Dieses Buch dürfte Wellen schlagen. Ex-Bürgermeister Ole von Beust schreibt über sein Leben, zehn Jahre im Rathaus und was ihn bis heute bewegt.
Hamburg. Um Ole von Beust war es zuletzt ruhig geworden. Der langjährige Hamburger Bürgermeister hatte sich seit seinem Rücktritt im Sommer 2010 zurückgezogen, Mikrofone und Kameras gemieden und öffentliche Auftritte rar gesät. Damit dürfte es von nun an vorbei sein. Am 17. April, kurz nach seinem 57. Geburtstag, erscheint "Mutproben - Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz" im Gütersloher Verlaghaus. Damit rückt der Politiker Ole von Beust noch einmal in den Mittelpunkt.
Er ist nicht der erste Hamburger Bürgermeister, der sich nach dem Ausscheiden in einen Autor verwandelt. Gleich mehrere Rathausregenten kommentierten mehr oder minder erfolgreich die Zeitläufe: Max Brauer hat Reden und Ansprachen 1953 in einem Buch mit dem schönen Titel "Nüchternen Sinnes und heißen Herzens" niedergelegt. Herbert Weichmann gelang schon 1931 ein Bestseller: "Alltag im Sowjetstaat" beschrieb kritisch die Erlebnisse des SPD-Politikers in Sowjet-Russland. Mehr als 40 Jahre später erschien sein Aufruf zur streitbaren Demokratie: "Gefährdete Freiheit". Die Erinnerungen des Hamburger Bürgermeisters Peter Schulz tragen den Titel "Rostock, Hamburg und Shanghai". Klaus von Dohnanyi zeigte gerade in einem viel beachteten Buch ("Dichter, Denker, Schulversager") zusammen mit Ex-Senator Jörg Dräger "Wege aus der Bildungskrise" auf. Und Hans-Ulrich Klose gab nicht nur "Befreiung der Arbeit. Strategien gegen Arbeitslosigkeit, Naturzerstörung und Entfremdung" heraus, sondern auch eigene Gedichte im Band "Zeit schreiben".
+++ Auszüge aus dem Buch von Ole von Beust +++
+++ Beust: Ich hätte die Primarschule viel früher einführen müssen +++
Deutlich prosaischer geht Ole von Beust mit seinem Ghostwriter Nahuel Lopez an seinen Erstling heran. Das Buch gliedert sich grob in zwei Teile - in eine Autobiografie und Denkanstöße zur aktuellen politischen Debatte. Dabei überraschen beide - der erste durch persönliche Offenheit, der letztere durch Thesen, die weit entfernt liegen vom christdemokratischen Mainstream.
Fast 40 Seiten widmet Ole von Beust seiner Kindheit und Jugend. Der gebürtige Hamburger, der Zeit seines Amtes viel Wert auf den Schutz seiner Privatsphäre gelegt hatte, wird hier überraschend persönlich. Der kleine Carl-Friedrich Arp, genannt Ole, ist der jüngste von drei Söhnen des damaligen Wandsbeker Bezirksbürgermeisters Achim-Helge Freiherr von Beust und ein Nachzügler. Er verlebt eine glückliche Kindheit in der Einsamkeit des Duvenstedter Brooks, in einem heute längst abgerissenen Norweger-Holzhaus, dem sich die Hirsche zur Brunftzeit bis auf 100 Meter näherten. In diesem Biotop am Rande der Großstadt wird er politisch sozialisiert. "Die Zeit des Nationalsozialismus spielte in meiner Kindheit eine große Rolle", erinnert sich Ole von Beust. "Gerade durch meinen Vater, den das alles sehr beschäftigt hat, weil er, - als ,Arier' mit einer Halbjüdin verheiratet - aus nächster Nähe die Tragödie hatte beobachten können." Achim Helge Beust, das blitzt an vielen Stellen des Buches auf, ist eine zentrale Figur im Leben des späteren Bürgermeisters, er ist Vorbild, Vater, Berater. Er ist "ein liberaler Geist".
