Bunt wie eine Öko-Wiese und auf dem Weg zum Zentrum Europas
Autobahn-umschlungen, fest umklammert von den Pisten, auf denen Menschen und Waren mit Tempo 180 und mehr zur Ostsee und nach Skandinavien rasen. Doch zwischen A 1 (südlich der Grenze) und A 7 im Westen des Kreises liegt eine Idylle mit Wäldern und Wiesen, Feldern und Seen, Dörfern, Gutshöfen, Kirchspielen und Kleinstädten.
Bunt ist dieses Land wie eine Öko-Wiese, mit gelben Raps- und lila Büschelschönfeldern, blauen Seen und grünen Knicks zwischen den Feldern. Einst rauften sich Ritter und Räuber um Burgen und Bauerndörfer, prügelten sich Dänen und Preußen, Sachsen und Slawen um die Macht zwischen Alster und Trave.
Nachdem die Preußen sich Schleswig-Holstein einverleibt hatten, wurde am 22. September 1867 der Kreis Segeberg gebildet. Als Urheber der Segeberger Kreisverwaltung gilt Landrat Peter Friedrich von Willemoes-Suhm (1816 bis 1891), der auch das Kreishaus an der Hamburger Straße 30 baute, ein historisches Kleinod in Bad Segeberg wie das Heimatmuseum an der Lübecker Straße, ein schiefes Fachwerkhaus von 1606.
Aus vier mach eins
Als sich am 1. Januar 1970 Norderstedt aus den Dörfern Glashütte, Harksheide (beide Kreis Stormarn) sowie Garstedt und Friedrichsgabe (beide Kreis Pinneberg) bildete, zog die frisch gegründete Stadt bei einer Gebietsreform in den Kreis Segeberg ein. Die Sorge der Kurstädter, dass diese rasant wachsende Kommune (Norderstedt) mit heute fast 75.000 Einwohnern die 41 Kilometer entfernt liegende Kreisstadt (Bad Segeberg) mit 15.770 Einwohnern dominieren könnte, hält sich hartnäckig. "Wir werden immer noch kritisch vom Kreis beäugt, weil der Löwenanteil der Kreisumlage von uns kommt", sagt Norderstedts Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote. Doch für Norderstedt sei es wichtig, einen starken Kreis zu haben. Kreis und Stadt böten eine ideale Kombination von Arbeit, Wohnen, Freizeit.
Der attraktive landwirtschaftliche Raum, die Ferien- und Freizeitangebote und das medizinische Know-how der Segeberger Kliniken seien Pfunde, mit denen der Kreis wuchern könne. Grote, der aus der Landesgartenschau 2011 in Norderstedt einen attraktiven Stadtpark mit Wasserski-Anlage entwickeln ließ, ist auch in seiner Freizeit im Kreis unterwegs. Mit dem Fahrrad.
"Wir fahren auf der alten Bahntrasse von Henstedt-Ulzburg bis Bad Oldesloe, eine wunderbare Strecke." Bedenken äußert Norderstedts Verwaltungschef gegenüber der Gewerbepark-Manie: "Jede Gemeinde baut ihr Gewerbegebiet, doch an manchen Orten leuchten dort nur Straßenlaternen." Das zerstöre die Weitläufigkeit des Naturraums.
Norderstedts Stadtchef könnte auch eine andere Richtung einschlagen. Und den Mönchsweg erkunden. Der 340 Kilometer lange Radfernweg führt von Glückstadt nach Fehmarn und somit von Mönkloh bei Hasenmoor an der A 7 über Bad Bramstedt bis zum Kirschenhof Stocksee durch den Kreis. Ein Ruhepol ist die Waldkapelle Mönkloh mit einem Buntglasfenster des Itzstedter Künstlers Uwe Fossemer. Jedes Jahr zum 3. Oktober lädt Waldkapellen-Bauer Hans-Jürgen Freese zum ökumenischen Gottesdienst in die Waldkapelle.
