Die heftigen Gewitter bescherten Hamburg Rekordniederschläge. Mancherorts fielen Mengen, die Wetter-Experten “nur aus den Tropen kennen“.

Hamburg. Die Wolkenbrüche am Montag gehörten zu den schwersten, die Hamburg je erlebt hat. In einigen Stadtteilen sind nach Messungen des Instituts für Wetter- und Klimakommunikation (IWK) über 80 Liter Niederschlag je Quadratmeter gefallen. In der Spitalerstraße wurden zwischen 17.00 Uhr und 18.10 Uhr je Quadratmeter 81,3 Liter Regen gemessen, teilte das Institut in Hamburg mit. Im langjährigen Mittel fallen in Hamburg im Juni 74,4 Liter je Quadratmeter im ganzen Monat. "Das sind Mengen, die wir sonst nur aus den Tropen kennen“, sagte IWK-Chef Frank Böttcher.

Die schweren Wolkenbrüche über Hamburg haben die Feuerwehr in der Hansestadt auf Trab gehalten wie schon lange nicht mehr. "So etwas hatten wir in den letzten zehn Jahren nicht“, sagte ein Feuerwehrsprecher am Dienstag. Der starke Regen hatte am Montagabend mitten im Berufsverkehr zahlreiche Straßen in Hamburg unter Wasser gesetzt und zu einem Verkehrschaos geführt. Innerhalb von 24 Stunden sei die Feuerwehr rekordverdächtige 2225 Einsätze gefahren – 1293 davon wegen des Unwetters.

Bis in die frühen Morgenstunden waren neben der Berufsfeuerwehr 63 Freiwillige Feuerwehren und 50 Helfer des Technischen Hilfswerkes im Einsatz gegen die Wassermassen. Zu Spitzenzeiten seien mehr als 1000 Feuerwehrleute zeitgleich unterwegs gewesen, um vollgelaufene Keller von Geschäften, Bürogebäuden, Hotels und Theatern auszupumpen. U-Bahn-Eingänge und Unterführungen wurden überschwemmt. Erst in der Nacht hob die Feuerwehr den Ausnahmezustand wieder auf. Das große Aufräumen danach ging auch am Dienstag weiter. Noch am frühen Morgen pumpten Feuerwehrleute Wasser aus Tiefgaragen und Kellern.

Die Gewitter waren am Montagabend aus dem Norden gen Süden und Osten über Hamburg hinweggezogen. Besonders getroffen hatte es den östlichen Teil der Hansestadt und das Zentrum. Die Feuerwehren rückten unter anderem zum Rathaus, zur Innenbehörde, zum US-Konsulat und zum Hauptbahnhof aus. Auch die Staatsoper, das Hotel Atlantic und das Alstertal-Einkaufszentrum im Stadtteil Poppenbüttel schlugen Alarm. In der Europa-Passage in der Innenstadt gab es gleich auf mehreren Ebenen einen massiven Wassereinbruch, das Gebäude wurde geräumt. An einer Hauptverkehrsachse, der Willy-Brandt-Straße, drohte die Fassade eines Gebäudes einzustürzen.

Am Hamburger Flughafen durften während des Unwetters eine halbe Stunde lang keine Flugzeuge starten und landen. Die S-Bahn zwischen den Stationen Ohlsdorf und Poppenbüttel war mehrere Stunden lang lahmgelegt, weil mehrere Bäume auf den Gleisen lagen. Die Hochbahn berichtete von erheblichen Verspätungen ihrer Busse im gesamten Stadtgebiet. Den U-Bahn-Verkehr indessen habe das Unwetter nur geringfügig gestört. Zu keinem Zeitpunkt aber habe für Fahrgäste von Bussen und U-Bahnen eine Gefahr bestanden. "Lediglich „nasse Füße„ konnte man sich beim Betreten der Haltestellen holen!“, hieß es.

Hoffnung durch Tief "Balthasar"

Von Mittwoch an dürfte sich die Lage etwas entspannen. Tief "Balthasar“ verdrängt die schwül-warme Luft zunächst aus Deutschland, dadurch wird es kühler. Über Bayern entwickelt sich ein zweites Tief, das nach Norden wandert. "Durch eingelagerte Gewitter können gebietsweise sehr hohe Regenmengen erreicht werden“, warnte Meteorologe Robert Scholz vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Am Donnerstag sollen aber keine Niederschläge mehr hinzukommen.