Die Politik, der Drang, immer mittendrin zu sein, wird früh zur Berufung, später zum Beruf. Der jugendliche Ole, schon mit 16 Mitglied der Jungen Union, legt sich ein skurriles Hobby zu: Er lauscht in seiner Freizeit Politikerreden und beginnt, sie zu imitieren. "Bis heute bin ich ein ziemlich guter Stimmen-Imitator. Ich konnte Hitler imitieren, Walter Ulbricht und später auch Erich Honecker." Gelegentlich gibt er später Einblicke in sein kabarettistisches Können, etwa bei Senatssitzungen, die zu verkrampfen drohten.
Lesenswert macht die Autobiografie, dass Ole von Beust nicht der Gefahr erliegt, sich selbst zu wichtig zu nehmen. Der Jurist gibt sich uneitel und selbstironisch: In seiner Amtszeit habe er immer schmunzeln müssen, wenn es hieß, er sei der bestangezogene Politiker der Republik. "Tatsächlich kaufe ich meine Kleidung von der Stange. Größe 50 passt. Viele Hemden habe ich vom Discounter. Vermutlich hat mein damaliger Status den Modekritikern den Blick etwas vernebelt."
Seine Schwächen beschönigt der Autor nicht, bekennt zu seiner Studentenzeit: "Ich bekam den Hintern nicht hoch." Er stilisiert sich nicht als Hauptfigur einer Heldensaga auf dem Weg nach oben, sondern mitunter als einfacher Günstling des Zufalls. Seine Gegner, so Beust, scheiterten an seiner Nettigkeit, "sodass sie es nicht über das Herz brachten, mir zu schaden".
Den entscheidenden Karrieresprung macht er 1993. Die Hamburger CDU lag damals am Boden, hatte bei der zurückliegenden Bürgerschaftswahl nur noch 25,1 Prozent der Stimmen gewonnen. Neuer Fraktionschef wird Ole von Beust - "als sich da schlicht kein anderer fand, der den Vorsitz übernehmen wollte, nahm man mich". Helmut Kohl, damals noch Kanzler und Parteichef, schäumte über den Aufstieg des jungen Politikers und gab einen Rat, den ironischerweise Olaf Scholz fast 20 Jahre relativ konsequent für die SPD beherzigte. "Was soll das, ihr braucht einen Kaufmann, nehmt jemanden aus der Handelskammer oder einen Reeder", riet Kohl. "Das passt zu Hamburg, aber nicht dieser Sunnyboy."
Mit diesem Satz allerdings lag der Pfälzer gehörig daneben: Elf Jahre später sollte ausgerechnet dieser Sunnyboy mit dem schlichten Spruch "Michel, Alster, Ole" die CDU bei der Bürgerschaftswahl 2004 zur absoluten Mehrheit tragen. Das war bis dahin in Hamburgs so wenig vorstellbar wie der Wiederaufbau der Hammaburg, die sündige Meile ohne Bordsteinschwalben oder die Champions League für den FC St. Pauli.
Wegbereiter für den Triumph Beusts war ausgerechnet der Populist Ronald Schill. Seine neu gegründete Partei Rechtsstaatliche Offensive hatte 2001 durch den Sensationserfolg von 19,4 Prozent den Machtwechsel an der Elbe erst ermöglicht. Der liberale Christdemokrat Beust setzte voll auf Risiko und wagte zum Entsetzen der halben Hansestadt eine Koalition mit dem Politnewcomer und der FDP - und verwies damit die SPD nach 44 Jahren auf die Oppositionsbänke. Schill und Beust kannten sich zu dieser Zeit bereits aus einer Bürogemeinschaft, in der der spätere Amtsrichter mitunter aushalf. Die beiden schätzen sich: "Er war ein charmanter und lustiger Geselle, ein bisschen leichtlebig, aber nicht unsympathisch." Schill kam ihm damals sogar "ziemlich liberal" vor.
