Nach Gaddafis Tod muss Libyen neu geordnet werden
Der Tod des libyschen Langzeitdespoten Muammar al-Gaddafi markiert für das zerrissene nordafrikanische Land gleich in doppelter Hinsicht eine Zeitenwende. Naturgemäß ist das Regime des brutalen Revolutionsführers damit endgültig vorbei. Die zuletzt immer schwächer werdende Gravitationskraft jenes Mannes, der sich einst selber zum "König der Könige Afrikas" erhob, ist erloschen.
Doch zum Zweiten ist damit auch das wichtigste Ziel der bunt gemischten Rebellentruppe erreicht. Um Gaddafi zur Strecke zu bringen, zogen Demokraten, Islamisten, Übergelaufene, verfeindete Stammesführer und andere Figuren mehr oder weniger an einem Strang. Die heimtückische Ermordung des charismatischen Rebellen-Generals Abd al-Fatah Junis, der einst Gaddafis Innenminister und Kommandeur der libyschen Spezialeinheiten gewesen war, durch militante Islamisten Ende Juli gab jedoch einen ersten Hinweis auf denkbare künftige Auseinandersetzungen.
Libyen ist noch weit weniger als manche arabischen Nachbarn ein ethnisch und politisch homogener Staat. Es gibt die klassische Rivalität zwischen den Metropolen Tripolis und Bengasi, es gibt den unverhohlenen Machtanspruch radikalislamischer Gruppierungen und die Feindschaft zwischen vielen der bis zu 140 libyschen Stämme. Bislang hat der Übergangsrat taktisch klug agiert. Doch seine Ankündigung, das neue Libyen auf der Grundlage der strengen islamischen Rechtsordnung Scharia aufbauen zu wollen, oder die starke Stellung des ehemaligen al-Qaida-nahen Taliban-Kämpfers und Ex-Terroristen Abdelhakim Belhadj im neuen Machtgefüge stimmen schon nachdenklich.
Die blutige Revolution in Libyen ist nun vollendet. Damit ist ermöglicht, aber leider keineswegs garantiert, dass die noch größere Herausforderung - der Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung - nun auch reibungslos und einvernehmlich vonstatten gehen wird.