Unisex-Urteil: Zum Ende des Jahres dürfen Versicherungen bei ihren Tarifen nicht mehr zwischen Frauen und Männern unterscheiden.
Hamburg. Die Versicherer hoffen auf ein gutes Geschäft im letzten Quartal. Endlich kann mal wieder so etwas wie Schlussverkaufsstimmung aufkommen, weil fast die gesamte Versicherungswelt wegen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) neu kalkuliert werden muss. Das verändert für Neuabschlüsse die Beiträge für viele Policen. Je nach Versicherungsart müssen Männer oder Frauen mehr bezahlen. Künftig steigende Versicherungsprämien können jetzt gut als Verkaufsargument genutzt werden.
Wegen der vom EuGH verlangten einheitlichen Beiträge für Frauen und Männer können sich Tarife vom 21. Dezember 2012 an um bis zu 100 Prozent verteuern. Bisher war das Geschlecht ein wesentliches Merkmal für die Kalkulation. Beispiele: Frauen fahren umsichtiger und verursachen weniger Unfälle. Deshalb zahlen sie in der Kfz-Haftpflichtversicherungen zum Teil deutlich weniger als Männer. Männer sterben fünf Jahre früher als Frauen. Da sie also weniger Rente beziehen als Frauen sind ihre Beiträge in der privaten Rentenversicherung geringer. Frauen müssen mehr zahlen.
Mit solchen Unterschieden ist es bald vorbei. Der EuGH sieht in geschlechtsspezifischen Tarifen den im EU-Recht verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt. Versicherer dürfen deshalb nur noch Einheitstarife oder wie es im Fachjargon heißt Unisex-Tarife für Männer und Frauen anbieten. Einziger Trost: Bestehende Verträge werden nicht angetastet.
Aus den staatlich verordneten Einheitstarifen versuchen die Versicherer, jetzt das Beste zu machen. "Männer, wollt Ihr wirklich die Gleichberechtigung?", fragen die Bayerischen Beamten Versicherungen auf ihrer Internetseite und raten zum schnellen Abschluss von Berufsunfähigkeits-, Renten- und Krankenzusatzversicherungen, weil die sich für Männer verteuern. Der Volkswohl Bund gibt seinen Vermittlern und Maklern ein Rechenwerkzeug an die Hand. Eine 25-jährige Frau, die jetzt noch eine Unfallversicherung über 200 000 Euro abschließt, spart über die Laufzeit bis zum 60. Lebensjahr rund 8500 Euro an Beiträgen.
+++ Das Unisex-Urteil und seine Folgen +++
"Von solchen Verkaufsargumenten darf man sich nicht blenden lassen", sagt Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten. "Nur wenn wirklich ein Versicherungsbedarf besteht, kann es sinnvoll sein, noch bestehende Preisvorteile für das eine oder andere Geschlecht zu nutzen."
Am teuersten wird für Frauen, die nicht im Büro arbeiten, die Unfallversicherung. Hier kann sich der Beitrag verdoppeln. Das liegt nicht nur am Unisex-Tarif. "Unabhängig von ihrer ausgeübten Tätigkeit gehörten Frauen in der Unfallversicherung bisher immer in die günstigere Gefahrengruppe A", sagt Simone Szydlak vom Volkswohl Bund. Dieser Vorteil falle mit den Unisex-Tarifen weg. "Frauen mit risikoreichen Berufen wie Bäckerin, Stewardess oder Polizistin kommen künftig in die Gefahrengruppe B und müssen deutlich höhere Beiträge zahlen", sagt Szydlak.
Auch die Risikolebensversicherung wird für Frauen künftig um bis zu 25 Prozent teurer. Männer müssen mit höheren Beiträgen in der Privaten Krankenversicherung, Krankenzusatzversicherungen oder der Berufsunfähigkeitsversicherung rechnen. Auch die Absicherung des Pflegerisikos im Alter wird bei einer Pflegerente, aber auch beim Pflegetagegeld deutlich teurer. Die Versicherer drängen ihre männlichen Kunden aber vor allem zum Abschluss von privaten Rentenversicherungen, denn hier werden Männer künftig benachteiligt. "Frauen beziehen im Schnitt 5,2 Jahre länger Rente", sagt Manfred Poweleit, Herausgeber des Branchendiensts "map-Report". "Wenn man von einer monatlichen Auszahlung von 300 Euro ausgeht, so ergibt sich für Frauen ein Vorteil von insgesamt 18 600 Euro", so der Experte. Männer müssen künftig mit geringeren Auszahlungen rechnen oder sie müssen höhere Beiträge entrichten um eine genauso hohe Rente wie bisher zu bekommen.
"Ein Abschluss jetzt kann also sinnvoll sein, wenn man ein solches Produkt für die Altersvorsorge nutzen will", sagt Rudnik. Es liege auf der Hand, jetzt noch Preisvorteile zu nutzen. Anders sieht es aus, wenn sich die Preisvorteile erst nach dem 21. Dezember ergeben.
+++ Unisex-Tarife: Gleich vor dem Versicherer +++
"Einen bereits jetzt erkannten Versicherungsbedarf zu verschieben, nur weil in einigen Monaten ein Preisvorteil lockt, das ist verantwortungslos", sagt Rudnik. "Wenn die Absicherung notwendig ist, darf man sie wegen erhoffter Preisvorteile nicht aufschieben." Das gilt besonders für existenzielle Absicherungen wie die Risikolebensversicherung (wird für Männer günstiger) oder die Berufsunfähigkeitsversicherung (wird für Frauen günstiger). "In einigen Wochen oder Monaten kann das zu versichernde Ereignis schon eingetreten sein, oder man ist ein Jahr älter geworden, was die Prämie ebenso verteuert wie eine Erkrankung, die zwischenzeitlich aufgetreten ist", sagt Rudnik.
Diese Lücke haben einige Versicherer bereits erkannt. So wirbt zum Beispiel der Volkswohl Bund mit einer automatischen Günstigerprüfung von Berufsunfähigkeits- und Rentenversicherungen für Frauen, die jetzt abgeschlossen werden. Sie werden dann auf die besseren Unisex-Leistungen umgestellt. Auch CosmosDirekt, Marktführer bei Risikolebensversicherungen, bietet bereits entsprechende Policen für Männer auf dem niedrigeren Unisex-Tarifniveau an. Die Gothaer hat eine Wechseloption für neu geschlossene Verträge bei der Lebensversicherung. "Das darf aber nicht dazu führen, der Versicherung blind zu vertrauen", sagt Edda Castelló von der Verbraucherzentrale Hamburg. Entscheidend seien die Bedingungen und Leistungen und auch der Preis. Gerade bei der Risikolebens- und der Unfallversicherung gibt es große Preisunterschiede. "Der teuerste Anbieter ist dreimal so teuer wie der günstigste", sagt Rudnik.
Verbraucherschützer fürchten, dass das Prämienniveau mit der Umstellung auf Unisex generell steigt. Denn die Versicherer kalkulieren in die neuen Tarife einen Sicherheitszuschlag ein, weil sie nicht ihre künftige Zusammensetzung der Kunden kennen. Die Verbraucherschützer fürchten, dass die Versicherer auf diesem Weg ihre Margen aufbessern werden. Experte Rudnik erwartet aber, dass der Wettbewerb trotz gestiegener Kalkulationsrisiken auch nach dem 21. Dezember gut funktionieren wird. Mancher Tarif, den eine Assekuranz derzeit mit hohen Zuschlägen kalkuliert, dürfte sich am Markt letztlich nicht behaupten. Und nur weil Unisex droht, sollte niemand eine Police abschließen.