über seinen „verzauberten Bürgermeister“.
Entsprechend schrill fiel das Medienecho aus: „Das rosa Rathaus“, ulkte der Spiegel, „dreckige Homo-Erpressung“ schäumte die „Bild“, das „schillernde Rathaus“ titelte die Welt. Auch nach dem unsäglichen Auftritt Schills mochte von Beust indes nicht über seine Homosexualität sprechen. „Zu verlangen, dass Menschen, von denen vermutet wird, sie seien homosexuell, das öffentlich machen sollen, empfinde ich als diskriminierend“, sagte der Bürgermeister kurz nach der Schill-Attacke. „Homosexualität ist ein völlig normales Sexualverhalten, was allenfalls von der Norm abweicht.“ Es war sein Vater Achim Helge, der dann ohne das Wissen seines Sohnes das Thema mit einem Interview in der „Welt am Sonntag“ kurz darauf beendete: „Der Ole, der hat sich befreit“. Es war eine Befreiung. Mit „Herzklopfen“ sei er damals zum Briefkasten gegangen, um die Sonntagszeitung zu holen, sagte Ole von Beust später.
2001 die ersten Hamburger Ja-Worte
Das Thema, das unterschwellig immer wieder diskutiert wurde, war plötzlich abgeräumt. Nicht die sexuelle Ausrichtung des Bürgermeisters bestimmte fortan die Debatten, sondern der Mensch Ole von Beust – und die Politik. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Hamburger längst viel moderner dachten als gemutmaßt, brachte ihn das Wahlergebnis bei der vorgezogenen Bürgerschaftswahl 2004. Ole von Beust, eben noch das Opfer eines Schmierentheaters, avancierte zum Star eines Politwunders, und errang 47,2 Prozent der Stimmen in der ehemaligen SPD-Hochburg, ein Zugewinn von 21 Prozentpunkten. Es war ein politisches Signal - nicht nur für den Bürgermeister, sondern auch ein liberaleres Ausrufezeichen bis in die Union hinein. Bis dahin waren die Rechte von Homosexuellen eine der wenigen Bruchkanten zwischen rot-grün und schwarz. Gegen den erbitterten Widerstand gerade aus Bayern hatte der damalige SPD-Bürgermeister Ortwin Runde Hamburg an die Spitze der Bewegung zur Gleichberechtigung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften gesetzt. Seit April 1999 konnten schwule oder lesbische Paare ihre Beziehung eintragen lassen, allerdings ohne damit besondere Rechte oder Pflichten zu verbinden. Am 1. August 2001 dann durften sich in Hamburg 15 homosexuelle Partner das Ja-Wort geben; die damalige Zweite Bürgermeisterin Krista Sager (GAL) war Trauzeugin, die spätere grüne Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Verena Lappe unter den Eheleuten.
Während gerade die Grünen demonstrativ Politik für Homosexuelle machten, hatte Hamburg einen undemonstrativen Homosexuellen zum Bürgermeister. Ein innenpolitischer Konflikt war damit in der Hansestadt zwischen den Lagern befriedet, und möglicherweise liegt auch hier einer der Gründe, warum sich Schwarze und Grüne als Elbe und Alster früh besser verstanden als anderswo. 2008 bildeten die Grün-Alternative Liste und die CDU das erste Länderbündnis unter Bürgermeister Ole von Beust. Es ist kein Zufall, dass nach dem Rücktritt des Bürgermeister im Juli 2010 das ungewöhnliche Bündnis nicht mehr lange durchhielt. Vier Monate später kündigte die GAL die Koalition auf. Der Nachfolger von Beust, Christoph Ahlhaus, war es nie gelungen, die programmatische Grundskepsis durch seine Persönlichkeit zu überbrücken, linke Grüne und konservative Unionspolitiker in ein Bündnis zu integrieren.
Ohnehin stand seine kurze Regentschaft im Rathaus unter keinem guten Stern. Nur wenige Stunden nach der Regierungserklärung Alhaus’ im Rathaus beherrschte ein anderer die Schlagzeilen: Sein Vorgänger. An der Seite des damals 19-Jährigen Lukas F. besuchte der 55-jährige Ole von Beust die Eröffnung einer Edelboutique an den Hohe Bleichen; rasch wurde klar, dass der junge Mann nicht der Großcousin ist. Offenbar hatte der Bürgermeister gehofft, zwei Monate nach seinem Rücktritt sei er bereits auf die Größe eines Privatiers geschrumpft. Einer der größten Irrtümer, wie er in seinem Buch zugibt. „Die Menschen wollen wissen, was mit der Person passiert, die sie jahrelang in den Medien und als Bürgermeister begleitet haben. Das habe ich unterschätzt … Der öffentliche Wirbel war groß. Es wurde berichtet, analysiert und kommentiert – und letztlich unter dem Deckmantel moralischer Betrachtung doch wieder nur getratscht.“ Immerhin - auch das ein Zeichen der Liberalisierung der Gesellschaft - steht nun die Partnerschaft im Mittelpunkt, nicht das Geschlecht. Auf der anderen Seite wird das Private immer politischer, die Nachrichten immer bunter, der Boulevard immer breiter. Der frühere Außenminister Heinrich von Brentano konnte homosexuell sein, ohne jemals in das mediale Interesse zu geraten. Die Debatte beendete Konrad Adenauer damals mit dem legendären Satz: „Also wissen Se, solange der misch nit anfasst, isset mir ejal!“
„Nichts Konservativeres als die Ehe“
Egal ist heute nichts mehr; die moderne Mediengesellschaft leuchtet jede öffentliche Figur aus. Und je komplizierter die Politik wird, desto stärker konzentriert sie sich auf das Persönliche. Den Mangel an Privatheit hat von Beust gerade zum Ende seiner Amtszeit immer mehr vermisst. Jeder Schritt sei ein kleiner Bühnenauftritt, klagte er. „Ich war abends manchmal völlig ausgelaugt, es war bis ins Physische anstrengend für mich und psychisch teilweise extrem belastend“. Die Neugier auf den Partner, den er 2009 im Rathaus kennen gelernt hatte, dürfte dieses Leiden an der Publicity noch verstärkt haben. Zumal der Altersunterschied von 36 Jahren gefundenes Fressen für eine geschwätzige Gesellschaft gewesen wären. Die Hochzeit von Ex-SPD-Chef Franz Müntefering mit der 40 Jahre jüngeren Michelle wurde 2009 zum Medienereignis und Debattenthema.
Vor fünf Wochen haben Ole von Beust und Lukas F. in Wandsbek geheiratet. „Ja, es stimmt“, bestätigt der 58-Jährige dem Abendblatt. Die Feier habe im kleinen, privaten Rahmen mit engsten Freunden und Verwandten stattgefunden. Mehr möchte er dazu nicht sagen, das sei „Privatsache“. In der Sache politisch wurde er schon früher. In mehreren Interviews zu Jahresbeginn übte er scharfe Kritik am Widerstand der CDU gegen die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften. Es gebe „nichts Konservativeres als die Ehe“. Ole von Beust ist bei sich angekommen - als Konservativer.