Das sollte sich ändern. Der lustige Geselle früherer Tage mutiert in der Wahrnehmung Beusts zu einer "tickenden Zeitbombe". Zum ersten Mal explodierte Schill im Bundestag, in dem er eine unsägliche Rede zur Oderflut hielt. Beim zweiten Mal hätte es Beust fast aus dem Rathaus katapultiert (siehe Auszug auf Seite 5): Der Bürgermeister wollte Schills Staatssekretär nach diversen Affären in den einstweiligen Ruhestand versetzen, was den Populisten auf die Palme brachte: Beust schildert das kammerspielreife Gespräch im Bürgermeisteramtszimmer, in dem Schill damit droht, eine angebliche Beziehung Beusts zum damaligen Justizsenator Roger Kusch öffentlich zu machen: "Heute Abend. Primetime." "Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass er damit Ernst machen würde. Mir war intuitiv klar, dass ich noch vor ihm mit der Sache herausmusste. Der, der zuerst draußen ist, der bringt den anderen in die Defensive und ist damit im Vorteil."
Beust entlässt Schill und seinen Staatsrat. Die darauffolgende Pressekonferenz wird zum Showdown und beschert der Stadt über Tage peinliche Schlagzeilen. Nachdem der Bürgermeister an diesem heißen 19. August 2003 den Rauswurf seines Stellvertreters verkündet, setzt sich Schill vor die überraschten wir ungläubigen Journalisten und redet sich "um Kopf und Kragen". Wüste Anschuldigungen und schlüpfrige Unterstellungen sollen Beust treffen und erreichen doch nur das Gegenteil.
Schill hatte sich desavouiert, Beust war der strahlende Gewinner. Auch das Outing als Homosexueller, zu dem ihm lange der Mut gefehlt hatte, schadete dem Bürgermeister nicht mehr. Zumal sein Vater in einem Interview mit der "Welt am Sonntag" kurz darauf alles Nötige dazu sagte und damit das Thema so klug wie charmant abräumte.
In "Mutproben" spricht Ole von Beust nun erstmals offen über seine Homosexualität und dementiert dabei auch skurrile wie hartnäckige Gerüchte, wonach er in Frauenkleidern von der Polizei aufgegriffen worden sei. Nach dem Wahltriumph der CDU kehrte rasch Ruhe im "rosa Rathaus" ("Der Spiegel") ein. Vier Jahre später elektrisierten schon andere Farben die Republik. Nach der Bürgerschaftswahl 2008 wagten CDU und GAL in Hamburg die erste Koalition auf Landesebene. Schwarz-Grün galt als Bündnis der Zukunft, die Leitartikler im Lande applaudierten laut, und im politischen Berlin frohlockte man über die Erweiterung der Machtoptionen. Dem Rausch folgte rasch der Kater, doch Ole von Beust bezeichnet die Koalition bis heute als "eine sehr gelungene Zusammenarbeit, die ein anderes Ende verdient gehabt hätte". Im November 2010 zerbrach das Modell Zukunft.
An diesem Ende trug Beust allerdings ein gerüttelt Maß Verantwortung - im Sommer 2010 war er zurückgetreten. Sein Buch "Mutproben" liefert Indizien, warum das Bündnis scheitern musste. Schwarz-Grün war ein Projekt der Führungsspitzen, nicht des Parteivolkes. Und die gleich mehrfach betonte "Sympathie" Beusts für die Grünen mögen zwar das Regieren erleichtert haben, aber verstärkten die Entfremdung von der eigenen CDU-Basis. Keiner in der Hamburger CDU bremste Beust. So wurde die Abstimmung über die Einführung der Primarschule, ein grünes Lieblingsthema, zum Spaltpilz des Bündnisses. CDU-Mitglieder arbeiteten fortan nicht mehr an Infoständen für die Partei, sondern sammelten Unterschriften gegen die verhasste Schulreform. Beust hält die Primarschule bis heute für richtig und verteidigt sie im Buch engagiert, gesteht aber ein, dass ihm sein Vater, der 2007 starb, als Berater fehlte: "Möglicherweise hätte ich die Schulreform nicht so radikal und über die Köpfe der eigenen Leute hinweg durchgekämpft."
