JANE GOODALL beobachtete 26 Jahre lang Schimpansen in Tansania, revolutionierte das Wissen über Menschenaffen. Heute, mit 70, bringt sie Jugendlichen die Natur nahe.

Claudia Sewig

Hamburg

Die große, dunkle Sonnenbrille läßt ihr zartes Gesicht noch zierlicher erscheinen. "Eine Augenentzündung", entschuldigt sich Jane Goodall. Ihr Arzt habe ihr geraten, sich zu schonen, sagt sie mit dem feinen britischen Akzent der englischen Südküste und lächelt erschöpft. Schonen? 300 Tage im Jahr ist sie auf Reisen, und dabei nie länger als zwei Tage an einem Ort. Gestern Washington, heute Hamburg, morgen Prag. Am 3. April ist die Frau, die 26 Jahre lang das Leben der Schimpansen in Tansania dokumentierte und so unser Wissen über die Menschenaffen revolutionierte, 70 Jahre alt geworden. Doch von ihrer Energie und Hingabe hat sie nichts verloren - Jane Goodall hat sie umgelenkt: Heute lehrt sie Kinder und Erwachsene in der ganzen Welt, Respekt vor der Natur zu haben, sie setzt sich für den Tier- und Umweltschutz ein. Es ist das zweite Leben der Jane Goodall.

Und sie zieht ihre Zuhörer nach wie vor in ihren Bann - so wie die 1100 Hamburger, die am Freitag abend ins Audimax der Universität gekommen sind. "Wenn Sie jetzt die Chance hätten, im Urwald zu sein, während eine Gruppe Schimpansen in der Nähe den Tag beginnt, dann würden Sie diese Laute hören", beginnt Jane Goo-dall ihren Vortrag. Und stimmt den langgezogenen, zum Crescendo ansteigenden Begrüßungsruf der Menschenaffen an. Das Publikum hängt an ihren Lippen.

Die meisten kennen sie aus einem der 30 Bücher, die sie über ihr Leben mit den Primaten im Gombe-Nationalpark geschrieben hat. Kennen Fotos des schlanken Mädchens mit dem blonden Pferdeschwanz, des Covergirls der Zeitschrift "National Geographic". In dieser Zeitschrift veröffentlichte Jane Goodall die ersten Berichte über ihre Beobachtungen. "Entweder müssen wir Werkzeug neu definieren, den Menschen neu definieren oder die Schimpansen zu den Menschen zählen", hatte der britische Paläontologe Louis S. Leakey gesagt, als ihm Jane Goodall vom Werkzeuggebrauch der Schimpansen erzählte.

Fast alle Besucher im Audimax kennen die Geschichte. Aber sie wollen sie aus ihrem eigenen Mund hören, aus dem Mund der einstigen Sekretärin, deren Pferdeschwanz mittlerweile ergraut ist, die als Kind von Tarzan träumte und Regenwürmer und Meeresschnecken sammelte.

"Wir waren arm, ich hatte nicht einmal ein Fahrrad, und an die Universität war nicht zu denken", erzählt Jane Goodall. Nur die Unterstützung ihrer Mutter Vanne war ihr immer gewiß. ",Wenn du etwas unbedingt willst, dann wirst du es auch erreichen', hat sie mir immer gesagt." Als dann 1957, mittlerweile war Jane Goodall zur Sekretärin ausgebildet, eine Einladung einer alten Freundin nach Kenia eintraf, zögerte sie nicht lange. Sondern jobbte als Kellnerin, bis sie das Geld für die Überfahrt zusammenhatte. Nach drei Monaten in Afrika fand sie eine Anstellung im Naturkunde-Museum in Nairobi - bis sie Louis Leakey in den Urwald nach Tansania schickte.

Bereits am Freitag Mittag war Jane Goodall mit dem Flugzeug aus Washington nach Hamburg gekommen, hatte tags darauf in der Patriotischen Gesellschaft die weltweite Tierschutzaktion "Animal Action Week 2004" des Internationalen Tierschutz-Fonds (IFAW) eröffnet.

