Trotz des Erfolgs der Initiative “Unser Hamburg - unser Netz“ will Olaf Scholz nur 25,1 Prozent der Strom- und Gasleitungen zurückkaufen.
Hamburg. Das könnte die erste große Kraftprobe für den neuen SPD-Senat und Bürgermeister Olaf Scholz werden: Parallel zur Bundestagswahl 2013 werden die Hamburger voraussichtlich per Volksentscheid über den vollständigen Rückkauf der Energieversorgungsnetze entscheiden. Die Gegenposition wird der Senat einnehmen: Scholz hält den Erwerb eines städtischen Anteils von nur 25,1 Prozent als strategische Beteiligung für ausreichend und mehr für nicht finanzierbar.
Die Umweltinitiative "Unser Hamburg - unser Netz" hat gestern die entscheidende Hürde genommen. Das Volksbegehren zum kompletten Netze-Rückkauf - Strom, Gas und Fernwärme - ist unmittelbar vor Ablauf der dreiwöchigen Frist zur Sammlung von Unterschriften heute um Mitternacht erfolgreich zustande gekommen. "Wir haben das erforderliche Quorum deutlich überschritten", sagte Kampagnenleiterin Wiebke Hansen dem Abendblatt. Konkrete Zahlen will die Initiative erst morgen nennen, wenn die Unterschriften bei Landesabstimmungsleiter Willi Beiß abgegeben werden.
Gut 64 000 Hamburger müssen das Volksbegehren mindestens unterstützen. Üblich ist, dass wegen doppelter und ungültiger Unterschriften (zum Beispiel aus dem Umland) ein Polster von noch einmal rund 10 000 Unterschriften erforderlich ist.
Nach Abendblatt-Informationen hat Scholz intern bereits die Losung ausgegeben, keine Gespräche mit den Initiatoren aufzunehmen, um zum Beispiel zu einem Kompromiss zu kommen und den Volksentscheid so zu vermeiden. Im Gegenteil: Der Bürgermeister will die Verhandlungen mit dem Energieerzeuger Vattenfall über den Erwerb eines 25,1-Prozent-Anteils fortsetzen. Vattenfall besitzt das Strom- und Fernwärmenetz. Außerdem geht es um das Gasnetz im Besitz der E.on Hanse.
Die regierenden Sozialdemokraten halten einen größeren Anteil als 25,1 Prozent für nicht finanzierbar. Der komplette Rückkauf der drei Netze wird mit mindestens zwei Milliarden Euro taxiert. "Die Befürworter wollen dafür sogar die Rücklagen der Stadtentwässerung verfrühstücken. Das ist für uns kein gangbarer Weg", sagte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Die Rücklagen seien von den Gebührenzahlern gebildet worden und für Investitionen in die Modernisierung der Sielnetze vorgesehen.
Die SPD hat in ihrem Regierungsprogramm ein Modell vorgeschlagen, das sich am Vorgehen schleswig-holsteinischer Kommunen orientiert. Danach wird ein Konsistorialvertrag angestrebt, der der Stadt eine Garantiedividende zusichert. Über diese sicheren Gewinne sollen Zinsen und Tilgung für den Kaufpreis ohne Einsatz von Steuergeld finanziert werden. Ziel ist es außerdem, eine "qualifizierte Minderheitenbeteiligung" zu erreichen, die eine Mehrheit im Aufsichtsrat garantiert. Das ginge natürlich nur mit der Zustimmung von Vattenfall beziehungsweise E.on Hanse.
Doch es gibt auch andere Stimmen in der SPD. Nach Altbürgermeister Henning Voscherau, der das Volksbegehren unterzeichnet hat, greift nun auch sein Amtsnachfolger Ortwin Runde in die Diskussion ein. "Ich halte 50,1 Prozent für erforderlich, um bestimmenden Einfluss zu nehmen", sagte Runde dem Abendblatt. Als Beispiel nannte der Altbürgermeister den städtischen Anteil in dieser Höhe an der Flughafen GmbH. Die Mehrheit am Besitz sorge dafür, dass das Unternehmen "linienneutral" handele und die stadtentwicklungspolitische Perspektive gewahrt bleibe. Laut Runde könne die Stadt mit einem Anteil von 25,1 Prozent "nicht viel anfangen", wie das Beispiel der Asklepios-Kliniken zeige.
Auch in der SPD-Bürgerschaftsfraktion gibt es Stimmen, die für den mehrheitlichen Erwerb der Netze sind. "Wenn es sich rechnet, sollten wir es machen", sagte der SPD-Abgeordnete Martin Schäfer. Doch bislang hat es noch keine Diskussion in der SPD-Fraktion über das Thema gegeben. Dressel ist entschlossen, in die Auseinandersetzung mit der Volksinitiative zu gehen. "Ein weiteres finanzpolitisches Fass ohne Boden können wir uns nicht leisten", sagte der SPD-Fraktionschef.