In Hamburg begann nach den Unwettern das große Aufräumen. Am Montag und Dienstag fuhr die Feuerwehr in der Hansestadt allein wegen der Wetterkapriolen mehr als tausend Einsätze. Zahlreiche Keller von Geschäften, Bürogebäuden und Hotels liefen voll, U-Bahn-Eingänge und Unterführungen wurden überschwemmt. Erst in der Nacht hob die Feuerwehr den Ausnahmezustand auf. Am Abend wurde ein Mann schwer verletzt, nachdem in dessen Nähe ein Blitz eingeschlagen war.

Im Nordosten Bayerns lösten Gewitter und Regen zahlreiche Unfälle aus. Bei insgesamt 17 Crashs in der Oberpfalz wurden zehn Menschen verletzt, aus Niederbayern wurden Überschwemmungen und umgestürzte Bäume gemeldet. In mehreren Städten fiel zudem der Strom aus.

In Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) wurde eine 65 Jahre alte Frau in ihrem Haus von einem Blitz getroffen und verletzt. Mehrere Häuser im Umland gerieten durch Blitzeinschläge in Brand. Auch an Gleisen und anderen Bahnanlagen richtete das Unwetter Schäden an. Bei einem Unfall auf der Autobahn 20 wurde eine 29-Jährige schwer verletzt, nachdem ihr Wagen von einer Windböe erfasst worden war.

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Die Feuerwehr rückte 1293 Mal aus

Die Aufräumarbeiten sind noch nicht beendet, da naht schon das nächste Unwetter. "Am Mittwoch erwarten wir in Norddeutschland eine ähnliche Wetterlage wie am Montagabend", sagt Wetterexperte Clemens Grohs vom Hamburger Institut für Wetter- und Klimakommunikation. Er rechnet mit schweren Gewittern mit starkem Regen, Hagel und Sturmböen am Mittag und Nachmittag, die dann aber rasch abziehen. Der Deutsche Wetterdienst warnt vor starken Niederschlägen von bis zu 25 Litern pro Quadratmetern und Stunde.

"Ursache ist eine Luftmassengrenze, die sich von Südwesten nach Nordosten über uns hinweg verlagert", so Grohs. Östlich dieser Luftmassengrenze werde es am Mittwoch nochmals hochsommerliche 30 Grad geben - allerdings nicht in Hamburg, sondern in Mecklenburg-Vorpommern. In der Hansestadt werden sich die Temperaturen am Donnerstag voraussichtlich auf 22 Grad einpendeln.

Überflutete Keller und Tiefgragen, wegschwimmende Autos, Straßen knietief unter Wasser: Für die Feuerwehr war Montag, der 6. Juni 2011 der stressigste Tag seit mehr als zehn Jahren. Sprecher Hendrik Frese: "Im August 2002 hatten wir schon einmal ein ähnlich heftiges Unwetter, aber die Gesamtzahl der Einsätze am Montag war noch einmal deutlich höher. Es war der heftigste Tag seit Jahren. Und mit Sicherheit einer der einsatzreichsten seit der großen Flut von 1962." Die Höhe der entstandenen Sachschäden ist bislang kaum zu beziffern. Autowerkstätten haben allerdings reichlich zu tun, an mehreren Gebäuden müssen Fassadenteile erneuert werden, in der Europa Passage beginnt die Suche nach der Ursache für das Deckenplatten-Chaos. Die Passage hatte evakuiert werden müssen, weil sich Platten lösten.

Bis Mitternacht zählte die Feuerwehr unter Mithilfe von 63 freiwilligen Feuerwehren allein 1.293 wetterbedingte Einsätze. In Spitzenzeiten waren mehr als 1000 Feuerwehrleute im Einsatz. Mit dem üblichen Tagesgeschäft registrierte die Feuerwehr somit am Montag 2.225 Einsätze. Durchschnittlich wird die Feuerwehr in Hamburg innerhalb von 24 Stunden zu etwa 630 Einsätzen gerufen.

