Die größte Regenmenge seit Beginn der Wetteraufzeichnungen - 121,5 Liter sind es schon. Die Aussichten sind schlecht. Ist das eigentlich schon der Klimawandel?

Hamburg. Es sieht fröhlich bunt aus an der Wand, auf die Frank Böttcher jetzt deutet. Große Bildschirme hängen dort. Nebeneinander, übereinander. Auf einem huschen blaue Fetzen über die grün dargestellte norddeutsche Tiefebene. Ein weiterer Schirm zeigt diese bunten Kästchen: Für Laien irgendwas zwischen Wärmebild und erstem Babyfoto aus dem Mutterleib. "Sieht nicht so gut aus", brummt Böttcher, der hier im Haus N beim Studio Hamburg sein 1999 gegründetes Institut für Wetter- und Klimakommunikation betreibt. Was ein Embryo sein könnte, ist in Wahrheit ein riesiger "Kaltluftberg" über Europa.

Darum finden sich schwungvolle Linien, die das Tief "Bob" darstellen. Eine ungewöhnliche Zugbahn sei das, erklärt der Meteorologe, der verschiedene Medien mit Wetterprognosen beliefert. Immer um den "Berg" herum wandert "Bob", seine warme nasse Luft schleppt sich förmlich auf den kalten Berg - und es regnet. Und regnet. Und regnet. Zuletzt Mittwoch mit dicken Tropfen, dann jetzt wieder. Inzwischen ist amtlich, was Böttcher vor zwei Tagen prognostiziert hatte. Dieser Mai ist in Hamburg der nasseste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen Ende des 19. Jahrhunderts. Normalerweise werden um 57,3 Liter pro Quadratmeter in einem durchschnittlichen Mai gemessen, am Freitag war der Wert bereits bei 121,5 Litern. Der bisherige Rekord lag bei 121,1 Litern - und das war 1981. "Wann wird es wieder richtig Sommer?", hat Rudi Carrell schon 1975 gesungen. Ja, wann denn? "Wie warm ist es gerade am Nordkap?", fragt Böttcher, statt eine Antwort zu geben, seinen Mitarbeiter, der hinter einem Pult mit etlichen Weltzeituhren und noch mehr Computerbildschirmen sitzt wie Captain Kirk am Steuerstand der "Enterprise". "Der Meteorologe vom Dienst", wie es hier heißt, klickt hier, klickt dort. "17 Grad", kommt dann die Antwort. Zehn Grad mehr als in Hamburg: Und das führt zu diesem fürchterlichen Mai-Regenwetter. Sehr warme Luft hängt über Skandinavien, der Kaltluftberg sitzt davor fest, und "Bob" kreist.

Viel ändern dürfte sich da in nächsten Tagen nicht, sagt Böttcher vorsichtig. Also wieder Regen. Ist das eigentlich schon der Klimawandel, haben sich die Wettersysteme irgendwie verschoben, ahnte Carrell etwa schon, dass etwas nicht stimmte? Böttcher holt als Antwort Papierfahnen mit Langfristdaten von Niederschlagswerten hervor und legt sie auf den Tisch: Etwa um ein Grad ist es in Hamburg im langjährigen Vergleich tatsächlich wärmer geworden. Mit dem Effekt, dass das Frühjahr früher eintrete und auch wärmer sei. Fünf Prozent mehr Sonnenschein im Mai ist die Folge, minus drei Prozent im Sommer, kaum Veränderung beim jährlichen Niederschlag. Nichts Dramatisches eigentlich. Aber doch dramatisch anders als derzeit. Der nasse Mai ist eben in Wahrheit die Ausnahme vom Trend. Ungewöhnlich und durch viele kleine Zufälle entstanden.

Noch vor einigen Tagen gab es da eine Hochdruckbrücke. Und lange habe es ausgesehen, als wenn die sich durchsetzen könnte und nicht "Bob". Dann wäre es jetzt schön warm, sagt Böttcher. Wetterprognosen seien daher schwierig, gerade für Norddeutschland, wo die Lage oft so unstabil ist. Dennoch liegt die Treffsicherheit für eine 24-stündige Vorhersage inzwischen bei 98 Prozent. In seinem Institut verarbeitet Böttcher dazu die Daten von etlichen staatlichen Wetterdiensten, aber auch von eigenen Stationen in Hamburg und einem Regenradar, das 60 Kilometer weit in die Region schauen kann. Das alles wird kombiniert mit Computermodellen zu Vorhersagen, die selbst zu Stadtteilen Aussagen machen. Die manchmal unterschiedliche Verteilung von Regen oder Schnee habe aber kaum etwas mit regionalen Wettergrenzen zu tun, sondern mit großräumigen Luftströmungen und Zufällen. "Wettergrenzen wie A 7, Elbe oder Alster sind Mythos - dafür ist Hamburg zu flach und die Gewässer zu klein", sagt Böttcher.

Etwas anderes seien großräumige Grenzen, sagt Böttcher und deutet wieder auf einen der Bildschirme. Über Norddeutschland kreisen dort Wolken, die Nordsee scheint nahezu klar. "Über dem Wasser ist es im Frühjahr oft zu kalt für die Wolkenbildung", sagt er. Wenn man nun die Küstenlinie weiterdenke, quer durch das südliche Schleswig-Holstein ergebe sich auch dort eine - allerdings bewegliche - Wettergrenze mit der Folge, dass es an der Ostsee sonniger ist. Kurz flammt die Erinnerung auf: Ach Sonne, wann bist du wieder da?

Böttcher macht wenig Hoffung, als er wieder auf die bunten Kästchen deutet: Ein neues Tief ist zu erkennen, "Christoffer". Und das könnte wie "Bob" um den Kaltluftberg kreisen - und wieder Regen bringen. Viel Regen.