Immer häufiger wehren Nachbarn sich gegen die Einrichtung einer Kindertagesstätte in ihrer Nähe. Allein in Wandsbek sind es derzeit sechs Fälle und in Eimsbüttel drei. In den Auseinandersetzungen stoßen unterschiedliche Interessen aufeinander.

Hamburg. Es ist ein Streit, der viel aussagt über die Situation der Kinderbetreuung in dieser Stadt: Auf der einen Seite fürchten Nachbarn um ihre Ruhe und den Wert ihrer Häuser. Auf der anderen Seite stehen verzweifelte Eltern, die um einen Kita-Platz für ihr Kind bangen. Laut einer Umfrage des Abendblatts in den sieben Bezirken liegen aktuell zehn Fälle auf den Tischen der Behörden, in denen Anwohner sich gegen den Bau oder die Erweiterung einer Kindertagesstätte wehren. Sechs davon allein in Wandsbek, drei in Eimsbüttel, ein Fall in Hamburg-Nord.

„Manchen Eltern kommen die Tränen, weil sie ohne unsere Krippe hier keinen Platz für ihre Kinder finden“, sagt Rita Wridt. Sie ist eine der betroffenen Kita-Leiterinnen. Nächste Woche will sie noch einmal um die geplante Krippe „Hobbits“ in Bramfeld kämpfen und sich mit der Bezirksleitung Wandsbek zusammensetzen. Geht es nach Wridt, soll dort am Tisch auch ein Vertreter der Firma Sick AG sitzen. Das Unternehmen hat Einspruch erhoben gegen die Eröffnung der Krippe. Da sie direkt neben dem Hersteller für Messgeräte auf dem Gewerbegebiet liegen soll, fürchtet die Firma wegen der Kinder höhere Auflagen bei Emissionen.

„Für uns ist das kein moralisches, sondern ein rechtliches Problem“, sagt Antje Stein, Sprecherin der Sick AG. Und das Gesetz gibt dem Unternehmen Recht. Kitas und Krippen sind auf Gewerbegebieten nicht erlaubt. Eine Ausnahme gibt es nur, wenn alle Anrainer des Gewerbegebietes mit der Einrichtung der Krippe einverstanden sind. Mehr als drei Monate stockt die Fertigstellung der Krippe. Bisher sind alle Verhandlungen mit der Sick AG gescheitert. Das Genehmigungsverfahren durch den Bezirk stehe noch aus, so Sprecherin Christiane Kuhrt.

Der Streit um die Krippe der „Hobbits“ ist ein Sonderfall – aber längst kein Einzelfall. Fünf weitere Verfahren, in denen Nachbarn Einspruch erheben, beschäftigen die Behörden im bevölkerungsreichsten Bezirk Wandsbek.

Ärger gibt es auch in Eimsbüttel. Aktuellster Fall ist die Ablehnung der Baukommission für die Erweiterung des Horts Burgunderstraße. Auch gegen die Eröffnung einer Kita des Betreibers Sternipark in der Wrangelstraße 15 hatten Nachbarn protestiert. Dort soll ein Wohnhaus in eine Kita umgewandelt werden. Beantragt sind 40 Plätze. Für eine Genehmigung müsse die Zahl deutlich geringer werden, sagte der zuständige Baudezernent Reinhard Buff. Einsprüche der Anwohner gibt es auch zu dem bestehenden Kinderhaus Stellinger Weg 4. „Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass wir weitere Plätze in Kindertageseinrichtungen brauchen. Der Bedarf im Bezirk Eimsbüttel ist nicht gedeckt“, betonte Buff. „Aber es ist immer eine Gratwanderung, weil die Einrichtungen in die Gebiete integriert werden müssen“.

Ein weiterer Fall im Bezirk Hamburg-Nord bereitet den Eltern und Erziehern in einem Neubaugebiet in Klein Borstel Kummer. Anwohner wehrten sich gegen den Bau einer Kita mit 120 Plätzen. Die Nachbarn berufen sich auf die ursprünglichen Baupläne, die nur eine Kita mit 60 Plätzen vorsah. Der Bezirk hat nun Plätze für 80 Kinder genehmigt. Der städtische Kita-Träger „Vereinigung“ will Widerspruch gegen den Beschluss der Behörde einlegen.

In der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz sieht man die Situation gelassener, räumt aber auch ein, dass es zu Protesten von Nachbarn gegen Kitas kommt: „Oft beruhen die Beschwerden auf Unkenntnis und können im Dialog geklärt werden. Die meisten Kita-Vorhaben in Hamburg können problemlos umgesetzt werden“, sagt Behördensprecherin Jasmin Eisenhut. „Seit 2002 sind rund 200 Kitas neu eröffnet worden. Heute gibt es in Hamburg 920 Kitas, allein 2008 sind 42 Kitas neu eröffnet.“

Berthold Kleta will sich nicht so leicht beruhigen. Zurzeit stocken zwei Kita-Bauprojekte des Hamburger Architekten. „In Hamburg ist es leichter ein Atomkraftwerk zu bauen als eine Kinderkrippe.“ Er fühle sich von der Politik, aber auch von den Anwohnern mit den Kosten für stagnierende Bauvorhaben allein gelassen. „Wie kann es sein, dass die Nachbarschaftsrechte mehr gelten, als die Rechte derer, die sich für Arbeitsplätze und Kinderbetreuung einsetzen.“

Bereits in der Vergangenheit hat es Fälle gegeben, in denen Anwohner gegen den Bau einer Kita Widerspruch eingelegt hatten. Alles begann mit dem Fall der Kita „Marienkäfer“. Sogar Familienministerin Ursula von der Leyen schaltete sich in den Prozess ein, der sich seit 2001 hingezogen hatte und erst vergangenes Jahr endete: Nach einer Klage von Nachbarn musste die Kita im vergangenen Sommer das Feld räumen. Und auch in ihrer neuen Heimat in Wandsbek begleiteten Proteste den Baubeginn. Erst nachdem die Betreiber eine 60 Meter lange Lärmschutzwand gebaut hatten, konnten die Kinder einziehen. Doch weil Kinder nicht hinter Mauern groß werden sollen, reagierte die Hamburger Bürgerschaft und erließ ein Gesetz. Das „Lex Marienkäfer“. Darin heißt es: „Kinderlärm ist (…) als selbstverständlicher Ausdruck kindlicher Entfaltung hinzunehmen.“

Auch im Stadtteil Hamm (Bezirk Mitte) kam es zu Widersprüchen von Nachbarn. Die zwei Fälle wurden vergangenes Jahr zu Gunsten der Einrichtungen entschieden.

Erst vor wenigen Wochen konnten die Eltern in Othmarschen aufatmen. Nach einem monatelangen Streit mit den Nachbarn und den Behörden kann die Sternipark-Kita eröffnen. Nach aktuellem Baurecht gilt das Areal an der Reventlowstraße als besonders geschütztes Wohngebiet, in dem ein Kindergarten nur mit entsprechenden Einschränkungen als Ausnahme zugelassen werden kann. So hatten die Betreiber der Kita 60 Plätze geplant. Nur für zehn Kinder bekam sie am Ende eine Zulassung. Ein kleiner Trost für die Eltern, die jetzt weiter nach einem Kita-Platz in ihrer Nähe suchen.