Sie sind traurig, verzweifelt - die Depression ist das häufigste psychische Leiden bei Kindern. Helfen können Psychotherapien.
Der kleine Hans*, 8, hat eine schlimme Zeit hinter sich. Er war oft traurig, manchmal auch verzweifelt und wütend. In der Schule konnte er sich nicht mehr richtig konzentrieren. Seine Leistungen wurden immer schlechter. Besorgt ging seine alleinerziehende Mutter schließlich mit ihm zum Kinder- und Jugendpsychiater. Auch im Gespräch mit dem Arzt machte der Junge einen tieftraurigen Eindruck, legte seinen Kopf auf die Tischplatte und stöhnte. Schon nach kurzer Zeit war klar, was dem kleinen Jungen so zu schaffen machte: Er wünschte sich ganz dringend, dass seine Eltern nicht mehr so schlecht übereinander reden. Sie hatten sich zwar schon vor Jahren getrennt, konnten sich aber nicht über die Erziehung ihres Sohnes einig werden und gerieten oft in Streit. Hans war darüber so unglücklich, dass er eine Depression bekam.
Diese Erkrankung ist die häufigste psychische Störung bei Kindern und je älter die Kinder sind, desto höher ist die Zahl der Betroffenen. Bis zum Schulalter liegt die Häufigkeit unter einem Prozent, von den Grundschülern leiden bis zu zwei Prozent daran und von den Jugendlichen acht Prozent.
Die Kinder sind niedergeschlagen, können sich an nichts freuen. "Bei kleinen Kindern oder sogar Säuglingen kann sich die Depression durch Apathie äußern oder durch jammerndes, weinerliches, anklammerndes Verhalten. Je jünger die Kinder sind, umso schwerer sind Angst und Depressivität zu trennen und desto weniger durchgängig sind depressive Symptome. "Ein depressives Kleinkind kann sehr apathisch sein und im nächsten Moment fröhlich spielen", erklärt Prof. Michael Schulte-Markwort, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Eppendorf. "Je älter die Kinder sind, umso durchgängiger und eindeutiger wird die Depression." Jugendliche beschreiben ähnliche Symptome wie erwachsene Depressive: Sie sind niedergeschlagen, fühlen sich schlecht und antriebslos, leiden unter Appetitlosigkeit und Schlafstörungen und können sich in der Schule nur schlecht konzentrieren. Hinzukommen können Suizidgedanken - auch bei Kindern: "Wir haben schon Achtjährige, die sagen: ,Mama, das Leben macht keinen Spaß, ich will nicht mehr leben'", erzählt der Kinderpsychiater.
Frühzeitiges Erkennen der Symptome kann den Kindern viel Leid ersparen. Deswegen sollten Eltern auf Warnsignale einer Depression achten, etwa wenn Kinder beginnen, schwarze Bilder zu malen, wenn sie sich zurückziehen, weinerlich und ängstlich werden, immer nur Misserfolge erwarten oder in ihren Schulleistungen plötzlich nachlassen. "Dann sollten Eltern sich nicht scheuen, einen Facharzt aufzusuchen", rät Schulte-Markwort. Depressive Kinder brauchen besonders viel Verständnis und Einfühlungsvermögen: "Eltern sollten den Kindern gegenüber aufmerksam sein und ihnen keine Vorwürfe machen. Sätze wie 'Stell dich nicht so an' sind bei Depressionen verboten", sagt der Kinderpsychiater.
Auf der Suche nach den Ursachen gehen Ärzte von einer erhöhten Verletzlichkeit dieser Kinder und Jugendlichen aus. "Das ist unter Umständen schon vor der Geburt angelegt, genetisch oder durch Stress der Mutter, der zu hohen Spiegeln des Stresshormons Cortisol führt", sagt Schulte-Markwort. Diese Anlage kann so stark sein, dass sie bereits allein zur Depression führt. Ist sie weniger ausgeprägt, müssen noch weitere Stressoren hinzukommen, wie zum Beispiel der Verlust eines nahen Menschen, damit es zu einer Depression kommt. Unterschieden wird auch zwischen zwei Formen der Depression: der sogenannten endogenen schwereren Form, die unabhängig von äußeren Faktoren auftritt, und der depressiven Reaktion auf belastende Erlebnisse. "Typisch für die endogene Form sind ein Stimmungstief am Morgen, ein Stimmungshoch am Abend und Durchschlafstörungen. Bei der reaktiven Depression ist die Stimmung morgens am besten und abends am schlechtesten, und es kommt eher zu Einschlafstörungen", sagt Schulte-Markwort.
So ist die Geschichte des kleinen Hans ein typisches Beispiel für eine reaktive Depression. "In Gesprächen mit den Eltern konnten wir erreichen, dass sich die Kommunikation zwischen ihnen verbesserte", sagt der Kinderpsychiater. Das hatte zur Folge, dass es auch Hans langsam wieder besserging. Nach einem halben Jahr konnte er in der Schule wieder besser aufpassen und war auch nicht mehr so depressiv wie beim ersten Gespräch mit dem Arzt.
Sarah* hingegen hat eine endogene Depression. Ihre Mutter ging mit ihr das erste Mal zum Kinder- und Jugendpsychiater, als sie 16 Jahre alt war. Damals hatte sie bereits seit drei bis vier Jahren zunehmende Symptome einer Depression, anfangs auch mit dem sogenannten Winterblues - schlechter Stimmung insbesondere von November bis Februar. Mit 16 ging es Sarah dann immer schlechter. Sie war antriebslos, weinte ständig und sah die ganze Welt durch eine düstere Brille. So war sie davon überzeugt, dass sie das Abitur nicht schaffen werde, dass sie hässlich und dumm sei. Sie zeigte auch den typischen Tagesrhythmus einer endogenen Depression: Ihre Stimmung war morgens am schlechtesten und besserte sich im Laufe des Tages; sie konnte schlecht durchschlafen und wachte morgens früh auf.
Behandelt wurde Sarah mit einem Antidepressivum aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). "Solche modernen Antidepressiva sind bei schweren Formen der Depression nötig und können an Jugendliche ab 14 Jahre verschrieben werden. Ansonsten ist eine Psychotherapie die Methode der Wahl", sagt Schulte-Markwort. Sie kann tiefenpsychologisch, verhaltens- oder familientherapeutisch ausgerichtet sein. Bei jüngeren Kindern wird auch eine Spieltherapie eingesetzt. Ebenfalls hilfreich ist eine tiergestützte Therapie.
Sarah ging es durch die Medikamente nach sechs Wochen deutlich besser. Zusätzlich wurde sie auch psychotherapeutisch behandelt. Inzwischen hat sie ihr Abitur bestanden und studiert. Zwar muss sie immer noch Medikamente nehmen, kann damit aber ein normales Leben führen.
* Namen von der Redaktion geändert