Bei Karstadt an der Mönckebergstraße schoss das Wasser in der Bettwäscheabteilung von der Decke, in der Europa-Passage musste das Untergeschoss evakuiert werden.

Die Gewitterschauer brachten mancherorts mehr als 20 Liter Niederschlag pro Quadratmeter zu Boden und damit sehr viel mehr Regen, als sich mancher Hamburger angesichts der anhaltend hochsommerlichen Temperaturen wohl gewünscht hatte. Unter den Regen mischten sich zudem teils erbsengroße Hagelkörner. Allerdings waren nicht alle Stadtteile von dem Unwetter betroffen. In Teilen Harburgs fiel kein einziger Tropfen Regen.

"Solche heftigen Unwetter sind im Norden eher selten, kommen im Durchschnitt dreimal im Jahr vor", sagt Frank Böttcher, Chef des Instituts für Wetter- und Klimakommunikation in Hamburg. Meteorologisch betrachtet entstand das Unwetter, nachdem sehr feuchte und warme Luft aus dem Süden von kalter Luft aus dem Westen, insbesondere aus Großbritannien, verdrängt wurde und in höhere Schichten aufstieg. Das Ergebnis: Viele Keller, Tiefgaragen und Parterrewohnungen wurden überflutet, Bäume stürzten um, Gehwege sackten weg, Autos blieben in einen halben Meter tiefen Pfützen stecken, weil die Kanalisation überfordert war, die Wassermassen zu bewältigen. Der Druck in den Wasserableitungen war teilweise so hoch, dass Gullydeckel aus ihren Fassungen gehoben und weggeschwemmt wurden.

Am U-Bahnhof Gänsemarkt musste ein Ausgang gesperrt werden, nachdem das Wasser in breiten Kaskaden die Treppen hinuntergelaufen war. In der Station Jungfernstieg stand das Wasser teils knöchelhoch, Fahrgäste wateten barfuß zur U-Bahn. An Unterführungen am Hauptbahnhof lief das Wasser "sturzbachartig herunter", sagte ein Feuerwehrmann. Etliche S- und U-Bahn-Züge fielen aus, der öffentliche Nahverkehr war bis in den Abend eingeschränkt oder kam - wie die U 2 zwischen Jungfernstieg und Messehallen - sogar bis in die Nacht zum Erliegen. Auch der S-Bahn-Verkehr war durch das Unwetter beeinträchtigt. Zwischen den Stationen Ohlsdorf und Poppenbüttel wurde die Strecke zeitweise komplett gesperrt, weil Bäume auf die Gleise gestürzt waren. Erst mehr als zweieinhalb Stunden später war die Strecke wieder geräumt. Am Flughafen Fuhlsbüttel durften während des Unwetters eine halbe Stunde lang keine Flugzeuge starten und landen.

Das Unwetter überraschte jedoch nicht nur Pendler im Berufsverkehr: An der Willy-Brandt-Straße drohte die Fassade eines Hauses einzustürzen, nachdem der Regen es unterspült hatte. Die Feuerwehr wurde auch ins Rathaus und in die Innenbehörde am Johanniswall gerufen, dort waren die Technikräume voller Wasser gelaufen. Noch schlimmer traf es einige große Einkaufszentren: In der Europa-Passage wurde Wasser ins das Untergeschoss gedrückt, das daraufhin von der Polizei geräumt werden musste. Viele Kunden bekamen nasse Füße. Bei Karstadt an der Mönckebergstraße drang Wasser in mindestens ein Stockwerk ein und fiel von der Decke. Auch an der Staatsoper, am Hotel Atlantic und am Alstertal-Einkaufszentrum ging das Unwetter nicht vorbei, ohne Spuren zu hinterlassen. Ein Kunde wurde in der Europa-Passage von herabfallenden Deckenteilen verletzt - Hand gebrochen.

Entspannung ist nicht in Sicht. "Die Großwetterlage ändert sich in den kommenden Tagen nicht", sagte Meteorologe Frank Böttcher. Weitere Unwetter werden bis zum Wochenende über Norddeutschland erwartet.

Mit Material von dpa