Europas größter Medienkonzern plant Übernahme-Coup. Hamburger Verlegerfamilie soll dafür Anteile aus Gütersloh erhalten.
Hamburg. Wer gestern am frühen Nachmittag in der Pressestelle von Bertelsmann anrief, um sich zu erkundigen, ob denn die Meldung des "Manager Magazins" stimme, dass der Gütersloher Medienkonzern den Hamburger Verlag Gruner+Jahr ("Stern", "Geo") komplett übernehmen wolle, bekam von einem Unternehmenssprecher folgenden Satz zu hören: "Bertelsmann und die Jahr-Holding als Gesellschafter von Gruner+Jahr befinden sich aktuell in Gesprächen über die Lage und weitere Ausrichtung von Gruner+Jahr."
+++ Bekenntnis zum Standort +++
Ein Dementi klingt anders. Wenn die Lage des Zeitschriftenhauses es erfordert, dass die Gesellschafter über dessen "weitere Ausrichtung" sprechen, muss die Situation schon ziemlich ernst sein. Laut "Manager Magazin" ist sie das auch: Innerhalb von zehn Jahren sei der Wert des Verlags von 3,5 Milliarden auf 2,5 Milliarden Euro gefallen. "Bertelsmann verliert Vermögen wie durch ein leckes Brunnenrohr", schreibt das Blatt. Der Bertelsmann-Vorstandsvorsitzende Thomas Rabe wolle den Wertverlust nicht länger hinnehmen. Ihm stehe "der Sinn nach Durchgriff und Kontrolle".
Noch hemmt die Hamburger Verlegerfamilie Jahr Rabes Tatendrang. Sie hält 25,1 Prozent der Anteile und verfügt damit über eine Sperrminorität. Offenbar will der Bertelsmann-Chef den Clan dazu bewegen, seine Beteiligung gegen einen Bertelsmann-Anteil zu tauschen. Laut "Manager Magazin" gefällt den Jahrs Rabes Vorschlag, so denn ihr künftiger Anteil an dem Medienkonzern bei mindestens fünf Prozent liege. Womöglich könnten die Verhandlungen schon Ende Oktober abgeschlossen werden.
Der Ausstieg der Jahrs würde für Gruner+Jahr eine Zäsur bedeuten. John Jahr senior hatte den Verlag 1965 gemeinsam mit Gerd Bucerius und dem Druckereibesitzer Richard Gruner in Hamburg gegründet. Gruner stieg bereits 1969 wieder aus und Bertelsmann nach Übernahme eines 25-Prozent-Anteils ein. Durch weitere Zukäufe stieg der Anteil des Medienkonzerns bis 1976 auf 74,9 Prozent.
Von den Gründerfamilien sind seither nur noch die Jahrs im Gesellschafterkreis vertreten. Insbesondere John Jahrs Tochter Angelika prägt als Vorstandsmitglied sowie als Chefredakteurin von "Schöner Wohnen" und "Essen & Trinken" Gruner+Jahr über Jahrzehnte. Noch heute sitzt die 70-Jährige im Aufsichtsrat des Verlages. Als sie sich 2008 aus dem operativen Geschäft zurückzog, fürchteten nicht wenige Mitarbeiter bereits eine Zeitenwende heraufziehen. Denn in der Generation ihrer Kinder fand sich niemand, der die Neigung hatte, sich bei Gruner+Jahr verlegerisch zu engagieren. Dies dürfte auch der Grund sein, warum die Patriarchin nun bereit ist, den Familienanteil an dem Verlag gegen eine Bertelsmann-Beteiligung einzutauschen, die nicht mehr ist als ein finanzielles Investment. Gestaltungsspielräume werden die Jahrs bei Bertelsmann jedenfalls nicht haben.
+++ Gruner + Jahr: Mehr Umsatz, aber weniger Gewinn +++
Im Umfeld von Gruner+Jahr-Chef Bernd Buchholz wurde der "Manager Magazin"-Bericht mit einer Mischung aus Resignation und Wut zur Kenntnis genommen. Buchholz wird in dem Stück als Hauptverantwortlicher für die angeblich schwierige Lage des Verlags hingestellt. "Das ist eine Hinrichtung erster Klasse", sagt ein Buchholz-Vertrauter. "Wenn ich das lese, kommt mir die Galle hoch." Für den Wertverlust von Gruner+Jahr sei nicht Buchholz verantwortlich. Schuld seien die Gesellschafter, die jahrelang Gewinne entnommen hätten, statt in das Unternehmen zu investieren.
Dennoch dürften Buchholz' Tage bei Gruner+Jahr gezählt sein. Sein Verhältnis zu Rabe gilt als zerrüttet. Was konkret Bertelsmann mit Gruner+Jahr vorhat, ist unklar. Tabus gibt es wohl keine. Wenn nichts mehr helfe, schreibt das "Manager Magazin", käme auch ein "Verkauf oder eine Spaltung der Zeitschriftensparte" in Frage.