Zivilgesellschaft koppelt sich ab von Politikern, die Rüstungsexporte durchwinken
Es ist ein seltsames Land, das erst Waffen an Diktaturen liefert und später Opfer ausfliegt, um sie in den eigenen Krankenhäusern zu behandeln. Es ist das Deutschland dieser Tage. Vor dem Hintergrund der medizinischen Hilfe für libysche Bürgerkriegsopfer in Hamburg und anderswo liest sich der Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wie ein Gruselreport.
Da ist von totalitären Regimes die Rede, die ihre Bürger unterjochen und buchstäblich gegen sie Krieg führen - mit Waffen, die auch aus deutschen Schmieden stammen. Sicherlich gibt es ein Kriegswaffenkontrollgesetz und Richtlinien für Exporte von Rüstungsgütern. Doch wie schizophren ist ein Land mit humanitären Idealen hier und Bombengeschäften dort?
Hamburg spielt in dieser Zerrissenheit eine besondere Rolle. In den Krankenhäusern der Stadt arbeiten Ärzte und Pfleger, die sich hingebungsvoll um Kriegsopfer kümmern. Ohne Ansehen von Person, Herkunft und Glauben werden die Verletzten aus Libyen behandelt. Es sind eben nicht die immer belächelten Gutmenschen, die helfen, sondern Mediziner mit Verantwortung. "Wir helfen, weil wir es können", hat einmal ein Arzt aus dem Albertinen-Krankenhaus gesagt, das mit seiner "Herzbrücke" seit Jahren Kinder aus Afghanistan zu Behandlungen und Operationen nach Hamburg holt. Unter ihnen sind todkranke Jungen und Mädchen, grässlich entstellte Kinder, die geheilt und wieder in ihre Heimat gebracht werden. Am Hindukusch mag die Sicherheit der Deutschen verteidigt werden. In Hamburg-Schnelsen wird der Einsatz der Bundeswehr humanitär begleitet. Hightech-Medizin ist ebenfalls ein deutscher Exportschlager. Da stimmen die Worte eines Wirtschaftsministers wie Philipp Rösler (FDP), ein Mediziner, schon reichlich nachdenklich. Bei seinem Besuch kürzlich in Tripolis schmückte sich der für Ausfuhren Zuständige mit fremden Federn und pries werbewirksam die humanitäre Hilfe der Deutschen. Mit den Siegern ist gut lächeln. Wie in Libyen hat sich jedoch in Deutschland eine Revolution vollzogen, eine stille. Die deutsche Zivilgesellschaft hat sich in ihrem Engagement längst abgekoppelt von den Politikern, die unter Ausschluss demokratischer Öffentlichkeit Waffenlieferungen durchwinken. Ob Panzer-Deals mit Saudi-Arabien oder Lieferungen an Angola, wie zuletzt vereinbart bei Kanzlerin Angela Merkels Afrika-Trip. Bei diesen Geschäften ist es übrigens gleichgültig, wer gerade regiert. Unter dem Deckmantel der Sicherheitsinteressen haben schwarz-gelbe, rot-grüne und Große Koalitionen ihren Bürgern und Wählern verheimlicht, an wen welche Waffen verkauft wurden.
Keine Frage: Waffenlieferungen stoßen auf Verständnis dort, wo sie ein Gleichgewicht des Schreckens wahren oder israelische und arabische Sicherheitsinteressen gegen irre Machthaber wie Irans Präsident Ahmadinedschad unterstützen. Doch es braucht in Deutschland deutlich mehr Transparenz. Und ist es nicht heuchlerisch, von Humanität zu reden, wenn auch die Industrie profitiert?
Waffenhersteller werben dafür, dass ihre Produkte für asymmetrische Bedrohungen geeignet sind. Das ist ein zynischer Ausdruck für den Kampf eines Staates gegen seine Bürger: der hoch gerüstete Despot hier, das aufbegehrende Volk auf der anderen Seite der Barrikaden. Wer die Krawalle in Bahrain, den verzweifelten Aufstand der Syrer gegen Assad beobachtet, dem läuft es angesichts solcher Werbesprüche kalt den Rücken herunter.
Nichtregierungsorganisationen leisten wertvolle Hilfe in Krisenregionen. Aber schon der Begriff macht klar: Mit Politik haben wir nichts am Hut. Das muss Frau Merkel, Präsident Sarkozy und Premier Cameron zu denken geben, wenn sie auf ihren Tourneen durch die Krisengebiete die Fahne der Humanität hochhalten.