Immer mehr Rentner müssen Mini-Jobs annehmen, weil ihre Rente nicht zum Leben reicht - eine dramatische Entwicklung.

Hamburg. Die Zahlen sind alarmierend: Immer mehr Rentner müssen einen Mini-Job annehmen, weil ihre Rente nicht zum Leben reicht. Allein in Hamburg jobben mittlerweile 17.200 Menschen, die über 65 Jahre alt sind – 2003 waren es noch 12.500. Das ist ein Anstieg um rund 37 Prozent. Die Gewerkschaften sprechen von einer erschreckenden Entwicklung.

„Wer als Rentner arbeitet, macht das in der Regel nicht aus Spaß. Es ist die pure Not, die ältere Menschen dazu zwingt“, sagt Lutz Tillack, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Hamburg. So, wie er, vermutet auch Ver.di Hamburg-Chef Wolfgang Rose, dass die Zahl zukünftig noch drastischer steigen wird: „Wir müssen davon ausgehen, dass die Altersarmut zu einem Massenphänomen wird.“

Gerda Schildt ist arm. Die gelernte Sprechstundenhilfe wurde mit Mitte 30 Hausfrau, erst nach ihrer Scheidung, mit Anfang 50, begann sie als Kellnerin wieder zu arbeiten. Ihr Rentenanspruch liegt bei lediglich 226 Euro. Trotz ihrer 74 Jahre arbeitet die Bramfelderin an zwei bis drei Tagen pro Woche in einer Wäscherei. 400 bis 600 Euro verdient sie so monatlich dazu. „Es ist traurig, dass ich von meiner Rente nicht leben kann“, sagt sie.

Ein Schicksal, das alleinstehende Seniorinnen, die eine Familienpause eingelegt hatten, besonders betrifft.

Aber auch Horst Konradt aus Bahrenfeld. Der 71-Jährige fährt immer noch Taxi – Vollzeit, 50 Stunden die Woche. „Die knapp 600 Euro Rente reichen hinten und vorne nicht“, sagt er. Deshalb arbeitet er einfach weiter, für 1200 bis 1500 Euro im Monat. „Ich könnte auch zum Sozialamt gehen“, sagt Konradt. „Aber das will ich nicht.“

Viele Rentner denken so. Sie gehen lieber zu privaten Nebenjob-Agenturen, wie der von Marion Schmitz. „Ich kann gar nicht mehr zählen, wie viele Senioren ich seit der Eröffnung meiner Agentur vermittelt habe“, sagt sie. „Der Markt ist definitiv da.“ Ihre älteren Kunden vermittelt sie vor allem in Ablesejobs, Fahrtätigkeiten oder leichte Gartenarbeit.

Doch es gibt auch zahlreiche Rentner, die ihrem bisherigen, anstrengenden Job weiter nachgehen – und dabei nicht mehr so fit sind, wie Gerda Schildt und Horst Konradt. Sie arbeiten am körperlichen Limit. NGG-Geschäftsführer Tillack kennt viele dieser Angestellten, die ihr Leben lang in Fischverarbeitungsbetrieben, Restaurants und Fleischereien geschuftet haben. Die aber trotz Tariflohns nur 800 Euro Rente bekommen, zum Weitermachen regelrecht gezwungen sind. Tillack: „Eine beschämende Situation.“

Auch für die betroffenen Rentner. Heinz Dreyer, stellvertretender Vorsitzender des Landes-Seniorenbeirates Hamburg, weiß, wie unangenehm vielen ihre Situation ist. „Sie mögen sich kaum offenbaren“, sagt er. Dabei sei die private Vorsorge durch den großen Niedriglohnsektor enorm schwierig. Dreyer: „Viele stornieren sogar ihre Riester-Verträge, weil sie einfach nicht mehr zahlen können.“

Die Gewerkschaften fordern deshalb erneut, einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro einzuführen und diesen binnen kurzer Zeit auf neun Euro anzuheben. „Die Dumpinglöhne sind das größte Problem“, sagt Lutz Tillack. Mit einem viel zu niedrigen Einkommen lasse sich keine ausreichende Rente aufbauen. So werde die Lohnarmut von heute die Altersarmut von morgen.