Vor 50 Jahren erforschte Jane Goodall als Erste wilde Schimpansen. Das Abendblatt sprach mit der künftigen Botschafterin für das grüne Hamburg.
Mister H. sitzt auf einem alten Schrank. Er hat Sommerferien, hier, an Englands Südküste - so wie die Frau, deren Leben er seit 16 Jahren begleitet, rund um die Welt. Mr. H. ist ein Plüschaffe, der eine Plüschbanane in seinen weichen Händen hält und von dem Jane Goodall sagt, dass die Inspiration des Menschen, der ihr Mr. H. geschenkt hat, auf jeden abfärbt, der ihn streichelt. Durch Tausende von Kinderhänden ist er schon gewandert, an unzähligen Flughäfen durch die Scanner für das Handgepäck geschoben worden, und so bekannte Menschen wie der ehemalige Uno-Generalsekretär Kofi Annan oder die Schauspielerin Angelina Jolie freuten sich, ihn kennenzulernen. Von Letzterer bekam er gar einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn gehaucht.
Ein Gegenstand fällt krachend vom Schrank, als Jane Goodall Mr. H. herunternimmt, um ihn in die Kamera ihres Laptops zu halten. "Entschuldigung, das war laut", sagt sie aus dem Off, und kommt dann wieder um das blumengemusterte Sofa herum ins Blickfeld. Für ein Gespräch über das Internet mit dem Abendblatt hat die britische Primatologin eine sehr seltene Ausnahme gemacht. Eigentlich sind ihr diese vier ungestörten Wochen im Sommer, die sie jedes Jahr in ihrem Geburtshaus "The Birches" (engl. für: die Birken) in Bournemouth bei ihrer Schwester Judy verbringt, heilig. Doch gerade ist die 77-Jährige zur offiziellen, internationalen Botschafterin der europäischen Umwelthauptstadt Hamburg ernannt worden, und nächste Woche wird sie deshalb und für eine Veranstaltung in die Hansestadt kommen. So ist sie der Bitte nach einer halben Stunde Internet-Gespräch nachgekommen.
"Ich sehe Sie schlechter als meinen Sohn gestern Abend, und der lebt in Daressalam in Tansania", bemerkt sie gleich zu Beginn, und wir scherzen darüber, dass Deutschland es technisch einfach nicht mit Afrika aufnehmen kann. Afrika, der "dunkle Kontinent", wie sie ihn noch am 25. September 1960 in einem Brief aus dem "Schimpansenland" an ihre Familie in England genannt hatte. Drei Jahre zuvor hatte die damals 23-jährige Sekretärin ihren seit Kindheitstagen gehegten Wunsch umgesetzt und all ihr Erspartes in eine Schiffsüberfahrt nach Afrika investiert. Wilde Tiere zu studieren, davon hatte sie schon als Zehnjährige geschwärmt. Dass der Familie das Geld für ein Studium fehlte, sollte sich später als Vorteil erweisen. "Denn Louis Leakey wollte jemanden mit einem unvoreingenommenen Geist", sagt Jane Goodall.
Leakey, Anthropologe und damals Direktor des Kenya National Museum, schickte die junge Engländerin zu den Schimpansen, in das Gombe-Wildreservat am Tanganjika-See. Was folgte, ist eine beispiellose Forscherkarriere, die unser Bild von den Menschenaffen revolutionierte - und unsere Abgrenzung zu ihnen verwischte. Denn Jane Goodall entdeckte den Werkzeuggebrauch bei den Menschenaffen; etwas, das bis dahin nur dem Menschen zugeordnet worden war. Umso mehr verbitterte sie damals, als ihre wissenschaftlichen Aufzeichnungen von der Universität zurückgeschickt wurden - und in den Beschreibungen des Verhaltens der Tiere jedes "sie" und "er" gegen ein "es" ausgetauscht worden war. "Ich habe das dann alles wieder zurückgeändert, bis sie es akzeptiert haben", sagt Goodall. Beharrlichkeit ist eine ihrer Stärken.
