Christian Quadflieg, Isabel Vértes-Schütter und Eberhard Möbius lasen heiter-besinnliche Geschichten - 2200 Gäste hörten zu.

Hamburg. Ein bisschen merkwürdig ist das Geschenk schon, welches Chefkoch Ta-tse-fu der von Heimweh geplagten Europäerin zum Christfest überreicht: eine gelochte Kupfermünze, durch die bunte Wollfäden gezogen sind.

„Was soll das bedeuten?“, fragt sich nicht nur die einsame Frau in Fernost. 2200 gespannte Zuhörer in Hamburgs renovierter Hauptkirche St..Michaelis hingen gebannt an den Lippen des Märchenerzählers Christian Quadflieg. Der Schauspieler gab, meisterhaft vorgetragen, das Geheimnis des Kochs Ta-tse-fu preis: Jeder der Fäden, bereitgestellt von Freunden wie Fremden, symbolisiert eine Stunde Glück.

So betrachtet, hatte gestern Abend jeder im bis auf den letzten Platz besetzten Michel zwei bunte Wollfäden im Portemonnaie. Mindestens.

Weil bei „Märchen im Michel“ zum 17. Mal eindrucksvoll bewiesen wurde, dass Helfen Spaß macht – und dass geschenkte Freude ins eigene Herz zurückkehrt. Und wie! „Wir wollen Menschen bezaubern“, sagte Hauptpastor Alexander Röder zu Beginn der Benefizveranstaltung. Alle Jahre wieder bescheren diese Momente des Innehaltens und Besinnens inmitten der Adventszeit Vorfreude auf Weihnachten.

Schon beim Einmarsch der sieben Lucia-Mädchen aus Lettland mit einer Lichterkönigin an der Spitze öffneten sich die Seelen – und Sinne gingen auf Empfang. „Maria durch den Dornwald ging“ sangen die jungen Damen mit den Preiselbeerkränzen im Haar. Welch festliches Bild! Schließlich hielten die Besucherinnen aus dem Baltikum vor Altar und Krippe inne: Unisono stimmte sich die Gemeinde auf diesen ganz besonderen Abend und auf die bevorstehenden Festtage ein. Als stummer Zeuge stand eine zwölf Meter hohe Nordmanntanne daneben, hanseatisch dezent mit Goldlametta geschmückt.

Eberhard Möbius, von der ersten Veranstaltung an märchenhafter Pate dieses gar wundersamen Abends, präsentierte „Das Lied vom verlorenen Jesukind“ und dem Wirken der Hirten. Stille zog ein ins Gotteshaus, schließlich lautes Gelächter. Nur zu gerne ließen sich Groß und Klein in den Bann ziehen. „Lasst uns froh und munter sein“, frohlockte der Cantus-Mädchenchor, ebenfalls aus Lettland – und die roten Zipfelmützen wippten im Takt.

Doch dann herrschte wieder Stille. Isabel Vértes-Schütter, die Intendantin des Ernst-Deutsch-Theaters, trat ans Rednerpult. Vom „Glücklichen Prinz“ erzählte sie. Zuerst vergießt dieser bittere Tränen, doch am Ende gelangt er mit Gottes Hilfe ins Paradies. Gemeinsam mit seinem Freund, der treuen Schwalbe. Ob der Glanz in den Augen manches Erwachsenen wirklich nur am Kerzenschein lag? Einige Kinder hielten das Kribbeln schon längst nicht mehr aus, schlichen an den Sitzbänken vorbei und kauerten sich unter die Kirchenkanzel, neben älteren Besuchern im Rollstuhl.

Dieses Bild beschreibt das Mirakel einer Festveranstaltung, bei der Nächstenliebe ganz praktisch wurde. Was nicht nur die drei ehrenamtlichen Märchenerzähler dokumentierten. Für Christian Quadflieg war es die Premiere an dieser Stelle; früher las sein Vater Will vor. Die langjährige, unverwechselbare Stimme der Märchen im Michel, Manfred Steffen, ist zu Jahresbeginn im Alter von 92 Jahren verstorben. Viele in St. Michaelis dachten an ihn. Seine Witwe, Sigrid Steffen, war gestern dabei. Auch weil schöne Erinnerungen bleiben.

Vom Verein „Kinder helfen Kindern“ des Hamburger Abendblatts initiiert und organisiert, floss durch die Eintrittsgelder seit 1993 fast eine Viertel Million Euro an Kinder- und Jugendprojekte in der Stadt. „Diese Zeit im festlich geschmückten Michel birgt einen einmaligen Zauber in sich“, sagte die treibende Kraft, Abendblatt-Redakteurin Renate Schneider, nach dem Segen und finalen Chor – „Stille Nacht!“ Wer nicht dabei sein konnte, hat am vierten Advent noch einmal Gelegenheit, sich diese wundersame Stimmung ins Haus zu holen: Im Rahmen des Hafenkonzerts (6 bis 8 Uhr) sendet NDR 90,3 die Märchen aus dem Michel.

Beseelt und irgendwie anders gestimmt als zwei Stunden zuvor strömte die Gemeinde hinaus ins Dunkel. Man war sich näher gekommen, nicht nur wegen der binnen vier Stunden ausverkauften Karten und bestens besetzter Bänke. Dieser Abend hatte eine Menge gebracht. So und so.

„Genau in 14 Tagen ist Heiligabend“, stellte eine Dame am Hauptausgang fest. „Omi, stimmt das Märchen mit den bunten Wollfäden und den geschenkten Glücksstunden“, will das Mädchen mit den Zöpfen und den geröteten Wangen an ihrer Seite wissen. „Nele, wenn du daran glaubst, ganz gewiss.“