Vor 40 Jahren wurde das Mobile Einsatzkommando gegründet. Heute ist jede zehnte Stelle dieser Spezialeinheit mit einer Frau besetzt.
Hamburg. "Nach uns kommt niemand mehr, wir müssen es zu Ende bringen." Dieser Satz hinterlässt Eindruck. Ähnlich wie die Blendgranate, die Augenblicke zuvor auf dem Gelände der Landespolizeischule explodiert war, während ein halbes Dutzend Beamte des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) einen Linienbus stürmte, die Maschinenpistolen im Anschlag. Ausbildungsleiter Holger Timm versteht den Satz nicht als Drohung. Es ist eine Feststellung.
Was er damit meint, ist angesichts der martialischen Ausrüstung seiner Kollegen von Pumpgun über Revolver bis zur Ramme und dem Hubschrauber, von dem sie sich abseilen, schnell klar: Geiseln befreien, potenzielle Amokläufer stoppen, Anschläge verhindern. Das MEK komme oft dann zum Einsatz, "wenn die Zeichen bereits gegen die Polizei stehen", sagt ein Beamter. Es ist das letzte Mittel, seit fast 40 Jahren.
Mit der Gründung dieser Spezialeinheit am 6. November 1972 reagierte die Hansestadt wie andere Bundesländer auch auf die angespannte Sicherheitslage Anfang der 70er-Jahre, ausgelöst durch das zunehmend terroristische Wirken der ersten RAF-Generation und durch den Anschlag arabischer Terroristen auf Israels Olympiamannschaft in München im September desselben Jahres. Ein Zug Präzisionsschützen der Bereitschaftspolizei bildete den Anfang der Spezialeinheit, die in den vergangenen Jahrzehnten an fast allen spektakulären Einsätzen beteiligt war.
Sie bereitete die Festnahme des Karstadt-Erpressers und Bombenlegers Arno Funke alias Dagobert vor, der im April 1994 im Norden Berlins gestellt wurde. Sie observierten während der Entführung von Jan Philipp Reemtsma, der 1996 erst nach 33 Tagen gegen ein Lösegeld von damals 30 Millionen Mark freigelassen wurde. Im Mai 2009 nahmen sie den überaus gewalttätigen und skrupellosen Bankräuber und Erpresser Thomas Wolf nach neun Jahren Flucht auf der Reeperbahn fest.
Ihre Feuertaufe bestand das MEK, dem heute eigenen Angaben zufolge eine dreistellige Zahl an Beamten angehören, am 18. April 1974. Nach einem Überfall auf eine Commerzbank-Filiale am Steindamm wurden ein Polizist getötet und ein weiterer verletzt. Das MEK erschoss den Täter, der eine Frau als Geisel genommen hatte - es war der erste finale Rettungsschuss, der in der Bundesrepublik je freigegeben wurde.
Etwa 100 Einsätze absolviert das MEK pro Jahr, unter strengster Geheimhaltung. Einsätze, wie sie exemplarisch gestern auf einem Übungsplatz nahe dem Polizeipräsidium in Winterhude gezeigt wurden: Ein psychisch kranker Mann, gespielt von einem Kollegen und bewaffnet mit einer Langaxt, hat einen Linienbus gekapert. Die Beamten stoppen ihn, bevor er Schlimmeres anrichten kann. Immerhin: Eine Fensterscheibe kann er zerschlagen, bevor er zu Boden geht.
Doch solche Zugriffe bilden nur einen Teil der Arbeit ab: Die meiste Zeit nehme das Beschatten von Schwerverbrechern in Anspruch, sagt Dienststellenleiter Joachim Ferk. Der 48-Jährige ist seit sechs Jahren Chef des MEK. Seine Einheit vereine die Arbeit eines Spezialeinsatzkommandos mit Präzisionsschützen- und Observationseinsätzen - und sei damit bundesweit einzigartig. In anderen Bundesländern würden diese Aufgaben von den dortigen SEK (Spezialeinsatzkommandos) und MEK getrennt wahrgenommen.
Wer beim Hamburger MEK dabei sein will, muss mit Extremsituationen rechnen: Er agiert an vorderster Front. Die physische und psychische Belastung ist sehr hoch. Bewerber - mittlerweile ist jede zehnte Stelle beim MEK mit einer Frau besetzt - haben eine harten Auswähltest zu überstehen, sagt Ausbilder Holger Timm.
In dem vierstufigen Verfahren müssen sie nicht nur ihre körperliche Fitness (allein die Einsatzmontur bringt 20 Kilogramm auf die Waage), ihre Merkfähigkeit und ihre Zielgenauigkeit unter Beweis stellen. Sie müssen psychisch belastbar und vor allem teamfähig sein. "Das ist das A und O", sagt Timm, "Wir wollen keine Rambos, wir wollen keine Einzelgänger."
Die meisten Bewerber kommen aus der Bereitschafts- und der Kriminalpolizei. Einzige Voraussetzung: Sie müssen bereits zwei Jahre als Polizist gearbeitet haben. Die Ausbildung dauert bis zu zwei Jahre, je nach Spezialisierung. Danach können die Beamten bleiben, solange sie den Anforderungen genügen, die alljährlich abgefragt werden. "Es gibt keine Altersgrenzen", sagt Timm. Er macht es vor: Der 56-Jährige, der gestern als einziger MEK-Beamter unmaskiert auftrat, hat 23 Jahre Sondereinsatz-Erfahrung.
"Unsere Philosophie ist nach 40 Jahren noch immer die gleiche", sagt MEK-Chef Joachim Ferk. Allein die Ziele änderten sich. Einer der Schwerpunkte heute: die mit der Ausbreitung von Rockerbanden verbundene organisierte Kriminalität. "Das war viele Jahre kein Thema."