Kurz hat Jane Goodall die Sonnenbrille abgenommen, für ein Foto während der IFAW-Konferenz. Ihre Augen sind gerötet. Doch sie bleibt diszipliniert. Reibt nicht über die schmerzenden Lider. Sondern trägt nur ein wenig Creme auf ihre trockenen Lippen auf. Mit ruhiger Stimme berichtet sie von dem heutigen Zustand der Schimpansen in Afrika: "150 000, vielleicht auch weniger, leben heute noch in freier Wildbahn." Vor einhundert Jahren, so Schätzungen, seien es noch zwei Millionen gewesen. "Das große Problem", sagt Jane Goodall, "ist die Isolation der Gruppen durch gerodete Waldgebiete." Der Schimpansenbestand verteilt sich auf 21 afrikanische Länder, und höchstens kleine Wald-Korridore würden diese Gruppen noch miteinander verbinden.

Durch die Fälltrupps und ihre Schneisen kommen auch Wilderer besser an die Affen heran. Sie vermarkten die Schimpansen als Fleisch, Souvenirs oder Haustiere - daß die Primaten geschützt sind, stört hier niemanden. "200 Milliarden US-Dollar macht der internationale Wildtierhandel nach Schätzungen des Umweltbundesamtes im Jahr aus", sagt Ralf Sonntag (46), Leiter des IFAW Deutschland. Der zusätzliche Schwarzmarktanteil sei nicht zu bemessen. Deshalb geht es bei der diesjährigen Animal Action Week, die am heutigen Welttierschutztag offiziell startet, um das Motto "Keep Wildlife Wild". Sonntag: "Es geht uns darum, Kinder und Jugendliche zu überzeugen, nicht die gleichen Fehler zu machen wie wir, sondern aktiv Artenschutz zu betreiben."

Ein Anliegen, das Jane Goodall seit der Gründung ihres "Roots & Shoots"-Jugendprogramms 1991 besonders am Herzen liegt. 1986, nachdem sie einen Vortrag über das Leiden von Tieren in Versuchslaboren besucht hatte, hatte sie von einem auf den anderen Tag ihre eigenen Forschungen beendet. Und fortan weltweit die Stimme für den Arten- und Tierschutz erhoben. "Kindern zu begegnen und ihnen Mut zu machen ist dabei das Wichtigste für mich - denn sie haben absolut recht, wenn sie uns anklagen, daß wir ihnen die Natur zerstört hinterlassen", sagt Jane Goodall.

In 88 Ländern dieser Welt spornt die dreifache Großmutter seitdem Kinder- und Jugendgruppen an, sich für Tiere, Menschen und die Umwelt einzusetzen. Mit Erfolg: "In China hat ein 12jähriger Junge Fotos von Wilderern bei der Arbeit gemacht. Er zeigte sie seinen Klassenkameraden, die zeigten sie ihren Eltern, die gingen damit auf Märkte. Und hielten somit viele Menschen vom Kauf des gewilderten Fleisches ab." In den USA würden Kinder die Prärie von Müll und eingewanderten Pflanzenarten reinigen, in Afrika konnten mit Hilfe des Roots & Shoots-Programms Latrinen für eine Schule gebaut werden - "die unhygienischen Zustände an afrikanischen Schulen sind immer noch der Hauptgrund, warum Mädchen in der Pubertät die Schule verlassen", sagt Jane Goodall.

Einen Doktortitel und zwölf Ehrendoktorwürden hat sie, seit 2002 ist sie Friedensbotschafterin der Vereinten Nationen, und Pläne für eine Novelle, die sie im Dachzimmer ihres Hauses in Bournemouth schreiben will, liegen tief versteckt in ihrem Kopf.

Weiß sie, was sie in zehn Jahren machen wird? Hat sie, die so viel gesehen, so viel erreicht hat in ihrem Leben, noch irgendwelche besonderen Ziele? Jane Goodall überlegt kurz. "Nun, erst einmal hoffe ich, daß es mir dann gesundheitlich noch gutgeht."

Dafür stehen die Zeichen aber ganz gut: "Meine Großmutter wurde 97, mein Vater 96 und meine Mutter 95 Jahre alt", sagt sie. "Doch besondere Ziele?" Jane Goodall schüttelt den Kopf: "Ich denke, ich werde genau das tun, was ich jetzt auch tue. Nur dann vielleicht doch ein wenig langsamer."

"Kinder haben absolut recht, wenn sie uns anklagen, daß wir ihnen die Natur zerstört hinterlassen."

"150 000 Schimpansen, vielleicht auch weniger, leben heute noch in freier Wildbahn."