Abenteuerland für Radwanderer
Ohnehin ist der Kreis ein Abenteuerland für Radwanderer. Die Seen-Tour startet beispielsweise in Bad Segeberg am Ihlsee und führt auf einer ehemaligen Kleinbahn-Trasse über Klein Rönnau, Blunk, Warder See, Quaal durch zauberhafte Dörfer. Unterwegs locken malerische Gärten mit Cafés wie zum Beispiel das Café Ehrgarten mit seinen sensationellen Torten oder das Landhaus Schulze-Hamann in Blunk mit schleswig-holsteinischen Spezialitäten. Wer im Café Ehrgarten schlemmt, könnte Segebergs Landrätin Jutta Hartwieg treffen. "Ehrgarten ist einer meiner Lieblingsorte", sagt Hartwieg. Ein anderer Lieblingsort ist Pronstorf mit dem Gut, das Hans-Caspar und Antje Graf und Gräfin zu Rantzau zu einem Treffpunkt für Kunst und Kultur, Golf und Reiten ausgebaut haben. Das Herrenhaus zählt zu Schleswig-Holsteins Hauptwerken des Barock, im Kuhstall erklingen Konzerte des Schleswig-Holstein Musik Festivals.
Für die Landrätin hat der Kreis eine "wirtschaftlich unglaublich gute Lage". Wenn die A 20 und die Querung Fehmarnbelt fertig gebaut sein sollten, läge der Kreis verkehrstechnisch im Zentrum Europas. Leider müsse man für die A 20 "die eine oder andere Naturschönheit opfern". Das sei ein hoher Preis, doch der Kreis bliebe auch mit der A 20 die grüne Lunge Holsteins mit der A 7 als Arbeitsplatz-Region. Mitten in der grünen Lunge, in der Segeberger Heide mit dem Osterau-Tal am Segeberger Forst, liegt nicht nur der Wildpark Eekholt mit Wildtieren aller Art, sondern auch Heidmühlen mit dem Gasthof Klint. Der Krug beherbergt die einzige denkmalgeschützte Bühne Schleswig-Holsteins.
Batman-Fans sollten die Flugtiere in den Kalkberghöhlen in Bad Segeberg besuchen. Das Fledermaus-Zentrum Noctalis mit mehr als 20.000 Flughunden ist auch Partner medizinischer Forschung für Infektionen. Dass ihnen ab und zu blaue Bohnen aus rauchenden Colts um die Ohren fliegen, scheint die lichtscheuen Gesellen kaum zu stören. Immer im Juni steigt in der Kalkberg-Arena das Karl-May-Spektakel mit Winnetou und Old Shatterhand.
Jung und aktiv - die Jüdische Gemeinde
Zeitgleich verwandelt sich der Kreis in eine klingende Landschaft mit dem Schleswig-Holstein Musik Festival. Die Segeberger Marienkirche, Gut Pronstorf neben Bad Segeberg und Norderstedts "TriBühne" sind regelmäßig Festspielorte. Norderstedt hofft, mit dem Kulturwerk am See einen weiteren Festspielort ins Programm zu bringen. Das Kulturwerk entstand aus dem Kalksandsteinwerk Potenberg, wurde im März 2012 eingeweiht und gilt jetzt schon als "angesagte Location". Mittlerweile geht die Kreisstadt, die ab 1933 nicht schnell genug "judenfrei" werden konnte, auch mit dem schwärzesten Teil ihrer Geschichte ehrlich um. Der Standort der alten Synagoge an der Lübecker Straße, von den Nazis geschändet und 1962 abgerissen, ist ein Mahnmal. Stolpersteine erinnern an Segeberger Juden, die in KZs ermordet wurden. Die Stadt hat wieder eine aktive jüdische Gemeinde, die ein neues Gemeindezentrum gebaut hat, die Synagoge Mishkan Ha'Zafon. Das Zentrum ist auch Sitz des Jüdischen Landesverbandes Schleswig-Holstein.
Die Serie als Buch: jetzt im Handel, unter www.abendblatt.de/shop oder Telefon 040/347-265 66 erhältlich