2150 Gäste lauschten den “Märchen im Michel“. Mitmenschlichkeit soll 2011 erstmals mit dem Renate-Schneider-Preis gewürdigt werden.
Alle Jahre wieder heißt es zu Beginn einer stillen Nacht: "Lasst uns froh und munter sein und uns recht von Herzen freu'n!" Bester Tradition gemäß feierten am Sonnabend 2150 Gäste in Hamburgs Hauptkirche einen Abend mit Note. Erneut faszinierten "Märchen im Michel" Jung wie Alt. Die bewährte Melange: Zuhören, Lachen, Singen. Dieser Dreiklang machte Vorfreude auf den Heiligen Abend in knapp zwei Wochen, schuf aber auch Gelegenheit zur inneren Einkehr. Süßer die Glocken selten klangen.
Das Fundament für ein ganz besonderes Ereignis legten drei Profis von der Bühne. Mal fesselnd, mal frohlockend, dann wieder schelmisch oder lehrreich präsentierten Isabella Vértes-Schütter, Eberhard Möbius und Christian Quadflieg Gedichte und Märchen. Vom "Geschenk der Weisen", dem "Gestohlenen Jesuskind" oder einer "Seltsamen Verwandlung". Die Mischung zwischen fabelhaften Geschichten und lebhaftem Gesang bescherte eine vorfestliche Atmosphäre mit Seltenheitswert. "Märchen im Michel" haben sich längst als fester Meilenstein auf dem Weg zum Christfest etabliert. Werbung für dieses poetische Kleinod in der Adventszeit ist nicht nötig.
Die Karten waren seit Wochen ausverkauft. Wie immer seit der Premiere 1993. Dies bescherte den Besuchern im zauberhaft geschmückten Gotteshaus das gute Gefühl, mit ihrem Besuch enorm helfen zu können. Auf Initiative von "Kinder helfen Kindern" und passend zum 35. Geburtstag dieser so erfolgreichen Abendblatt-Aktion fließt der Erlös an den Förderverein "Hände für Kinder", ein Hilfsbündnis für schwerstbehinderte Kinder und ihre Familien. Es bietet mit dem "Kupferhof" inmitten des Wohldorfer Waldes kleinen Menschen mit großem Handicap ein Kurzzeit-Zuhause - und ihren Familien ein paar Tage Entlastung von der Pflege. Im Großraum Hamburg leben rund 10 000 Kinder, die schwer- oder mehrfach behindert sind.
Ihnen ein bisschen helfen zu können war am Sonnabend Anlass genug, einzustimmen in den Choral der Freude. Getreu dem Prinzip von "Kinder helfen Kindern": Mensch, du bist nicht allein auf der Welt. Wir sind eine Stadt, wir reichen dir die Hand, gemeinsam sind wir stärker. Mehr als 250 000 Euro kamen durch diese sinnvolle Initiative bisher zusammen. Mit Frohsinn helfen, das ist die Kunst. Vor allem dann, wenn letztlich die Freude ins eigene Herz zurückkehrt.
Die Lucia-Mädchen mit ihrer Lichterkönigin und der wieder einmal begeisternde Cantus-Mädchenchor aus Lettland sangen, dass es eine Lust war. Auch das gehört seit 17 Jahren zum erstklassigen Ton des märchenhaften Abends. "Ein Teil unserer Sehnsucht nach einem friedvollen Weihnachtsfest beruht auf Erinnerungen an unsere Kindheit", sagte Hauptpastor Alexander Röder, der selbst das Stück "Drei Wünsche" vortrug. Als Schirmherr des gemeinnützigen Abends konnte Bürgermeister Christoph Ahlhaus diese faszinierenden Erinnerungen nur bestätigen - aus eigener Erfahrung. "Zu gerne lassen wir uns ins Reich der Märchen, Fabeln und Fantasien entführen", sagte er.
Ebenso wie der Primus inter Pares der Hansestadt hob auch Abendblatt-Chefredakteur Claus Strunz ein Engagement ganz speziell hervor. Abendblatt-Redakteurin Renate Schneider sei die zentrale Figur der Hilfsaktion: "Wenn Hamburg ein Mensch wäre, wäre Renate Schneider das Herz." Beifall klang durch St. Michaelis. Zum Abschluss seines Grußwortes hatte Strunz eine Überraschung parat, die gleichfalls mit lang anhaltendem Applaus quittiert wurde: 2011 wird erstmals der Renate-Schneider-Preis verliehen. Als Anerkennung für besonderen Einsatz für Menschlichkeit in unserer Stadt. Der Preis sei ein kleines Denkmal für Renate Schneider, doch solle er zudem als "Denkt-mal" gelten: "Denkt mal daran, was wir selbst tun können." Somit steht fest, dass die Märchen und Lieder im Michel erneut nachklingen werden. So und so.
Auch die Vorträge der drei meisterhaften Märchenerzähler werden die Sinne und Köpfe des Publikums nicht so schnell verlassen. Wie immer zeigten sich Isabella Vértes-Schütter, Eberhard Möbius und Christian Quadflieg enorm in Form. Wenn sie an das Rednerpult neben der Krippe und vor der zwölf Meter hohen, bewusst mit wenig Lametta und mit vielen Hundert Kerzen geschmückten Edeltanne traten, wurde es mucksmäuschenstill im Kirchenschiff.
Das "Geschenk der Weisen" brachte eine rührende Pointe, und die an allem möglichen Naschwerk knabbernde "Weihnachtsmaus" hatte wohl nicht nur James Krüss, sondern jeder schon mal in seiner Wohnung. Und wie kam der Weihnachtskarpfen der zickigen Witwe Sipek in Nachbars Kochtopf?
Die Enthüllung wie auch der Tausch des Fisches gegen einen pfundigen Schweinebraten ernteten lautes Lachen im Michel. Zuvor hatte Eberhard Möbius, übrigens schon 1993 im Michel inbrünstig am Mikrofon, eine selbst verfasste Erzählung aus den Großen Bleichen vorgetragen. Und wer merkte dem großartigen Christian Quadflieg schon an, dass er direkt aus dem Krankenhaus in die Englische Planke gekommen war? Hut ab!
Viel zu rasch verflogen zweieinhalb stimmungsvolle Stunden. Vor dem Segen des Hauptpastors trugen die Lucia-Mädchen und der Cantus-Chor Schuberts "Ave Maria" vor. Zum Ausklang stimmten die 47 Sängerinnen und die Gemeinde an: "Stille Nacht, heilige Nacht!" Elfmal werden wir jetzt noch wach...