5000 Schwule und Lesben feierten in der City. Vor 40 Jahren begann in New York der Kampf gegen Diskriminierung.
Hamburg. Er hält sich bedeckt. In der Kleiderfrage. Trägt, ganz Hanseat, hellrotes Polohemd zur hellblauen Jeans, während Kunstfigur Tatjana Taft als fleischgewordenes pink-violettes Bonbon vorbeistöckelt und ein paar Meter weiter ein Mann im Latexanzug den ganz unteren Teil des Rückens freilegt. Traditionell gehe es bunt zu beim Christopher Street Day, sagt Jürgen Nissen (80), der Mann im Polohemd. Viel Show gehöre dazu. "Aber die politische Botschaft und der friedliche Kampf um Gleichberechtigung stehen für mich immer noch an erster Stelle." Da ist er ganz offen, in dieser Frage.
An der Langen Reihe, Ecke Schmilinskystraße, warten gegen 12 Uhr am Sonnabend Sebastian Plötzer (21) und Kai Kramer (22). Darauf, dass sich die Parade in Bewegung setzt. Sie wippen im Takt, während Marianne Rosenberg aus den Boxen dröhnt "Er gehört zu mir." Die Freunde wollen sich treiben lassen. Dahin, wo die Musik am besten ist. Abends gehe es vielleicht zur offiziellen Abschlussfeier ins Edelfettwerk nach Eidelstedt, nachmittags vielleicht zum Shopping auf die Mö. "Die Stimmung ist einmalig, das ist eine Riesenparty." Ein echtes Event , für das sich die Anreise aus Hannover (Sebastian) und dem kleinen Ort bei Osnabrück (Kai) auf jeden Fall lohne.
Der Christopher Street Day sei beides, politische Demonstration und ein Feiertag im besten Sinn, sagt Wiebke Hoffmann (36) aus Uelzen. Sie verstummt für einen kurzen Moment, weil sie plötzlich feststellen darf, dass der "King of Pop" noch lebt. Ein Michael-Jackson-Double zieht unter Jubel durch die Lange Reihe. "Das ist das Tolle, hier gibt es jedes Jahr viel Interessantes zu beobachten", sagt sie. Susanne Clausen (44) nickt: "Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Der CSD ist zu 70 Prozent Party, nur noch zu 30 Prozent Politik."
Schrill, schräg, schwul - längst ist der Christopher Street Day, der am Sonnabend zum 29. Mal in der Hansestadt gefeiert wurde, das drittgrößte Volksfest der Stadt. Allein der Parade, an der bis zu 10 000 Lesben und Schwule teilnahmen, jubelten vom Straßenrand mehr als 50 000 Besucher zu. Doch wie viel von dem Kampf gegen Diskriminierung, der vor genau 40 Jahren an der Christopher Street, mittendrin in New Yorks Szeneviertel Greenwich Village, begann, ist heute noch spürbar? Drei Generationen, drei Eindrücke.
Niemand dürfe wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden, sagt Jürgen Nissen mit ernster Stimme. Er erinnert sich noch an manchen Spruch, den er sich anhören musste nach seinem Outing vor knapp 50 Jahren. "Es wird Zeit, die Gleichberechtigung auch im Grundgesetz zu verankern." Keinen der 29 Hamburger CSDs habe er verpasst, erzählt er. "Aber heute ist es besonders schön." Weil am Rathaus die Regenbogenflagge wehe. Und weil Bürgermeister Ole von Beust (CDU) erstmals als Schirmherr die Parade anführe. "Als politisch eher Konservativer ist das für mich ein tolles Signal", sagt Jürgen Nissen.
Fanden offensichtlich auch viele Zuschauer, immer wieder tönten "Ole, Ole"-Rufe durch die Lange Reihe, als der Bürgermeister gemeinsam mit seiner Stellvertreterin Christa Goetsch (GAL) den Zug Richtung Jungfernstieg anführte. Die Schirmherrschaft sei für ihn "eine Ehre", sagte der Bürgermeister dem Abendblatt. "Der CSD ist wichtig für die ganze Welt. Es ist eine Kundgebung für Toleranz, Akzeptanz und Respekt - also für Werte, für die Hamburg als weltoffene Stadt traditionell steht."
Hoch oben auf den insgesamt 19 Wagen tanzten derweil Engel und Teufel und andere bunt kostümierte Figuren. Eine Bühne für alle. Auch für Politiker im Wahlkampf. Justizsenator Till Steffen (GAL) war da genauso wie die Grünen Farid Müller, Katharina Fegebank, Krista Sager - und Bundesvorsitzende Claudia Roth sowieso. Die FDP hatte ebenfalls einen eigenen Wagen, und von den Sozialdemokraten waren unter anderen Ingo Egloff, Johannes Kahrs und Danial Ilkhanipour gekommen. Und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sprach bei der Kundgebung in der City: "Wir haben in der Gleichstellung für Schwule und Lesben viel geschafft, es gibt aber noch einiges zu tun."
Im Alltag würden sie glücklicherweise so gut wie nie angefeindet, sagen Sebastian Plötzer und Kai Kramer. "Bei der Arbeit wissen alle Bescheid, ich kann ganz offen sein", sagt Sebastian Plötzer, ein Bürokaufmann. Manchmal würde ihm ein "blöder Spruch" zugebrüllt, sagt Kai Kramer. "Aber ich kann damit umgehen." Es habe sich viel getan, könne aber noch mehr werden, sagt Wiebke Hoffmann. Es bedürfe noch einiger Christopher Street Days, jener Party-Paraden mit politischer Aussage.