Nach 50 Jahren Forschung in Gombe würden dort heute so wichtige Fragen wie die nach einer möglichen Übertragung von Krankheiten zwischen Schimpansen und Menschen erforscht, sagt Jane Goodall, die einen Doktor- und mehrere Ehrendoktortitel trägt und die 2004 von Queen Elizabeth II. zur "Dame Commander of the Order of the British Empire" geadelt wurde. Einen Titel, den sie jedoch nicht nutzt.
Viel wichtiger ist ihr da zum Beispiel, dass der ehemalige Uno-Generalsekretär Kofi Annan sie 2002 zur Friedensbotschafterin ernannte. Nach dem Besuch einer Konferenz von Biologen 1986 hatte sie zuvor beschlossen, ihre eigenen Studien einzustellen und sich für den Tier- und Umweltschutz zu engagieren. Jane Goodall: "Die Schimpansen haben mir so viel gegeben. Jetzt war es an mir, etwas zurückzugeben."
Sie sei keine Expertin auf dem Gebiet, sagt sie, aber von dem, was sie gehört habe, sei die meiste medizinische Forschung, die in Versuchslaboren an Menschenaffen vorgenommen wird, nutzlos. "Wir haben doch so große Gehirne, da müssen wir doch einen anderen Weg finden", sagt sie. Und dass sie weiterhin nach einer Veränderung in dem Verhalten der Menschen gegenüber Tieren sucht.
Ob da Bücher oder Filme helfen können? Gerade erschien "Das Affenhaus" von Sara Gruen, ein Roman über (Sprach-)Versuche an Bonobos, und in den Kinos läuft die Neuauflage vom "Planet der Affen". Was hält Jane Goodall davon? "Ich kenne beides und finde, dass jede Beschäftigung mit dem Thema Affen Aufmerksamkeit schafft und der Sache dienen kann", sagt sie.
Nichts hält sie hingegen von der Einstellung, dass Erwachsene sich nicht mehr ändern können oder dass Engagement immer zuerst von der Politik ausgehen muss. "Die USA haben niemals das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz unterzeichnet, aber wie viele amerikanische Gemeinden machen ihre eigenen Initiativen!", nennt sie ein Beispiel. Gerade in Städten wie Hamburg sehe man gut, wie viel jeder Einzelne tun kann: "Bäume pflanzen etwa oder heimische Sträucher, damit Insekten Nahrung finden. Dazu kommt ein immer besseres System des Recyclings und die verstärkte Nutzung von regenerativen Energien." Es sind Schritte wie diese, die sie den Menschen mit dem 1977 von ihr ins Leben gerufenen Jane-Goodall-Institut nahebringen will. Das 27. Institut wurde vor einem Jahr in Deutschland gegründet. Ein weiteres Beispiel ist ihre Aktion "Roots and Shoots" ("Wurzeln und Sprösslinge") für Kinder und Jugendliche, in denen sich in 120 Ländern Gruppen in Umwelt- und Sozialprojekten engagieren. So trägt sie heute beharrlich Hoffnung hinaus in jeden Winkel der Welt. Ihre eigene Kraft, sagt sie, bekäme sie von besonderen Menschen, die sie träfe. Wie etwa Gary Horn, der ihr Mr. H. schenkte. Horn ist Zauberkünstler - und seit seinem 21. Lebensjahr blind. Er zeige, dass alles ginge, wenn man es nur wolle, sagt sie.
Jetzt sind es doch 45 Minuten geworden, von Bildschirm zu Bildschirm. Bei unserem letzten Interview in Hamburg, vor sieben Jahren, sagte Jane Goodall zum Abschied über ihre Zukunftspläne, dass sie alles so weitermachen würde wie bisher - nur vielleicht etwas langsamer. Ist es so gekommen? "Langsamer? So ein Quatsch", sagt sie. Und klingt dabei ein wenig so, als ärgere sie sich über ihre eigenen Worte damals. "Ganz im Gegenteil: Mein Leben ist schneller geworden, weil immer weniger Zeit bleibt, je älter man wird - aber es noch so viel zu tun gibt."
Noch viele Menschen brauchen ihre Hoffnung.