Erschwerend kam hinzu, dass der Bürgermeister zu diesem Zeitpunkt schon längst amtsmüde war. Zwar gab ihm das schwarz-grüne Bündnis noch einmal für ein paar Monate neuen Schwung, doch spätestens 2010 war dieser erlahmt. Und der Politiker, der über Jahre hinweg vieles aus dem Bauch heraus richtig entschieden hatte, verlor dieses Gespür. "Ich bemerkte zu der Zeit allerdings, dass mir die Freude an der Arbeit abhandenkam." Vieles ließ die schwarz-grüne Koalition schluren, einige Dinge liefen völlig aus dem Ruder wie das Chaos auf eisglatten Straßen im Winter 2009/2010. Es war Zeit für einen Nachfolger. Interessanterweise schildert der Bürgermeister die Suche nach seinem Nachfolger anders als sein Freund und langjähriger Finanzsenator Wolfgang Peiner, der im vergangenen Sommer das Buch "Handeln für Hamburg" veröffentlicht hatte. Während Beust schreibt, dass alle Gespräche"leider scheiterten", weil drei externe Kandidaten ablehnten, betont Peiner, Beust habe die Gespräche "leider nicht weiterverfolgt". Unterschiedlich fällt auch die Einschätzung der beiden über Nachfolger Christoph Ahlhaus aus. Während Peiner mit Kritik nicht spart, schreibt Beust: "Ich bin überzeugt: Hätte er mehr Zeit gehabt, wäre er ein guter Bürgermeister geworden." Der Wähler entschied anders.
Sein neues Leben als Anwalt und Berater genießt der 56-Jährige. In den letzten Monaten im Rathaus war die Freude an der Macht mehr und mehr der Last der Verantwortung gewichen: "Ich war abends manchmal völlig ausgelaugt, es war bis ins Physische anstrengend für mich und psychisch teilweise extrem belastend!" Sein Resümee: "Unterm Strich habe ich das Loslassen der Macht als einen großen Gewinn an Freiheit empfunden."
Die Freiheit, als politischer Mensch nicht mehr in die Parteidisziplin eingebunden zu sein, atmet das letzte Drittel. Engagiert plädiert er für mehr Anstrengungen in der Integration, rechnet mit dem "Brandstifter Sarrazin" ab und fordert eine doppelte Staatsbürgerschaft.
Auch das Kapitel zur Bildungspolitik dürfte den Abschmiedschmerz manch konservativer Parteifreunde von der Macht lindern. Auch nach dem Scheitern der Schulreform verteidigt Beust die Primarschule und kommt zu dem Schluss, er "hätte die Reform besser schon zur Zeit der absoluten Mehrheit begonnen und nicht erst in der Koalition mit den Grünen".
Abseits der Parteilinie segelt Beust auch in der Europafrage - engagiert plädiert er für Europa und fordert ausdrücklich eine Art "Länderfinanzausgleich, eine Transferunion". Dazu gehörte auch die Einführung von Euro-Bonds. Seine eigene Partei und die Politik fordert er insgesamt zu mehr Mut auf - mehr Mut, auch die eigene Klientel zu verärgern und sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Zugleich warnt er vor überzogenen Anforderungen an Mandatsträger: "Politik bedeutet zwar im Kern Pflichterfüllung und Verantwortung, sie ist aber kein lebenslanger Opfergang."
Sein Nachwort weist über den Tag hinaus: "Keiner kann sich Politiker wünschen, die ohne Blessuren durch das Leben gekommen sind ... Ein gelebtes Leben trägt nun einmal Narben davon. Doch als Politiker muss man heute die Sorge haben, dass das alles öffentlich groß und breit ausgetreten wird." Ole von Beust selbst ist dazu nicht mehr bereit.
Eine Frage, die diese Republik umtreiben muss, lautet: Wer ist dazu bereit?
"Mutproben. Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz" erscheint am 17.4. im Gütersloher Verlagshaus und kostet 19,99 Euro. Das Abendblatt druckt ab heute Auszüge daraus